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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Entschuldigen? Anklage? Solche Worte dürfen nicht angewandt werden, wenn von der Person gesprochen wird, an die wir Beide jetzt denken.“

Sie sprach die Worte mit einer Lebhaftigkeit, die ihr Gesicht mit dunkler Röthe bedeckte. Paula stand vor ihr, den Kopf zur Seite geneigt und betrachtete sie lächelnd.

„Carissima mia, streiten wir nicht!“ sagte sie freundlich. „Es liegt nicht in meiner Absicht, ‚die Person‘ zu verunglimpfen, denn sie steht mir kaum weniger hoch, als Ihnen. Aber ganz mit Ihnen einverstanden kann ich mich dennoch nicht erklären. Ist es nicht grausam von Ihnen, mein Selbstgefühl zu demüthigen durch die Behauptung, ich müsse jede mir dargebrachte Huldigung mit meinem Mammon theilen? Rechtfertigen Sie sich nicht, Kleine! Ich durchschaue Ihre Absicht, und habe Sie darum womöglich noch lieber, als bisher. Aber widerlegen muß ich Sie doch. Setzen wir den Fall, es wäre einem reichen Mädchen doch einmal eine Neigung zu Theil geworden, welche allein ihrer Person, nicht ihrem Vermögen galt. Nehmen wir an, ein Mann, der nicht wußte, daß sie reich war, brachte ihr eine solche entgegen. Denken Sie sich nun, Hanna, daß dieses Mädchen zum ersten Male in ihrem Leben eine wirkliche Liebe in den Augen eines Mannes glimmen sah, und das zwar trotz aller ihrer Thorheiten und Schwächen. Denken Sie sich, daß sie wahrnahm, wie seine Augen – und Sie müssen sich die schönsten braunen Augen vorstellen, die Sie je gesehen – ernst blickten, wenn sie ernst war, daß sie aufleuchteten, wenn sie heiter lachte. Denken Sie sich, daß sie sehen konnte, wie über sein hübsches, männliches Gesicht eine dunkle Röthe sich ergoß, wenn ihr Schritt sich hören ließ, daß sie aus tausend Zeichen erkennen konnte, sie werde endlich einmal um ihrer selbst willen geliebt. – Nun, Hanna, wollen Sie nach dieser Erklärung noch an Ihrer grausamen Behauptung festhalten, und wollen Sie es jenem Mädchen verdenken, daß sie um dieser Liebe willen Alles aufgiebt, Alles leichten Herzens hinwirft – Familie, Adel, Reichthum, ja, wenn es sein muß, Heimath und Vaterland?“

„Wer könnte ihr das verdenken, meine Liebe? Würde ich doch in einem solchen Falle ebenso handeln. Aber in Ihre Erzählung hat sich ein Irrthum eingeschlichen. Der Mann, von dem Sie sprachen, wußte, daß das Mädchen reich war. Und da sein Charakter stolz und unabhängig ist, so zwang er sich, kalt und zurückhaltend gegen sie zu sein. Er verbarg ihr seine Liebe, um nicht des Eigennutzes und der Habsucht beschuldigt zu werden. Nun mußte sie ihm entgegenkommen, und sie that es mit einer so großherzigen, königlichen Offenheit, daß alle seine jetzigen Bedenken dadurch überwunden werden mußten.“

„Irrthum, Irrthum, Hanna! Ihm gegenüber – ich schwöre es Ihnen – hat sie sich nie kühn und unweiblich benommen. Als sie anfing seine Liebe zu ahnen, da kam ein Gefühl so unendlichen Glückes über sie, daß ihr gewöhnlicher Uebermuth sie verließ und sie demüthig und schüchtern wurde – fast, als ob sie Hanna gewesen wäre. Dann kam aber noch für sie eine schwere Zeit des Zweifels und der Ungewißheit. Man hatte wahrgenommen, daß zwischen den Beiden sich eine Neigung entspann, und der Hausherr, der dem Manne gewogen war, rieth ihm, schnell zuzugreifen – er möge sich das reichste Mädchen des ganzen Districtes nicht entgehen lassen. So wurde es ihm bekannt, daß diejenige, die er liebte, für die beste Partie der Gegend galt. Er merkte, wie man ihm eigennützige Absichten unterschob, und zwar mit einem Scheine von Recht. Denn er selbst war arm und man wußte, daß seine Lage bedenklich war. Aber man hatte nicht an den empfindlichen, zartsinnigen Stolz des Mannes gedacht. Er zog sich zurück – er vermied die, welche er liebte – er wollte lieber den Vorwurf des Wankelmuthes, als den des schmutzigen Eigennutzes auf sich laden. Aber er hatte nicht bedacht, welch’ bitteres Leid er der zufügte, die ihn bereits ebenso liebte, wie er sie. Nun, Hanna, daß ich’s kurz mache – es kam ein Tag, ein schöner, unvergeßlicher Tag, wo sie sich endlich verstanden, wo er sie an sein Herz schloß und sie ihm zuflüstern konnte: ‚Zwischen uns giebt es kein Mein und Dein – Du bist Herr über Alles, was ich bin und habe‘.“

Sie stand mit strahlenden Augen und tiefer Gluth auf ihrer dunkelen Wange vor ihrer jungen Gefährtin, die mit etwas bleichem Gesichte zugehört hatte und sich jetzt langsam, als wollte sie schwere Gedanken fortscheuchen, mit der Hand über die Stirn fuhr.

„So mußte es wohl endigen,“ sagte sie dann, sich gewaltsam zu einem Lächeln zwingend, „denn ich wiederhole es: Niemand, der Sie recht kennt, wird anders können, als Sie herzlich lieben, theure Paula. Zwar ist mir in Ihren Worten noch Manches dunkel, die Hauptsache aber, nämlich: daß Sie einer frohen, glücklichen Zukunft entgegengehen, verstehe ich und freue mich dessen. – Und nun, Liebste, haben wir einen schönen, langen Tag vor uns – wir wollen ihn genießen und heiter sein.“

„Und Du willst mich zu Deiner Schwester annehmen und mir versprechen, mich lieb zu haben, wie man eine Schwester lieb haben muß?“

„Ja, Paula – aber ich verstehe nicht –“

„Das sollst Du auch nicht, meine kleine Herzensschwester,“ entgegnete Paula, sie zärtlich umschlingend. „Du sollst an mich glauben und mich lieben. Ich will es Dir hundertfältig wiedergeben – denn, kannst Du Dir nicht denken, wie überschwänglich glücklich es mich Einsame machen muß, plötzlich, wie vom Himmel herabgesandt, nicht nur zwei holde Schwestern zu haben, sondern auch eine ganze große Familie, von welcher jedes einzelne Mitglied mir unaussprechlich theuer ist?“




14.

Die Sorge um ihre Freunde in der Fabrik trübte doch, trotz ihres Vorsatzes, die Heiterkeit der beiden jungen Mädchen und dämpfte die Freude ihres Beisammenseins. Jede vermied es zwar, ihre Besorgniß gegen ihre Gefährtin auszusprechen; denn Paula wollte die drohende Gefahr vor Hanna verheimlichen, und diese, welche wohl begriffen hatte, daß man ihr etwas zu verbergen suchte, hatte jede hierauf bezügliche Frage unterdrückt. Aber als der Tag immer weiter vorrückte, ohne Marie oder Nachricht von ihr zu bringen, als der Abend sich endlich nahte und nichts die Einsamkeit der Villa und ihrer Bewohner störte, da konnte selbst Paula, die sich bis dahin redlich Mühe gegeben hatte, durch heiteres Plaudern ihre junge Freundin zu zerstreuen, ihrer Unruhe nicht länger Meister werden. Sie hatte vom Fenster aus wohl schon zum hundertsten Male die Straße entlang geblickt, und als diese auch jetzt wieder einsam und still vor ihr lag, wandte sie sich mit einem halbunterdrückten Seufzer in’s Zimmer zurück.

„Komm!“ sagte sie, „ich kann es nicht länger ertragen, ruhig in der Stube zu sitzen; ich muß frische Luft schöpfen. Laß’ uns einen Gang durch den Garten machen! Mir ist zu Muthe, als müßte ich drinnen ersticken.“

Das Wetter hatte sich gegen Abend aufgeklärt; der Wind war nach Osten gegangen und hatte die grauen Wolkenschleier zusammengerollt. Und als die beiden Freundinnen Arm in Arm in’s Freie traten, kam die Sonne hervor und beleuchtete vor ihrem Niedergange mit voller Pracht noch einmal die ganze weite, im Perlenschmucke prangende Flur.

„So lächelnd und freundlich, wie das Antlitz meiner Tante Clemence Abends im Besuchzimmer, wenn sie den ganzen Tag hindurch unzufrieden grollend umhergegangen war,“ meinte Paula.

„Ein klein wenig Heuchelei mag wohl bei uns Allen mit unterlaufen – seine Stimmungen giebt Keiner gern preis. Wir geben dem Dinge aber einen hübscheren Namen, wir nennen es Selbstbeherrschung,“ entgegnete Hanna.

„Das ist eine Tugend, die zu üben ich nie gelernt habe,“ sagte Paula.

„Und doch glaube ich, daß gerade das Leben jeder Frau reich ist an Momenten, wo diese Uebung für sie zur Pflicht werden könnte,“ erwiderte ihre Gefährtin.

„Pah!“ entgegnete Paula, was mich anlangt, so bin ich bevorzugt vor tausend Anderen. Die Heftigkeit meines Temperaments thut seiner Liebe keinen Eintrag. Ich sagte Dir schon, er liebt mich so, wie ich bin, mit allen meinen Fehlern und Schwächen.“

Hanna schwieg, und die beiden Mädchen schritten weiter.

„Nun – dem Himmel sei Dank! – da kommt endlich des Onkels Wagen. Und er und Marie sitzen darin,“ rief Hanna mit einer so lebhaften Freude, daß man daran erst die Größe ihrer Sorge erkennen konnte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_787.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)