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verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


übertreffen nie die Größe einer Schreibmappe. Was an ihnen beim ersten Hinblicken auffällt, ist der tiefe, männliche Ernst.

Sie geben die Naturanschauung nicht nur eines Mannes, sondern sogar eines ungewöhnlich ernsten, tiefsinnigen Mannes. Der Ausdruck mancher Bilder packt das Gemüth wie eine plötzliche Offenbarung ungeahnter Schmerzen. Und doch sind alle diese Motive höchst einfach, manchmal sogar unscheinbar. Ein Waldrand an einem Wasser oder an einem ganz gewöhnlichen Wege, oder Ufersand und dahinter das träumende Meer oder in der Ferne träumende Felsen. Hinter einigen Bäumen ein altes, sehr trauriges Haus, in welchem gewiß unglückliche Menschen wohnen, und vor den Bäumen ein melancholisches Bächlein mit einer Holzbank.

Uebrigens sind nur in wenigen von Fritzens Bildern die Gebäude ein Gegenstand, wenn ich so sagen darf; meistens sind sie Häuser eines in unendlicher Ferne liegenden Dorfes, beinahe wie schwarze Punkte hingemalt, aber von einer Wirkung! Die kleinsten der Bilder – oft nur fünf Centimeter hoch und zwölf Centimeter lang – haben zum Gegenstand das Einfachste, was man sich denken kann: ein Stückchen Weg und ein paar Bäumchen oder ein Felsstück. Auf allen Bildern aber ist der Himmel die Hauptsache. Viele haben nur einen Finger breit Erde, und alles andere ist Himmel, Himmel. Es ist, als ob Fritz eigentlich im Himmel lebte und aus Versehen auf die Erde kam, wo ihn alles mit Schwermuth erfüllte und wo seine Seele vor Durst nach dem Himmel verging. Wer diese Bilder nicht sah, kann sich keinen Begriff von der schmerzlichen Gewalt machen, mit welcher sie die Seele des Beschauers an sich ziehen, an sich fesseln und nicht wieder losgeben. Ein sensibler Mensch, der den Muth hätte sie in seine Stube zu hängen, müßte gar bald sagen: „ich habe nicht sie: sie haben mich.“

Die beiden Bilder, aus welchen es Feuer regnet, sind nur Himmel. Vielleicht dachte Fritz dabei an den Untergang der Welt. Die Flammen sind nicht gesondert, sondern sehen aus wie entzündete und wirbelnde Luft. Braunschwarzes Gewölk speit das düster rothe Feuer aus, und ein rasender Sturm peitscht es niederwärts.

Mit Ausnahme dieser beiden und zweier wehmüthig mattblauer Himmel sind alle grau, wie ja auch der flandrische Himmel meist grau ist. In diesem Grau ziehen dunkle und helle Wolken in dichten Gruppen von solcher Natürlichkeit, daß man glaubt, ihre Schichten herabkommen zu sehen. Nirgend ist heller Sonnenschein. Auf einem und dem anderen Bilde ist der Horizont durch Nebel hindurchgefärbt, während über ihm Gewölk in schweren Massen liegt. Oder mitten aus dem Gewölk tritt ein greller Flecken, hinter welchem man die Sonne ahnt, hervor. Wenn dieser Himmel über dem Meere liegt, so hat er einen drohenden Anblick; man fühlt, daß der Sturm bald kommen und das wie todt daliegende Meer aufrütteln wird.

Aber die kleinsten, die unscheinbarsten dieser Bilder sind die rührendsten, die ergreifendsten. Und wodurch? Hier ist z. B. ein Stückchen Weg, kaum einen Finger breit, mit einigen Grasbüscheln und einigen zarten, schmächtigen Bäumchen, die sehr wenig Laub haben und sehr traurig sind. Hinter und über ihnen träumt ein sanftgrauer, schwermüthiger Himmel unendliche Träume. Ein Maler, welcher mit mir vor diesen gemalten Melancholien stand, sagte: „Dieses Kind muss doch ein Wesen aus einer höheren Welt gewesen sein, um dies schaffen zu können.“ Auf einem anderen stehen an einem schlafenden dunkeln Wasser zwei Feldsteine mit röthlichen Brüchen und große üppige Waldbäume, herbstlich gefärbt. Alles im Abendschatten. Braunrothes Laub lugt hier und dort zwischen dem dunkeln Grün hervor. Die Harmonie und Wärme des Colorits sind wahrhaft magisch. Und der Ausdruck, das Leben! Eine ergreifende Sprache!

Fritz sah die Natur nicht nur mit den Augen, sondern auch mit der Empfindung. Die höchste Aufgabe der Kunst, die Natur auszudrücken, ihren Geist, ihre Seele und ihre Physiognomie – Fritz hat sie gelöst mit kindlicher Hand und mit dem Herzen des Poeten.

Nebst dem Himmel sind die Bäume die Hauptsache in seinen Bildern. Diese Bäume, so einfach, so wahr, sind manchmal unerhört reich, manchmal dürftig belaubt, so dürftig, daß man Mitleid für sie fühlt. Hier nach einer Seite geneigt, als wären sie einer innern Sehnsucht nachgewachsen, dort aufrecht, hier jämmerlich vom Winde mißhandelt, dort in ruhiger Kraft gedeihend; hier in einer Gruppe sich ängstlich zusammen thuend, wie ein paar Unglückliche, von Gott und den Menschen verlassen, dort in der Ferne ein Wäldchen bildend, eine weiche, dunkle, duftige Linie – alle diese Bäume leben. Sie träumen; sie empfinden; sie ruhen; sie sind bewegt; sie frieren; sie haben Angst; sie rufen uns an; sie sind traurig; sie wollen sterben; sie sind resignirt.

Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß Fritz in seinen Landschaften keinerlei Staffage, weder Menschen noch Thiere malte. Seine poetische, spiritualistische Naturanschauung läßt dies leicht errathen. Um so mehr ist zu bedauern, daß der Vater aus Pietät für sein Kind nach dessen Tode in beinahe jede Landschaft eine Knabengestalt malte, welche betrachtend steht oder sitzt. Als ob dies nöthig gewesen wäre! Im Gegentheile. Dieses gemalte Männchen erinnert daran, daß die Landschaften auch gemalt sind. Denn man vergißt diesen Umstand vollständig. Die kleinste Miniaturlandschaft wächst vor uns, wird lebensgroß und lebt, und wir stehen davor oder mitten darin, in der wirklichen Natur. Aber das gemalte Männchen reißt uns zuletzt aus der Täuschung, die vollständig war. Es ist dies ein Beweis, daß der Vater van der Kerkhove die Natur nicht versteht, wie Fritz sie verstand, folglich diese Bilder auch nicht malen konnte. Es ist unleugbar, daß das Männchen in diesen Landschaften stört, welche so ganz Stimmung, so ganz Ausdruck sind.

Eines ist noch hervorzuheben: die Luft. Es ist erstaunlich. Auch um die kleinsten Bäumchen glaubt man herum gehen zu können. Von der Durchsichtigkeit einer kleinen Winterlandschaft kann ich vielleicht einen Begriff geben, wenn ich mit getreuester Wahrheit sage, daß sie aussieht, als ob sie auf Glas gemalt wäre. Oft, wenn man, von der Wahrheit eines Gegenstandes, eines Licht- oder Wasserstreifens, eines Schattens, einer Einsenkung oder Erhöhung frappirt, hinzutritt, findet man erstaunt, daß sie durch ein primitives Pünktlein oder ein verzittertes Strichlein, einen Farbenspritzer oder eine Gruppe von haarfeinen in die Farbe gegrabenen Linien hervorgebracht wurde. Die Lichtstreifen im Wasser werden meistens durch solche eingegrabene Linien erzeugt. Alles, Alles ist, wie ein Maler in Paris sagte, „wunderbar, daß man darüber den Verstand verlieren könnte.“ Diese Bilder vereinigen in ihrer äußeren Behandlung die Feinheiten des erfahrenen Malers mit der kühnen, unfehlbaren Intuition des Genies.

Fritz malte an keiner Staffelei. Er setzte sich auf den Boden, legte sich auch wohl hin, neben sich den Farbenkasten und ein Stück Holz, welches ihm als Palette diente. In der linken Hand hielt er das Brettchen, auf welches er malte, in der rechten das Messer, mit welchem er die Farben auftrug; denn Fritz malte fast ausschließlich mit dem Messer, einem Taschenmesser mäßiger Größe. Er strich, nachdem er die Hauptfarben in dicken Massen aufgetragen, mit einem Hölzchen oder mit dem Daumen der Hand sie über und durch einander, im Sinne der Form, welche er hervorbringen wollte. Den Pinsel gebrauchte er nur zu feinen Details, namentlich zum Laub der Bäume, welches er wunderschön und wahr hervorbrachte, indem er mit dem Pinsel rasche, aber wohlberechnete faserige oder runde Spritzer auf das Bild drückte.

Manche seiner Landschaften wollen aus einiger Entfernung gesehen werden, namentlich jene, in welchen der Himmel den größten Raum einnimmt. Wo der Himmel, in der Nähe gesehen, ein Chaos von grauer, weißer und schwarzer Farbe zeigt, erblickt man, sich ein wenig zurückziehend, einen großartigen, geballten Wolkenzug, dessen Ausdruck unbeschreiblich ist. Diese Himmel haben eine Sprache.

Manche andere Bilder gewinnen, je näher man zu ihnen hintritt, besonders jene, welche kleine Bäume und Gesträuch, Wasser und Gräser haben. Man entdeckt dann eine Fülle origineller, feiner, reizender Details. So sehen z. B. die zarten, durchsichtigen Laubpartien kleiner Bäume aus, wie ein Theil eines Farrnkrautes, durch das Mikroskop betrachtet. Fritzens Colorit ist von einer Mäßigung und Harmonie, wie man sie nur bei großen Malern zu finden gewohnt ist. Nirgends, mit Ausnahme dreier Bilder, welche zu buntes Gemäuer haben, stört ein Ton; nirgends thut sich eine Farbe mit unedler Aufdringlichkeit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1877, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_766.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)