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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Staatsmann gehandelt. Die Zwistigkeiten würden bald beigelegt sein, wenn Ihr Beispiel Nachahmung fände.“

„Sie scheinen nicht übel Lust zu haben, Junker Paul, alle politischen, kirchlichen und nationalen Conflicte auf diese Art zu lösen. Sie wenden den Grundsatz der Nationalökonomie, daß Derjenige, der mit Erfolg für seine eigene Habe sorgt, gleichzeitig den Reichthum der Nation mehrt, auch auf das Glück, das häusliche sowohl wie das nationale, an und folgern daraus die Pflichten, die Ihnen als guter Staatsbürger erwachsen – wie?“

Er war augenscheinlich in bester Laune und blickte seine Mündel, mit welcher er vor dem Hause auf- und niederschritt, lächelnd von der Seite an. Der glückliche Abschluß seiner eigenen Herzensangelegenheit hatte in ihm lebhafter als je vorher den Wunsch erregt, die Frage, die seiner Meinung nach zwischen Max und ihr schwebte, ebenfalls etwas zu fördern. Auch Paula hielt die Stunde für gut gewählt, ihre eigene Angelegenheit zur Sprache zu bringen, und kam ihrem Vormunde daher auf halbem Wege entgegen.

„Sie wissen,“ sagte sie, „daß ich weite Umwege nicht liebe, und daß ich gern direct auf mein Ziel losgehe.“

„Ja wohl,“ entgegnete er lächelnd, „ich habe in den letzten Tagen oftmals die Gelegenheit gehabt, diese schätzenswerthe Eigenschaft an Ihnen zu beobachten.“

„Deshalb sage ich Ihnen jetzt auch offen und ehrlich: ich habe meine Wahl getroffen und habe die Absicht, mich zu verheirathen.“

„Eine Absicht, die ich Ihnen schon am ersten Tage unseres Wiedersehens angemerkt habe.“

„Sie setzen mich in Erstaunen. Es ist ganz unglaublich, wie Ihr Blick in die tiefsten Tiefen meiner Seele dringt.“

„Die tiefsten Tiefen Ihrer Seele waren ziemlich leicht zu erforschen. Sie haben redlich Sorge getragen, daß Niemand über Ihre Absichten im Zweifel blieb.“

„Ich hoffe, Sie halten das nicht für ein Unrecht. Ich bin eine offene Natur, der es schwer wird, ein Geheimniß zu bewahren.“

„Für ein Unrecht halte ich es nicht, und obgleich es etwas gegen das gewöhnliche Herkommen verstößt, so –“

„Gewöhnliche Herkommen! – Wenn ich etwas hasse aus tiefster Seele, so ist es dieses gewöhnliche Herkommen,“ unterbrach Paula ihn energisch. „Ich sollte wohl erst das Gutachten der ganzen Sippe einholen und warten, bis Alles hübsch durchgesprochen und durchgehechelt worden war von diesen Klatschbasen, den männlichen sowohl wie den weiblichen?“

„Ereifern Sie sich nicht! sagte Kayser lachend. „Sie haben Niemand zur Besinnung kommen lassen – Sie waren mit sich einig im Handumdrehen.“

„Am meisten bei der ganzen Sache freut mich das, daß Ihr Alle Euch ärgert. Ihr hättet gewünscht, auch die Hand im Spiele zu haben, aber ich bin ohne Euch fertig geworden. Ich überrasche Euch mit der vollendeten Thatsache,“ sagte Paula.

Es war augenscheinlich, daß sie über die Worte ihres Vormundes einen heftigen Aerger empfand, der sie vergessen ließ, daß sie sich ihn zum Verbündeten machen wollte. Und daß er seine Ruhe bewahrte und sie mit seinem gewöhnlichen sarkastischen Lächeln auf den Lippen von der Seite anblickte, reizte sie noch mehr.

„Was mich anbelangt, so sind Sie im Irrthume: ich überlasse Ihnen gern den Ruhm, als energischer kleiner Junker selbst die Initiative ergriffen zu haben. Die Sache ist also völlig fest und abgemacht?“

„Ja!

„Nun, das ist brav. Die Hauptsache ist immer, daß man weiß, was man will. Und dann frisch vorwärts an’s Werk – dem Muthigen gehört die Welt.“

„Ist das Alles, was Sie mir zu sagen haben?“

„Behüte! Ich gratulire von Herzen – Sie hätten eine schlechtere Wahl treffen können.“

„Sie sind in der That sehr gütig.“

„Ich wünsche nur, Sie hätten sich etwas mehr Zeit gelassen – ich wünsche das um Ihrer selbst willen. Er ist ein Mann von ruhiger Ueberlegung, ein Mann, dem jede Hast höchlichst mißfällt. Ich wünschte, Sie hätten sein zartsinniges Bedenken hören können, als ich gestern mit ihm darüber sprach.“

Paula’s Augen wurden größer und ihre Lippen preßten sich fest auf einander, als sie stehen blieb und ihrem Vormund starr in’s Gesicht schaute.

„Er wollte von einer solch schnellen Erledigung der Frage nichts wissen,“ fuhr dieser harmlos fort. „Er sagte ganz richtig, daß dem Antrage eine Zeit der Werbung vorangehen müsse. Ich bin überzeugt, daß diese Art die Sache über’s Knie zu brechen durchaus nicht nach seinem Geschmacke ist.“

Paula’s Wange, welche bis dahin in dunkler, zorniger Röthe geflammt hatte, wurde jetzt plötzlich blaß. Ihr Auge blitzte dicht vor Kayser’s erstauntem Blick, und ihr ganzes Aussehen schien ihm so bedenklich, daß er sich einige Schritte zurückgezogen haben würde, wenn die junge Dame nicht einen seiner Rockknöpfe fest zwischen ihren Fingern gehalten hätte.

„Soll ich das so verstehen,“ fragte sie mit leiser Stimme, „daß Sie Herrn Max Reinhard meine Hand angeboten haben – daß Sie es gewagt haben, Herrn Max Reinhard auf diesen Gedanken zu bringen?“

„Gewagt! – Das Wagniß war nicht sehr groß nach dem, was Ihrerseits vorangegangen war,“ entgegnete er, seine Unterlippe vorstreckend. „Meinen Sie etwa, er sei blind, um solche Winke nicht zu verstehen?“

„Wissen Sie auch, was Sie da sprechen? Wissen Sie auch, daß Sie mich tödtlich beleidigen? Ihre Worte enthalten die gröbste Kränkung, die man einem feinfühlenden Mädchen anthun kann.“

„Feinfühlend! Darauf haben Sie sich ziemlich spät besonnen.“

„Und als ich den Mann in meinem Hause willkommen hieß, als ich ihn mit offener Herzlichkeit begrüßte, als ich die ganze Welt zum Zeugen der Freude hätte machen mögen, die ich empfand, als er mir gegenüberstand, und ich jeden Zug seines Gesichtes als einen lieben, seltsam vertrauten erkannte – da haben Sie zu glauben gewagt, ich mache Jagd auf ihn? Und später, als ich Sie bat, mein Eigenthum als das seine zu betrachten und ihm jede Hülfe zu gewähren, die durch dasselbe zu erlangen ist – da glaubten Sie, ich wolle mein Geld dazu benutzen, mir einen Gatten zu erkaufen? – Was habe ich gethan, daß Sie mich einer so unweiblichen, unwürdigen Handlung für fähig halten?“

Auf Kayser’s Gesicht hatte während dieser Rede der Ausdruck von Erstaunen und Unwillen gewechselt.

„Und wenn nicht das, was war dann Ihre Absicht?“ fragte er.

„Was meine Absicht war? Ich wollte ihm zeigen, wie hoch er mir steht, wie er dem Bilde, das ich mir von ihm gemacht, ganz und gar entspricht. Schwesterlich nahe treten wollte ich ihm –“

„Nun habe ich genug von dieser ganzen confusen Geschichte,“ rief Kayser in ausbrechendem Zorn. „Schwesterlich nahe treten! Hat man schon jemals dergleichen gehört? – Halten Sie mich für einen Narren? Ich glaube, Einer von uns hat den Verstand verloren, aber es gereicht mir zur Befriedigung, zu wissen, daß ich es nicht bin.“

„Herr Kayser!“ rief Paula.

„Oder halten Sie es vielleicht für verständig und correct gehandelt, erst ein Langes und Breites über Ihre Absicht, zu heirathen, zu sprechen und dann –“

Er hielt plötzlich inne und spähte die Landstraße entlang.

„Nun, da haben wir’s. Da kommen sie bereits,“ rief er verdrießlich, „und ich habe der Hörig noch gar nicht gesagt, daß ich Gäste erwarte.“

„Wen erwarten Sie? Wer kommt?“ fragte Paula auffahrend.

„Die beiden Reinhards natürlich! Was sollen sie denn dort frühstücken in dem leeren Neste?“

„Warum haben Sie mir nicht früher gesagt, daß Sie sie eingeladen haben?“ fragte Paula, eilig die Stufen der Haustreppe hinaufspringend.

Kayser antwortete nicht. Aber er sah mit zornigem Stirnrunzeln dem jungen Mädchen nach, wie sie auch die Treppe zum Oberstock leichtfüßig hinaneilte, und hörte, wie sie mit dem lauten, erregten Rufe: „Marie! Hanna!“ die Thür zu dem Wohnzimmer der Letzteren öffnete. Dann wandte er sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_819.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)