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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Und ich sage Euch, daß ich nicht im Stande bin, auch nur die kleinste zu bewilligen.“

„Unsere Forderung, Herr, ist nicht unbillig und ungerecht,“ sagte Laßmann.

„In diesem Augenblicke doch! Ihr müßt es Euch selbst sagen, daß ich zu einer Zeit, wo alle Geschäfte darniederliegen, wo meine Einnahmen spärlicher fließen, als je vorher, meine Ausgaben nicht vergrößern kann. Ich wiederhole Euch, Ihr verlangt Unmögliches von mir.“

„Die Zeiten werden wieder besser werden.“

„Wir wollen dies abwarten. Es wird dann immer noch Zeit sein, Euer Verlangen in Erwägung zu ziehen.“

„In meinem Hause ist Krankheit und Elend, Herr. Soll ich ohne Hülfe heimkehren?“

„Ihr thut mir leid, Laßmann, aufrichtig leid. Daß gerade Ihr es seid, der unter den Folge Eures thörichten Beschlusses zu leiden hat, bedaure ich herzlich. – Ich wiederhole Euch heute, was ich schon damals sagte: Schafft Euch für solche Ausnahmefälle eine auf Gegenseitigkeit gegründete Aushülfe! – Von mir könnt Ihr nicht verlangen, daß ich um dieses einen Falles willen die Löhne meiner sämmtlichen Arbeiter erhöhe.“

Nach diesen Worten herrschte einige Augenblicke lang Stillschweigen im Zimmer. Die Arbeiter blickten finster und niedergeschlagen zu Boden und schienen unschlüssig, was sie beginnen sollten. Max war an eins der Fester getreten und schaute in den Hof hinaus. Da ließ sich wieder Chartin's heisere Stimme vernehmen:

„Sie sollten sich zweimal bedenken, ehe Sie uns mit diesem Bescheide gehen lassen. Die Zeiten sind vorüber, wo die Herren ungestraft die Arbeiter schinden und treten durften. Jetzt greifen wir zur Selbsthülfe. Wenn im Wildunger District die Kugel des Arbeiters die Fabrikanten nachgiebiger gemacht hat, so kann das hier auch geschehen, und wenn man erst damit begonnen hat, die Maschinen zu zerstören, so sehe ich nicht ein, weshalb man nicht bei den Fabriken aufhören sollte. Nehmen Sie sich in Acht, Herr Max Reinhard! Sie können ein sehr stiller und sehr geduldiger Mann sein, ehe Sie es sich versehen.“ –

Er hatte kaum geendet, als Kramer's derbe Gestalt sich zwischen ihn und seinen Herrn schob und Kramer's eiserne Faust fest seine Schulter umklammerte. Max aber winkte ihn zurück.

„Ihr habt gehört,“ sagte er dann, sich zu den anderen Arbeitern wendend, „welche Drohungen Euer Gefährte gegen mich ausgestoßen hat. Ihr werdet mir zu Zeugen gegen ihn dienen. Und nun will ich noch ein letztes Wort zu Euch sprechen: Wenn Ihr Euch durch böswillige Einflüsterungen nicht hättet die Augen blenden lassen, dann hättet Ihr bereits einsehen müssen, daß ich nicht zu den Arbeitgebern gehöre, deren einziges Streben danach geht, reich zu werden, sei es auch durch die Noth und das Elend ihrer Arbeiter. Ihr hättet einsehen müssen, daß ich das Aeußerste that, was in meinen Kräften stand, als ich trotz der gänzlichen Geschäftsstille den Betrieb der Fabrik auf dem bisher eingehaltenen Standpunkte erhielt und erst dann an eine Beschränkung der Arbeitskräfte dachte, als mir bei einem Theil meiner Arbeiter Böswilligkeit und Trotz entgegentrat. Ich kenne die schlimmen Köpfe unter Euch ganz genau, und diese werden niemals wieder Arbeit bei mir finden, selbst wenn sie mich darum noch bitten sollten. Sie werden ihre Wohnungen räumen, um besseren Leuten Platz zu machen. Aber ebenso gut kenne ich auch meine brauchbaren und fleißigen Arbeiter,“ und er wandte sich bei diesen Worten der Seite zu, wo Laßmann und Jürgot standen, „und ihnen könnt Ihr in meinem Namen versprechen, daß das Geschehene vergessen sein soll, wenn sie sofort zu ihrer Pflicht zurückkehren wollen. Auf weitere Versprechungen kann und will ich mich jetzt nicht einlassen. Aber wenn Ihr bedenkt, daß ich billig und gerecht gegen Euch handle, jetzt, wo der Druck der geschäftsstillen Zeit hart auf mir lastet, dann, dächte ich, solltet Ihr mir auch zutrauen, daß ich in besseren Zeiten noch besser für Euch sorgen werde.“

„Und mit diesen ungewissen Versprechungen hoffen Sie uns hinzuhalten?“ fragte einer der Gefährten Chartin's höhnisch.

„Euch habe ich keine Versprechungen gemacht, entgegnete Max ruhig. „Ihr Drei gehört nicht mehr zu meinen Arbeitern; mit Euch und Eures Gleichen habe ich nichts mehr zu thun.“

„Oho, das wollen wir sehen. Sie haben sich gewaltig verrechnet, wenn Sie glauben, wir werden stille halten und ruhig zusehen, wenn man uns unter die Füße tritt. Und wenn Sie bei der beabsichtigten Entlassung der Arbeiter auf Ihre neuen Maschinen rechnen, so mögen Sie sich vorsehen. Wenn man sie einmal beseitigt hat, so kann man das auch zum zweite Male thun.“

„Es wird Euch diesmal schwerer werden, denn sie sind bereits an Ort und Stelle und daher leichter zu vertheidigen. Uebrigens warne ich Euch. Zusammenrottung – Landfriedensbruch und räuberischen Ueberfall ahndet das Gesetz mit schwerer Strafe. Nun aber geht! Ich habe Euch Nichts weiter zu sagen.“

Es schien, als wollten die drei frechen Gesellen sich diesem Befehle widersetzen. Kramer aber öffnete die Thür, und als hinter derselben die handfeste Gestalt Jantzen's sichtbar wurde, entschlossen sie sich zum Abgange. Auf dem Hofe machten sie noch einmal Halt, um unter heftigen, drohenden Geberden eine Unterredung mit einander zu halten, an welcher Laßmann und Jürgot sich nicht betheiligten. Nur widerwillig folgten sie endlich der mehrmals wiederholten Aufforderung Kramer's, den Fabrikhof zu verlassen. – –

„Ich möchte gern wissen, Kramer,“ sagte Max, als nach Verlauf einiger Zeit dieser wieder zu ihm in's Comptoir trat, „wie Laßmann so in's Elend gerathen ist. Ist es allein die Krankheit seiner Frau, welche die Wirthschaft so zurückgebracht hat?“

„So ist es. Ich hätte gewünscht, Herr, daß Sie ihm eine Zulage hätten bewilligen können – der arme Bursche verdient es.“

„Du weißt, daß ich das nicht konnte, denn was des Einen Recht ist, ist auch das des Anderen. Aber eine Unterstützung will ich ihm zukommen lassen. Ich will mit Marie darüber sprechen – sie hat den rechten Kopf für solche Sachen. Und wenn ich diese Krisis überstehen sollte, dann, Kramer, wollen wir Maßregeln treffen, daß solche Nothstände ferner nicht vorkommen können. Mir liegen Pläne im Kopfe, an deren Ausführung ich mit allen Kräften arbeiten will. Hoffentlich werden meine Arbeiter mich dann auch bereits in so weit kennen gelernt haben, daß sie willig auf meine Maßnahmen eingehen.“




12.

Es war an demselben Morgen, aber einige Stunden früher, als Hanna in der Villa Kayser am Fenster ihres Zimmers stand und gedankenvoll in die Gegend hinausblickte. Die Prophezeiung ihres Onkels war zur Wahrheit geworden: das seit mehreren Wochen anhaltend schöne Wetter hatte sich verändert. Ein kalter Wind jagte graue Wolken, aus denen von Zeit zu Zeit ein feiner Sprühregen herabrieselte, vor sich her und schüttelte die Wipfel der Linden, welche den weiten Rasenplatz vor dem Hause im Halbkreise umgaben. Er bog die schlanken, hochstämmigen Rosen, den Stolz des Besitzers, wie Garben zusammen und regte sogar den kleinen Weiher, dessen glatte Fläche sonst unter breitblättrigen Wasserpflanzen ruhig wie ein Spiegel dalag, bis zum Wellenschlagen auf. Es waren Tage, die eher dem Herbste, als dem Hochsommer anzugehören schienen, düstere, unfreundliche Tage.

Was Hanna stiller und ernster gemacht, das war nicht blos das trübe Wetter. Sie war erst kurze Zeit im Hause ihres Onkels, und dennoch hatte sie in dieser Zeit mehr erlebt und mehr empfunden, als in ihrem ganzen bisherigen Leben. Es war ihr, als sei sie früher nur schlafwandelnd einhergegangen, als sei sie jetzt erst erwacht, als habe sie jetzt erst begonnen zu leben. Und doch war auf dieses frisch erblühte Seelenleben bereits ein Reif gefallen. Einige Aeußerungen ihres Onkels, verbunden mit dem, was sie an jenem Abende bei Reinhard’s erlebt und beobachtet, hatten ihr zu denken gegeben. Wie hatte sie nur glauben können, daß dieser ernste Mann, dessen geschäftliche Interessen so complicirt und weitverzweigt, dessen Gedanken von so unendlich wichtigeren Dingen in Anspruch genommen waren, ihr, dem unbedeutenden Mädchen, mehr, als etwa nur ein flüchtiges Wohlgefallen schenken würde! Konnte das, was sie

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