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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

No. 50.   1877.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Die zehnte Sprache.
Novelle von Rudolf Gottschall.


„Meine spanische Pfeife, Skarnikatis!“ rief mit kräftiger Stimme der Hauptmann Krieger über den Flur hinüber nach der Bedientenstube, in welcher der vierschrötige Litthauer auf die Winke seines Herrn und Gebieters harrte.

Skarnikatis stammte aus dem Lande, in welchem der Ur und der Elenhirsch zu Hause sind, und hatte mit ihnen die urwüchsige Kraft gemein, während ihm seine Wildheit durch mehrjährige Dienstzeit als Stangenreiter abgewöhnt worden. Er begab sich alsbald zu der mit den buntesten Bändern geschmückten Pfeifengalerie, welche sich über seine Lagerstätte und die benachbarte Zimmerwand erstreckte, und wählte mit kundiger Hand eine Pfeife, deren Bänder die spanische Farbe trugen. Als er mit einem Fidibus, auf welchem ein genauer Sprachkenner spanische Vocabeln erkannt haben würde, das Kraut der Havanna angezündet hatte, begann der Hauptmann sein vertrauliches Gespräch mit dem treuen Diener, durch welches er bisweilen das einförmige Schweigen seiner Junggesellenwirthschaft unterbrach.

„Verwünschter Lärm da drüben!“ sagte er, mit der Pfeifenspitze auf die Gerüste zeigend, die ihm gegenüber aus der Erde wuchsen.

„Arbeiten schnell,“ entgegnete Skarnikatis achselzuckend; „doch Mauern so dünn; ein anständiger Windstoß muß das ganze neue Gerumpel uber den Haufen werfen.“

„Du hast Recht; doch es empört mich, daß sie mir die freie Aussicht und den Himmel verbauen. Im Uebrigen freue ich mich gerade heute, wo meine spanische Woche beginnt, über Deine täglich zunehmende Aehnlichkeit mit Sancho Pansa. Nicht blos wird Dein Körperumfang dem stattlichen Embonpoint des spanischen Schildknappen immer ähnlicher; Du weißt auch, wie Jener seine Sprüchwörter, stets neue Anekdoten im Gespräche anzubringen. Du wirst, seitdem Du den Stangenreiter an den Nagel gehängt hast, täglich mehr ein gebildeter Mensch.“

„Etwas bleibt immer hängen, sagte das Schaf, als es seine Wolle an der Hecke verlor,“ entgegnete Skarnikatis mit einem breiten und wohlwollenden Lächeln; „ich war Ihr Bursche und wollte es bleiben, als Sie den Dienst quittirten; denn ich habe ein anhängliches Herz, und ich hätte mich schwer von Ihren schönen Pfeifen getrennt.“

Hauptmann Krieger hatte, nachdem er den Abschied genommen, weil ihm das Friedensexercitium keine Theilnahme mehr einflößte, sich in die kleine Bergstadt zurückgezogen, wo sein Erscheinen alsbald großes Aufsehen erregte; denn er war ein Sonderling, und manche seiner Eigenheiten würde auch in größeren Kreisen aufgefallen sein. In dem Städtchen wurde er bald der Mittelpunkt aller Gespräche. Er war ein stattlicher Mann in den besten Jahren, doch seine Züge hatten etwas Düsteres, Melancholisches, und nur das Aufleuchten seiner dunklen Augen hatte bereits bei mancher vorüberwandelnden Schönen unwillkürlichen Antheil erweckt. Die jungen Mädchen pflegten ihn auch in Schutz zu nehmen, wenn er bei Kaffee- und Theegesellschaften von den älteren Damen in Acht und Bann gethan wurde; denn er hatte, so kurz seine Anwesenheit in dem Städtchen war, bereits eine große Sündenlast auf sich geladen. Nirgends bei den Honoratioren hatte er Besuch gemacht, ja er war nicht einmal Mitglied des Casinos geworden, und man konnte deshalb mit Recht bezweifeln, ob er zu den anständigen Menschen gerechnet werden dürfe. Das Casino vereinigte alle urtheilsfähigen Bürger, alle, welche im Besitze einer Würde, eines eigenen Hauses oder auch nur eines anständigen Cylinderhutes waren, allabendlich in seinen Räumen. Wer sich aus solchem Kreise selbst ausschließen konnte, der trat in eine sehr zweifelhafte Beleuchtung.

Noch mehr Anstoß erregte der Hauptmann durch seine Pünktlichkeit; sie war so groß, daß die Bewohner der Straßen, durch die er spazieren ging, ganz wie es von dem Königsberger großen Philosophen verlautet, die Uhren nach seinem Erscheinen stellen konnten. Zwar gab es in dem Städtchen keinen Philosophendamm, wie in der Stadt der reinen Vernunft, und auch Skarnikatis begleitete nicht, wie der selige Lampe, mit einem rothen Regenschirme seinen Herrn; aber es gab ein stilles Mühlthal, welches der Hauptmann täglich besuchte, und an jeder Straßenecke wußte man genau die Minute, zu welcher der Hauptmann um dieselbe biegen mußte. Die Sonne ging nicht pünktlicher nach dem Kalender auf und unter.

Als es bekannt wurde, daß der Hauptmann sich dem Studium der neuen Sprachen mit seltenem Eifer ergeben hatte und neun derselben sprach, war die Entrüstung über diese Zeitverschwendung eine allgemeine. Die Mehrzahl der Einwohner des Städtchens lebte sogar mit der eigenen Muttersprache auf einem gespannten Fuße, und nur einige Töchter der Honoratioren brachten es im Französischen zu den üblichen Sprachfehlern.

Erschien dies Alles schon als eine sehr ungewöhnliche Art, sich durch die Welt zu schlagen, so mußten die besonderen Grillen des Hauptmanns, als sie stadtkundig wurden, die größte Verwunderung erregen. Man erfuhr, daß er jede Woche einer anderen Sprache widmete, daß er für jede dieser Sprachen seine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 833. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_833.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)