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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


von Mecklenburg war gemeint) bei dem Wagen Wache stehen, daß nichts gestohlen würde, und ich machte mich mit Sheridan auf, um nach einer Schlafstelle zu recognosciren. Wir kamen an ein Haus, das noch brannte, und da war es zu heiß. Ich fragte in einem anderen – voll von Verwundeten. In einem dritten – auch voll von Verwundeten. Ebenso hieß es in einem vierten, ich ließ mich aber hier nicht abweisen. Ich sah oben ein Fenster, wo es dunkel war. ‚Was ist denn da oben?‘ erkundigte ich mich. – ‚Lauter Verwundete.‘ – ‚Das wollen wir doch untersuchen,‘ und ich ging hinauf, und siehe da: drei leere Betten mit guten und, wie es schien, ziemlich reinlichen Matratzen. Wir machten also hier Nachtquartier, und ich schlief ganz gut. (‚Ja,‘ hatte Bohlen gesagt, als der Kanzler uns die Historie in Pont à Mousson das erste Mal erzählte, ‚Du schliefst gleich ein, und ebenso Sheridan, der sich – ich weiß nicht, wo er’s hergekriegt – ganz in weiße Leinwand eingewickelt hatte, und der in der Nacht von Dir geträumt haben muß; denn ich hörte mehrmals, wie er murmelte: ‚O dear count!‘ – ‚Hm, und der Erbgroßherzog, der sich mit guter Manier in die Sache fand und überhaupt ein recht angenehmer und liebenswürdiger junger Herr ist,‘ bemerkte der Minister. – ‚Das Beste bei der Geschichte war übrigens,‘ sagte Bohlen, ‚daß eigentlich gar keine solche Noth um Unterkommen gewesen wäre. Denn unterdessen hatten sie entdeckt, daß nahe dabei ein elegantes Landhaus für Bazaine in Stand gesetzt worden war – mit guten Betten, Sekt im Keller und was weiß ich Alles – höchst fein – und da hatte ein General von uns sich einlogirt und hatte ein opulentes Abendmahl mit seiner Gesellschaft gefunden.‘) Ich hatte den ganzen Tag nichts als Conmmißbrod und Speck gehabt. Jetzt kriegten wir ein paar Eier – fünf – wozu später noch einige kamen. Die Anderen wollten sie gekocht, ich aber esse sie gern roh, und so stahl ich mir ein paar, zerschlug sie an meinem Degenknopfe und trank sie, was mich sehr erfrischte. Als es später wieder Tag geworden war, genoß ich das erste Warme seit sechsunddreißig Stunden – eine Suppe, die ich bei General Goeben bekam, bei dem ich während eines Unwetters Zuflucht suchte. Es war nur eine Erbswurstsuppe, sie schmeckte aber ganz vortrefflich.“

In der Zwischenzeit hatte der Kanzler von einem Soldaten ein Huhn gekauft, das aber ungekocht war. Später bot ihm ein Marketender ein gebratenes an. Bismarck nahm es, bezahlte dafür und reichte dem Manne noch obendrein das von dem Soldaten erworbene ungekochte Huhn. „Wenn wir uns im Kriege wiedertreffen,“ sagte er, „so geben Sie mir’s gebraten wieder! Wo nicht, so hoffe ich, daß Sie mir’s in Berlin zurückerstatten.“

Der Marktplatz in Busancy war voll Officiere, Ulanen, Husaren, Feldjäger und Fuhrwerke. Nach einer Weile kamen Sheridan und Forsythe auch an. Halb zwölf Uhr erschien der König, und gleich nachher ging es weiter, da Nachricht eingetroffen, daß die Franzosen unverhofft Stand hielten. Etwa vier Kilometer von Busancy gelangten wir auf höheres Terrain mit kahlen Senkungen rechts und links, jenseit deren wieder Höhen waren. Plötzlich ein dumpfer Knall aus der Ferne. „Ein Kanonenschuß,“ sagte der Minister. Noch eine Strecke weiter hinauf sah ich über der Senkung links auf einer baumlosen Bodenerhebung zwei Colonnen Infanterie aufgestellt und vor ihnen Geschütze, die feuerten. Es war aber so weit, daß man die Schüsse kaum hörte. Der Chef wunderte sich über meine guten Augen und setzte die Brille auf. Kleine weiße Nebelkugeln über der Senkung, über welcher die Kanonen standen, schwebten drei bis vier Secunden in der Luft und verschwanden dann mit einem Blitz – es waren Shrapnells. Die Geschütze waren offenbar deutsche und schienen ihre Geschosse nach dem Abhang auf der anderen Seite der Vertiefung vor ihnen zu schleudern, auf dem oben ein Wald zu bemerken war. Vor demselben mehrere dunkle Linien, vielleicht Franzosen. Noch weiter rechts in der Ferne schob sich eine hohe Bergnase mit drei oder vier großen Bäumen auf der Spitze in’s Land hinaus; sie bezeichnete nach der Karte das Dorf Stonn, wo, wie ich später hörte, der Kaiser Napoleon dem Gefecht zusah.

Das Feuern links hörte bald auf. Bairische Artillerie, desgleichen blaue Kürassiere und grüne Chevauxlegers jagen auf der Straße im Trabe an uns vorüber. Ein Stück weiter, wo wir durch ein kleines Gebüsch fahren, hören wir ein Geknatter, etwa wie eine langgezogene, nicht präcise abgegebene Pelotonsalve. „Kugelspritze!“ sagt Engel, sich auf dem Bocke umdrehend. Nicht fern von da, an einer Stelle, wo bairische Jäger im Straßengraben und in einem Kleefelde rasten, steigt der Minister zu Pferde, um mit dem König, der vor uns ist, weiter zu reiten. Die Jäger scheinen viele Marode zu haben, und wir stärken einige davon mit einem Schluck Cognac. Batterie auf Batterie saust an uns vorüber, bis endlich die Straße für uns wieder frei wird. Gerade vor uns erscheinen abermals weiße Granatenwölkchen über dem Horizont. Es geht da in ein Thal hinab, welches wir aber noch nicht sehen. Der Kanonendonner wird deutlicher, ebenso das Knarren der Mitrailleusen. Endlich wird auf ein Stoppelfeld rechts von der Chaussee, von der es links in eine breite Niederung hinunter geht, hinübergelenkt. Vor uns steigt der Boden zu einer sanften Höhe an, auf welcher der König etwa tausend Schritt von den Wagen und Pferden, die ihn und sein Gefolge hergebracht haben, mit dem Minister und einer Anzahl von Fürstlichkeiten, Generälen und anderen höheren Officieren Stellung genommen hat. Ich folge ihnen über Sturzacker und Stoppelfeld und beobachte nun seitwärts von ihnen bis zum sinkenden Abend die Schlacht von Beaumont.

Vor uns streckt sich ein breites, nicht sehr tiefes Thal aus, auf dessen Sohle sich tiefgrüner Laubwald hinzieht. Weiterhin offene Gegend, die sanft ansteigt, und in der nach rechts hat das Städtchen Beaumont mit seiner großen Kirche sichtbar ist. Zur Rechten davon wieder viel Wald bis an den Horizont. Ebenso ist links auf dem Thalrande im Hintergrunde Gehölz, nach welchem eine Chaussee mit Pappeln führt. Vor dem Gehölz ein kleines Dorf. Man sieht jetzt deutlich die Geschütze feuern. In Beaumont scheint es nach der dunklen Rauchwolke, die über dem Orte steht, zu brennen, und bald darauf geht auch in dem Dorfe am Walde links Qualm auf. Das Schießen war jetzt nicht mehr sehr heftig. Erst war es in der Gegend des Städtchens, dann zog es sich nach links hin, zuletzt erfolgten auch Schüsse aus dem Walde auf der Thalsohle, wahrscheinlich von der Artillerie, die vorher an uns vorbei gefahren war. Eine Zeit lang hielt im Vordergrund zu unserer Linken hinter einem Dorfe, welches die Karte Sommauthe nannte, bairische Cavallerie. Um vier Uhr etwa brach sie auf und verschwand drunten im Gehölz. Etwas später steigt andere Reiterei von der Chaussee hinter der Stelle, wo die Wagen halten, in die Senkung, über der wir zuerst Kanonenfeuer und Shrapnells gesehen, hinab, um, wie es scheint, auf Stonn weiter zu gehen. Am Saume des Waldes über dem brennenden Dorfe vor uns zur Linken wird dem Anschein nach lebhaft gekämpft. Einmal starkes Aufleuchten und dumpfer Knall darnach. Vermuthlich ist ein Munitionswagen aufgeflogen.

Es will dämmern. Der König sitzt jetzt auf einem Stuhle, neben dem man, da ein scharfer Wind weht, ein Strohfeuer angezündet hat, und beobachtet die Schlacht durch seinen Feldstecher. Der Kanzler thut desgleichen, indem er auf einem Rain Platz genommen hat. Man sieht jetzt auch das Blitzen der platzenden Granaten und die Flamme der Feuersbrunst in Beaumont. Die Franzosen ziehen sich immer weiter zurück, und der Kampf verschwindet hinter dem Kamme der baumlosen Höhen, die links von dem Gehölz über dem brennenden Dorfe den Horizont abschließen. Die Schlacht, die von Anfang an ein Rückzugsgefecht des Feindes gewesen zu sein scheint, ist gewonnen. Wir haben den Wolf des Ministers oder werden ihn haben.

Auf dem Rückwege nach Busancy wurde es allmählich ganz dunkel. Auf den Höhen und in den Senkungen neben der Straße begannen Lagerfeuer zu flackern, neben denen Silhouetten sich hin und her bewegten. Die Chaussee war voll baierischen Fußvolks. Eine Strecke weiterhin blinkten auch die Pickelhauben preußischer Infanterie – es waren die Königsgrenadiere. Zuletzt Colonnen von Fuhrwerken, die sich bisweilen verfahren hatten, sodaß es für uns Aufenthalt gab. Einmal bemerkte der Kanzler: „Ich möchte wissen, ob der Grund, daß wir hier stecken bleiben, derselbe ist, wie damals, wo fünf Schwaben, die Klöße gegessen hatten, einen Hohlweg verstopften.“

Am andern Morgen fuhren König und Kanzler weiter nach Vendresse, wobei sie unterwegs das Schlachtfeld vom vergangenen Tage besichtigten. Ich durfte den Minister wieder begleiten, und er war wieder ungemein mittheilsam und der Frage zugänglich. Er sprach zunächst von der grausamen Kriegführung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_778.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)