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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


von der mit Pappeln bepflanzten Chaussee ein einzelnes Haus, das damals von einem Weber bewohnt war. Es ist gelblich angestrichen und einstöckig, hat vier Fenster in der Front, im Erdgeschoß weiße Laden, im ersten Stock Jalousien von gleicher Farbe und ist mit Schiefer gedeckt. Daneben befand sich links ein weißblühendes Kartoffelfeld, während rechts über dem Wege nach dem etwa zwanzig Schritt von der Straße entfernten Hause einige Büsche standen. Ich sehe sogleich, daß der Kanzler den Kaiser bereits gefunden hat. Vor dem Hause befinden sich sechs höhere französische Officiere, von denen fünf rothe, mit Goldtressen besetzte Mützen aufhaben, während der sechste eine schwarze trägt. Auf der Chaussee hält eine viersitzige Kutsche, anscheinend ein Miethwagen. Den Franzosen gegenüber stehen Bismarck, sein Vetter Graf Bohlen, ein Stück davon Leverström sowie ein brauner und ein schwarzer Husar. Um acht Uhr kommt Moltke mit einigen Officieren vom Generalstabe, entfernt sich aber nach kurzem Verweilen wieder. Bald nachher tritt ein kleiner Mann, der eine rothe Mütze, einen schwarzen rothgefütterten Paletot mit Kapuze und rothe Hosen trägt, hinter dem Hause hervor und spricht zunächst mit den zum Theil auf dem Rain neben den Kartoffeln sitzenden Franzosen. Er hat weiße Glacéhandschuhe an und raucht eine Papiercigarre. Es ist der Kaiser. Er sieht abgespannt, aber nicht sehr niederschlagen aus, ist auch nicht so alt, wie ich ihn mir vorgestellt, vielmehr dem Anschein nach ein leidlich conservirter Fünfziger. Nach einer Weile geht er auf unsern Kanzler zu und spricht etwa drei Minuten mit ihm, worauf Napoleon allein, rauchend, die Hände auf dem Rücken, an dem weißblühenden Kartoffelfelde hin- und herwandelt. Dann nochmalige kurze Besprechung zwischen Kanzler und Kaiser, die der erstere beginnt, und nach welcher Napoleon sich wieder mit seiner französischen Begleitung unterhält. Gegen drei Viertel auf neun Uhr entfernen sich Bismarck und sein Vetter in der Richtung von Donchery, wohin ich ihnen folge.

Der Chef erzählte später wiederholt von den Vorgängen dieses Morgens. Ich verbinde diese verschiedenen Mittheilungen im Folgenden möglichst wortgetreu zu einem Ganzen. „Moltke und ich waren nach der Schlacht vom 1. September zum Zweck von Unterhandlungen mit den Franzosen nach Donchery, fünf Kilometer von Sedan, gegangen und die Nacht dort geblieben, während der König und das Hauptquartier nach Vendresse zurückkehrten. Die Verhandlungen dauerten bis nach Mitternacht, ohne zum Abschluß zu kommen. In Donchery erschien dann früh gegen sechs Uhr der General Reille vor meiner Wohnung und sagte mir, der Kaiser wünsche mich zu sprechen. Ich zog mich gleich an und setzte mich, beschmutzt, staubig, wie ich war, in alter Mütze und mit meinen großen Schmierstiefeln zu Pferde, um nach Sedan zu reiten, wo ich ihn noch vermuthete. Ich traf ihn aber schon bei Frénois, drei Kilometer von Donchery, auf der Chaussee. Er saß mit drei Officieren in einer zweispännigen Kutsche, und die anderen waren zu Pferde bei ihm. Ich kannte davon nur Reille, Castelneau, Moscowa und Vaubert.

Ich grüßte militärisch; er nahm die Mütze ab und die Officiere auch, worauf ich sie auch abnahm, obwohl das gegen das Reglement ist. Er sagte: 'Couvrez-vous donc!' Ich behandelte ihn durchaus wie in St. Cloud und fragte nach seinen Befehlen. Er erwiderte, ob er den König sprechen könne. Ich sagte ihm, das sei unerfüllbar, da Seine Majestät zwei Meilen von hier entfernt sei. Auch wollte ich nicht, daß er eher mit ihm zusammenkäme, als bis wir wegen der Capitulation mit ihm im Reinen wären. Dann erkundigte er sich, wo er bleiben könne, was darauf hindeutete, daß er nicht nach Sedan zurückkehren konnte, indem er dort Unannehmlichkeiten erfahren hatte oder befürchtete wegen seines Briefs an den König. Die Stadt war voll betrunkener Soldaten, die den Einwohnern sehr beschwerlich fielen. Ich bot ihm mein Quartier in Donchery an, welches ich sogleich räumen wollte. Er nahm das an. Aber ein paar hundert Schritte vor dem Orte ließ er halten und fragte, ob er nicht in dem Hause, das dort war, bleiben könnte. Ich schickte meinen Vetter hinein und sagte nach dessen Bericht, es wäre sehr ärmlich. Er antwortete, das schadete nichts. Ich stieg nun, nachdem er hinübergegangen und wieder zurückgekommen war, da er wahrscheinlich die Treppe, die hinten hinaufging, nicht gefunden hatte, mit ihm hinauf in’s erste Stock, wo wir in ein kleines einfenstriges Zimmer traten. Es war das beste, hatte aber nur einen fichtenen Tisch und zwei Binsenstühle. Hier hatte ich eine Unterredung mit ihm, die fast dreiviertel Stunden dauerte. Er beklagte zuerst diesen unseligen Krieg, den er nicht gewollt habe. Er wäre zu ihm durch den Druck der öffentlichen Meinung genöthigt worden. Ich entgegnete, auch bei uns hätte Niemand und am wenigsten der König einen Krieg gewollt. Wir hätten die spanische Frage eben als eine spanische angesehen und nicht als eine deutsche, und wir hätten von den guten Beziehungen des hohenzollern’schen Hauses zu ihm erwartet, daß dem Erbprinzen eine Verständigung mit ihm leicht fallen würde. Dann kam er auf die gegenwärtige Lage zu sprechen. Er wollte dabei vor allen Dingen eine günstigere Capitulation. Ich erklärte, auf Verhandlungen hierüber nicht eingehen zu können, da dies eine rein militärische Frage sei, bei der Moltke gehört werden müsse. Dagegen ließe sich über einen etwaigen Frieden sprechen. Er antwortete, er sei Gefangener und folglich nicht in der Lage, hier zu entscheiden, und als ich darauf fragte, wen er hierin für competent hielte, verwies er mich an die Pariser Regierung. Ich bemerkte ihm, daß sich dann die Lage gegen gestern nicht geändert habe, und daß wir darum auf der Capitulation bestehen müßten, um ein Pfand dafür zu haben, daß die Resultate der gestrigen Schlacht uns nicht verloren gingen. Moltke, der mittlerweile, von mir benachrichtigt, eingetroffen war, war derselben Meinung und begab sich zum König, um ihm das zu sagen.

Draußen vor dem Hause lobte der Kaiser unsere Armee und ihre Führung, und als ich ihm darauf zugab, daß die Franzosen sich ebenfalls gut geschlagen hätten, kam er auf die Capitulationsbedingungen zurück und fragte, ob es nicht möglich sei, daß wir die in Sedan eingeschlossenen Corps über die belgische Grenze gehen und dort entwaffnen und interniren ließen. Ich versuchte ihm nochmals begreiflich zu machen, daß dies eine Sache der Militärs sei und nicht ohne Einverständniß mit Moltke entschieden werden könne. Auch habe er soeben erklärt, als Gefangener die Regierungsgewalt nicht ausüben zu können, und so könnten Verhandlungen über derartige Fragen nur mit dem in Sedan commandirenden Obergeneral geführt werden. Ich bemerke noch, daß die Unterhaltung zwischen uns französisch, nicht, wie behauptet worden ist, deutsch geführt wurde. Nur mit der Frau des Webers habe ich ein paar Worte auf deutsch gewechselt. Ich habe überhaupt niemals mit ihm deutsch gesprochen, obwohl er’s kann, wenn auch mit allemannischem Accent.

Inzwischen hatte man nach einem bessern Unterkommen für ihn gesucht, und die Officiere des Generalstabs hatten gefunden, daß das Schlößchen Bellevue bei Frénois, wo ich ihm zuerst begegnet war, zu seiner Aufnahme geeignet, auch noch nicht mit Verwundeten belegt war. Ich sagte ihm das und rieth ihm, dahin überzusiedeln, da es in dem Weberhause unbequem sei und er vielleicht der Ruhe bedürfe; wir würden den König benachrichtigen, daß er dort sei. Er ging darauf ein, und ich ritt nach Donchery zurück, um mich umzukleiden. Dann geleitete ich ihn mit einer Ehrenescorte, welche eine Schwadron des ersten Kürassierregiments stellte, nach Bellevue. Bei den Verhandlungen, die hier begannen, wollte der Kaiser den König haben – er dachte wohl an Weichheit und Gutherzigkeit – doch wünschte er auch, daß ich theilnehme. Ich dagegen war entschlossen, daß die Militärs, die härter sein können, das allein abmachen sollten, und so sagte ich, als wir die Treppe hinaufgingen, zu einem Officier leise, er möge mich nach fünf Minuten abrufen – der König wolle mich sprechen, was denn auch geschah. In Betreff des Königs theilte man ihm mit, daß er diesen erst nach Abschluß der Capitulation sehen könne. So wurde die Angelegenheit zwischen Moltke und Wimpffen geordnet. Dann kamen die beiden Majestäten zusammen. Als der Kaiser darnach wieder heraustrat, standen ihm die dicken Thränen im Gesicht. Gegen mich war er ruhiger und durchaus würdig gewesen.“

Ich muß andere interessante Vorfälle dieser Tage übergehen und theile nur folgende mit. Nach der Begegnung mit Napoleon beritt der König das Schlachtfeld, wobei ihn der Kanzler begleitete. Sie waren bis nach elf Uhr Nachts weg, und somit über zwölf Stunden im Sattel. Der Minister hat dabei die Freude gehabt, seinen jüngeren Sohn zu treffen. „Ich entdeckte an ihm,“ so erzählte er bei Tische, „eine neue rühmliche Eigenschaft: er besitzt ausnehmende Geschicklichkeit im Schweinetreiben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_827.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)