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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


besonderen Pfeifen, mit den Landesfarben geschmückt, besaß, was sich auch auf die Aschen- und Fidibusbecher, ja selbst auf die Fidibusse erstreckte, die aus den älteren überflüssig gewordenen Vocabelheften dieser Sprache zurechtgeschnitten wurden. Zwar verrieth Skarnikatis keine der Eigenheiten seines Herrn, doch wer kennt die hundert geheimen Wege, auf denen die Kunde des Verschwiegensten unter die Menschen kommt? Das übertreibende Gerücht verbreitete sogar, daß er für jede dieser Wochen die angemessenen Flüche in Anwendung bringe, daß er seine Bedienten bald mit einem sacredieu, bald mit einem carramba oder mit einem pox on You überraschte.

Oft lag er am Fenster und sah über den Garten hinweg, der seiner Wohnung gegenüber lag mit rauschenden Bäumen, mit Frühlingsblüthen oder Herbstfrüchten, nach den blauen Bergen am Horizont. Der Blick der Jugend schaut mit Sehnsucht in die blaue Ferne; da dämmert ein unbekanntes, ein ungeahntes Glück. Hinter diesen Linien liegt irgend ein wunderbares Eden. Für den Hauptmann gab es keine goldenen Zukunftsträume mehr; er wußte längst, daß hinter den Bergen, wie vor denselben, nur Arbeit und Elend sei, und daß nur das Vexirspiel eitler Hoffnungen herüber- und hinüberfliege. Dennoch blickte er an schönen Abenden mit Behagen auf das friedliche Naturbild, auf Garten und Feld und die von der Röthe des scheidenden Tages verklärten Berge; es kam ein Geist der Ruhe und des Friedens über ihn; er vergaß sogar seine Vocabeln, die wie eine wilde Jagd ihm den Tag über durch den Kopf schwirrten, und es mahnte ihn oft leise an Gefühle, die ihm unbekannt geblieben waren. „Zu spät,“ sagte er dann zu sich selbst; „wie die schönsten Jahre meines Lebens vereinsamt waren, so werden es auch die letzten sein.“ Hatte er doch nichts als seine Bücher und den Blick auf die stille Landschaft.

Doch auch in das Städtchen drang der rastlose Geist der Speculation; überall stiegen Häuser aus der Erde; auch der Garten, über dessen Wipfel der Blick des Hauptmanns in die Ferne schweifte, wurde eine Beute des Unternehmungsgeistes und an einen Speculanten verkauft, welcher ihn der Baulust und dem wachsenden Verkehre erschloß.

Noch ragten eine Zeitlang die blauen Berge über die Ziegelwände des Erdgeschosses hervor, doch Stockwerk wurde auf Stockwerk gethürmt; die Berge verschwanden, mit ihnen die Poesie der Ferne, der Zauber der Abendbeleuchtung; das Haus erhob sich als eine jener tausend Stätten, wo die alltägliche Bedürftigkeit des Lebens waltet, die Abwehr gegen die Noth, das Hin- und Herlaufen um des Erwerbes willen.

Der Hauptmann sah dem Wachsthum dieses ihm so mißliebigen Mauerwerkes mit stillem Ingrimm und verzweifeltem Humor zu.

Inzwischen wurde dem gegenüberliegenden Hause der Dachstuhl aufgesetzt; die Töpfer und Stubenmaler verschönerten sein Inneres; der Hauptmann sah mit stiller Resignation dem Walten dieser Hausgeister zu:

„Wenn früher der Abendstern heraufkam oder der volle Mond hinter den Bergen aufstieg, vergaß man es ganz, daß man sich unter Menschen befand, deren Köpfe nicht heller sind, als ihre Straßenlaternen; man hatte das Gefühl von etwas Höherem – doch das verstehst Du nicht, Skarnikatis. Meine Pfeife ist mir über dem Aerger ausgegangen. Ein Fidibus! Und wie früh es dunkel wird im Zimmer! Sonst konnt' ich um diese Zeit noch den Kalender lesen; es strömte eine solche Helle von den Bergen in's Zimmer. Und jeder aufgehende Stern erschien mir in der spanischen Woche wie ein Stern von Sevilla. Jetzt kauert der verfinsternde Dachstuhl zwischen mir und dem Abendroth und den glühenden Wolken, in welchen ich oft den Löwenhof in der Alhambra zu sehen glaubte. Es wird jetzt düsterer und einsamer hier.“

Aehnliche Selbstgespräche hörte Skarnikatis stets mit verständnißinniger Miene an, wobei er sich einzelne ausländische Kernflüche des Hauptmanns aneignete, die er gelegentlich bei der Zofe der Bel-Etage zur Geltung brachte.

Wochen vergingen in solchen trüben Stimmungen. Im Hause drüben wurde es lebendiger; hochbeladene Möbelwagen hielten vor den Thüren; hier wurde ein Pianoforte herbeigeschleppt, dort ein elegantes Büffet abgeladen.

In dem Stockwerk unmittelbar gegenüber entfaltete sich ein geringerer Glanz. Dort schien eine Beamtenwittwe zu walten, welche bessere Zeiten gekannt und Einiges aus denselben in die unfreundliche Gegenwart hinübergerettet hatte. Ein Zimmer wenigstens war elegant möblirt und auch ein Fortepiano fehlte nicht, ein unheimliches Instrument, das der Hauptmann mit stillem Argwohn betrachtete, denn wenn es einmal seine Flügel zu rühren begann, dann war es um seine Abendruhe am Fenster gänzlich gethan.

Lange Zeit hindurch erschienen diese Befürchtungen unbegründet; der Deckel des Claviers beschirmte wohlwollend das ganze Nest von Tönen; kein einziger wurde flügge und schwärmte hervor. Das Clavier blieb ein so friedliches Möbel, wie jedes andere im Zimmer. Die Beamtenwittwe zeigte sich nur hin und wieder in diesem Prunksalon; in der Regel saß sie nebenan in einem Zimmer, das nirgends von Mahagoni leuchtete, das nur Kirschbaum- und Birkenholztische und Stühle zeigte; da saß sie und stickte oft bis tief in die Nacht hinein.

Der Hauptmann hatte sich allmählich an sein Gegenüber gewöhnt; es erschien ihm harmlos genug, so wenig er den früheren anmuthigen Fernblick vergessen konnte.

An einem Morgen – es war in der italienischen Woche; Skarnikatis hatte eben den Kaffee gebracht – nahm der Hauptmann plötzlich die Pfeife aus dem Munde, und alle seine Züge drückten Erstaunen und Verzweiflung aus; der Diener sah ihn mit einem Gesicht voll lauter Fragezeichen an; er hatte ihn selten so bestürzt gesehen.

„Hörst Du, Skarnikatis?“

„Zu Befehl, Herr Hauptmann!“

Corpo di bacco – das ist drüben.“

„Drüben im neuen Haus, ja wohl.“

„Der heimtückische Klapperkasten! Es ist kein Zweifel mehr. Das Ungeheuer ist aus seinem Schlummer erwacht. Irgend eine Drachenjungfrau hat ihm Leben eingehaucht.“

In der That klangen einige wirbelnde Läufe mit großer Fertigkeit gespielt, aus dem offenen Fenster des Salons herüber.

„Auch das noch!“ rief der Hauptmann. „Wir ziehen aus, Skarnikatis. Das ertrag’ ich nicht mehr; vielleicht ist’s nur ein vorübergehender Besuch.“

„Nein, das Zimmer ist bewohnt; ich sah gestern eine Menge von Koffern und Sachen hineintragen.“

„Wir ziehen aus,“ erklärte der Hauptmann mit entschlossener Miene.

„Aber die Dinger sind ja überall,“ meinte Skarnikatis mit beruhigendem Tone; „man gewöhnt sich daran wie an den Lärm einer losgeschossenen Kanone. Anfangs kitzelt es etwas das Ohr, später hört man nicht mehr darauf.“

Der Hauptmann trat an’s Fenster und sah gegenüber ein hellschimmerndes Kleid an dem Clavier. „Das sind die Schlimmsten,“ rief er ärgerlich; „ein männlicher Clavierbändiger gönnt wenigstens seinem Instrument längere Zeit Ruhe, doch diese weiblichen Centauren sind mit ihren Pianofortes zusammengewachsen. Lasciate ogni speranza – es ist das alte Unglück, das mich verfolgt.“

Den ganzen Tag verschmähte es der Hauptmann, an’s Fenster zu treten und einen Blick hinüber zu werfen, dorthin, wo sein neuer Quälgeist häufig genug die Tasten rührte. Erst gegen Abend konnte er nicht umhin, seiner Gewohnheit zu folgen, sich an’s Fenster zu lehnen und die frische Luft zu athmen, die von den Bergen herüberwehte. Mit finsteren Blicken musterte er das unvermeidliche Gegenüber; es war kein Zweifel: man hatte sich dort auf längeren Aufenthalt eingerichtet. An dem einen Fenster zeigte sich eine Epheulaube, deren Ranken zu einem Käfig emporkletterten, in welchem ein zartes Vögelchen hin- und herhüpfte. Es war allerdings nicht der gelbe, schmetternde Sänger der Canarischen Inseln, welcher für das Clavierspiel eine zu lärmende Begleitung geboten hätte; es schien ein schüchterner, heimathlicher Sänger zu sein. Ein sehr schmaler Balcon, der kaum diesen Namen verdiente, eine Art Vorsprung, damit man in’s Freie treten und frische Luft schöpfen könne, war auch mit Epheu umkränzt. In seiner Mitte erhob sich eine fragwürdige Gipsfigur, irgend eine die Laute rührende Schöne, und ein paar prächtige Camellien entfalteten zur Rechten und zur Linken der Lautenschlägerin ihre Kelche.

Der Hauptmann war für so geschmackvolle Ausschmückung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_834.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)