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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Warum wird Professor Virchow, der radicale Naturforscher, der liberale Politiker, auf diesen Grenzgebieten wandelnd, auf einmal ängstlicher, als ein frommer evangelischer Geistlicher, warum hält er den abgegriffenen Popanz der Socialdemokratie seinen Collegen als Warnung entgegen? Weil er die ernsten und nur mit sich selbst rechnenden Forscher Darwin und Häckel in den großen Troß literarischer Wegelagerer hineinstößt, welche an dem Forscherschweiße der Genannten sich mästen und aus den herrlichen Bauten derselben einige Steine ausbrechen, um damit den Gläubigen die Kirchenfenster einzuwerfen. Wenn auch noch kein vorsündfluthlicher Mensch mit einem Affenschädel gefunden worden ist, und der vollständige Ausbau der darwinischen Theorie noch nicht ermöglicht wurde, so geht trotzdem aus allen Ergebnissen der einschlägigen Lehren hervor, daß nur in einer einheitlichen Weltanschauung der Gipfelpunkt aller naturwissenschaftlichen Forschung zu suchen sei. Der Darwinismus und die Kirche wollen und können durchaus nichts mit einander zu thun haben. Zwischen den Vertretern der strengen Naturforschung und den Anhängern des blinden Glaubens gähnt eine unübersteigbare Kluft, die niemals zu gegenseitigem Verständnisse führen kann; daher mögen beide neben einander bestehen, bis jene unumstößlichen Beweise geliefert worden sind, welche die Lüge auf der einen oder auf der anderen Seite in jenen gähnenden Abgrund gestürzt haben.

Die Gebildeten im deutschen Volke sind glücklicher Weise geistig genug fortgeschritten, um den Arbeiten ihrer Forscher mit der nöthigen Objectivität folgen und beurtheilen zu können, wo Wahrheit, wo Lüge zu Hause sind – denn für „Bauernjungen“ hat weder Darwin noch Häckel geschrieben. Die geistige Größe der deutschen Nation liegt eben gerade darin, daß sie an den Bestrebungen der naturwissenschaftlichen Forschung einen so regen Antheil nimmt und den Arbeiten ihrer Wissensfürsten bis in die Enge der Laboratorien hinein folgt. Nur durch eine allgemein verständliche Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse sowohl der positiven Errungenschaften, wie auch der negativen Nachweise von Seiten derjenigen, die auf den betreffenden Gebieten selbstthätig arbeiten, kann auch das Volk zum Selbstdenken und zur geistigen Freiheit herangezogen werden. Dazu zeigen die öffentlichen Versammlungen der deutschen Naturforscher und Aerzte den trefflichsten Weg, und darum soll auch durch ihren Mund dem Volke Rechenschaft abgelegt werden von dem, was da ist, aber auch von dem, was nicht ist.

Möge das Wohlwollen der Nation den herrlichen Vereinigungen, welche nun durch fünfzig Jahre den Glanzpunkt deutschen Wissens und freier Forschung bilden, erhalten bleiben!

Paracelsus.     


Nachdruck verboten.     

Erinnerungen aus dem Kriege mit Frankreich.

Von Moritz Busch.
4. Der Tag von Sedan. – Bismarck und Napoleon bei Donchery.

Mit dem Ende des August näherte sich auch die Jagd auf die Franzosen im Maasgebiet ihrem Ende. Am Morgen des 1. September begab sich der Bundeskanzler von dem Hause in Vendresse, in dem er Quartier genommen, nach einer Höhe bei Sedan, um der voraussichtlichen Katastrophe beizuwohnen, und ich durfte ihn wieder begleiten. Bevor wir abfuhren, fragte er, ob ich dechiffriren könne, und als ich dies bejahte, hieß er mich einen Chiffre mitnehmen. Nachdem der König begleitet von der bunten Stabswache vorausgefahren, folgten wir ihm, wobei wir zunächst die Tags vorher berührten Ortschaften Chemery und Chehery wieder durchfuhren und dann bei einem dritten Dorfe, das links von der Chaussee in einer Bodensenkung liegt, am Fuße eines kahlen Hügels auf einem Stoppelfelde zur Rechten der Straße Halt machten. Hier stieg der König mit seinem Gefolge von Fürsten, Generalen und Hofleuten zu Pferde; unser Chef that desgleichen, und Alles begab sich nach dem flachen Gipfel der Anhöhe über uns. Wie uns ferner Kanonendonner verkündete, war die erwartete Schlacht bereits im Gange. Heller Sonnenschein am wolkenlosen Himmel leuchtete dazu.

Ich folgte nach einer Weile den Reitern, indem ich den Wagen unter Engel’s Aufsicht zurück ließ, und fand die Herrschaften oben auf einem Stoppelacker, wo man die Gegend weithin übersah. Vor uns geht es in ein tiefes, breites, größtentheils grünes Thal hinab, durch dessen Wiesen sich ein blauer Fluß, die Maas, an einer mittelgroßen Stadt, der Festung Sedan, vorbei schlängelt. Der Hügelkamm auf unserer Senke ist weiter rechts bewaldet, auch zur Linken ist etwas Laubholz. Der Vordergrund unten vor unsern Füßen bildet vor der Thalsohle noch eine schräge Stufe, und hier stehen rechts vor uns baierische Batterien, die lebhaft gegen die Stadt und über sie hinfeuern, und dahinter dunkle Colonnen, erst Fußvolk, dann Reiterei. Noch weiter rechts wirbelt neben dieser Bodenstufe aus einer Vertiefung eine Säule schwarzen Rauches auf. Es ist, wie man hört, das in Brand gesteckte Dorf Bazeilles. Sedan ist in der Luftlinie eine kleine Viertelmeile von uns entfernt; seine Häuser und Kirchen sind bei dem hellen Wetter deutlich zu unterscheiden. Ueber der Festung, an die sich auf der Linken eine Art zerstreuter Vorstadt anschließt, erhebt sich am andern Ufer des Flusses ein langgestreckter Höhenzug, in der Mitte mit Gehölz bedeckt, welches auch in die Schlucht hinabsteigt, die hier den Bergrücken spaltet, links kahl, rechts mit einzelnen Bäumen und Büschen bestanden. Bei der Schlucht einige Bauernhäuser. Links von dem Höhenzug eine Ebene, aus der noch ein kleiner Hügel aufsteigt, welcher oben eine Gruppe dunkler hochstämmiger Bäume zeigt. Nicht weit davon im Flusse die Pfeiler einer gesprengten Brücke. In weiterer Ferne rechts und links noch drei oder vier Dörfer. Dahinter gegen den Horizont hin ist das Bild vor uns von mächtigen Bergkämmen mit ununterbrochenem schwarzgrünem Walde eingerahmt. Es sind die Ardennen an der belgischen Grenze. Auf den Hügeln unmittelbar jenseits der Festung ist jetzt die Hauptstellung der Franzosen. Unsere Truppen scheinen sie hier umfassen zu wollen. Gegenwärtig indeß gewahrt man deren Heranrücken nur auf der Rechten, indem sich die Linie ihrer feuernden Geschütze, mit Ausnahme der baierischen unter unserm Standpunkte, welche stehen bleiben, langsam heranschiebt. Allmählich geht Pulverrauch auch hinter dem Höhenzug mit der Schlucht im Mittelgrunde auf, und man erkennt daran, daß die den Feind einschließenden Corps die Schlinge, die sie bilden, stetig weiter zuziehen. Auf der Linken des Bildes dagegen ist es noch völlig still. Um elf Uhr steigt auch in der Festung, die, beiläufig bemerkt, nicht selbst schießt, eine schwarzgraue Rauchsäule empor. Jenseits heftiges Feuern der Franzosen und über dem Walde der Schlucht unaufhörlich zu gleicher Zeit eine Anzahl weißer Granatwölkchen. Bisweilen auch das Geknarr und Gerassel einer Mitrailleuse.

Auf unserem Berge glänzende Versammlung: der König, Bismarck, Moltke, Roon, eine Anzahl Fürstlichkeiten, Prinz Karl, die Hoheiten von Weimar und Coburg, der mecklenburgische Erbgroßherzog, Generäle, Flügeladjutanten, Hofmarschälle, Graf Hatzfeldt, der nach einer Weile verschwunden ist, Kutusoff, der russische, und Oberst Walker, der englische Militärbevollmächtigte, General Sheridan, sein Adjutant und Andere, Alles in Uniform, Alles mit Feldstechern vor den Augen. Der König stand; Andere, darunter zuweilen auch der Kanzler, hatten auf einem Rain neben dem Stoppelacker Platz genommen.

Eben entwickelte sich nach elf Uhr unsere Angriffslinie auf dem jenseitigen Ufer der Maas durch weiteres Vorrücken um die Stellung der Franzosen zu einem Halbkreise, und ich verbreitete mich darüber etwas laut gegen einen älteren Herrn vom Hofe, als der Minister mich mit seinem scharfen Ohr hörte, sich umsah und mich zu sich heranwinkte. „Wenn Sie strategische Ideen zu entwickeln haben, Herr Doctor,“ sagte er, „so wäre es gut, wenn das weniger vernehmlich geschähe; sonst fragt der König, wer das ist, und ich muß Sie ihm dann vorstellen.“ Bald nachher hatte er Telegramme erhalten, kam und gab mir deren sechs zu dechiffriren, sodaß das Zuschauen für mich einstweilen ein Ende nahm.

Ich ging zu den Wagen hinunter und fand hier in dem unseren unter der aufgespannten Kutschdecke in Graf Hatzfeldt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_825.jpg&oldid=- (Version vom 5.12.2019)