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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


all diesen Anstalten, von denen dort gerade zwölf auf ein Dutzend gehen, dieselben Einrichtungen und könnten in dem oberflächlichen Beobachter die Meinung erwecken, daß sie alle nach einer Schablone gebildet, alle von demselben Geiste beseelt seien.

Doch dies scheint nur so.

Vor Allem sondern sich da die zwei grundverschiedenen Classen der Institute von einander ab, die aus der Mädchenerziehung eine Industrie machen, ein Geschäft, wie der Uhrenhandel in Lachauxdefonds und Locle oder der Käsevertrieb im Emmenthal es ist, und derjenigen, die wirklich Bildungsanstalten sind. Erstere sind zahllos, letztere sehr dünn gesäet. Erstere haben nichts als ihr Französisch und verkaufen uns dies so theuer wie möglich; letztere wollen nach festem Plan erziehen und unterrichten.

In den Cantonen Waadt, Genf und Neuenburg wird von Institutsvorstehern und solchen, die es werden wollen, die Ablegung eines Examens nicht verlangt. Die Anstalten sind der Aufsicht des Staates unterworfen, der von ihnen fordert, daß jeder Zögling wenigstens Primar-, also Volksschulbildung in ihnen erlangt. Die Aufsicht wird im Canton Neuenburg z. B. in der Weise geübt, daß Abgeordnete der Erziehungsdirection entweder dem Examen der Institute beiwohnen, oder daß die Schüler der letzteren zu einer allgemeinen Prüfung zugezogen werden. Doch sind diesen Prüfungen nur Kinder vom siebenten bis sechszehnten Jahre unterworfen. Streng werden diese Prüfungen nicht eingehalten; oft fehlt die Behörde bei denselben. Im Canton Waadt schreitet die Behörde nur dann ein, wenn sie von einem Pensionat erkennt, daß es seinen Schülern das Minimum der öffentlichen Volksschulbildung nicht gewährt.

Bedenkt man, daß wir unsere Töchter dorthin senden, nachdem sie die deutsche Schule entweder ganz oder doch bis zu den obersten Classen durchlaufen, bedenkt man, daß es fast immer Schülerinnen höherer Lehranstalten sind, die in der französischen Schweiz ihre Bildung vollenden sollen, so muß man sich sagen, daß der Staat nur Garantie für eine Stufe von Schulkenntnissen leistet, welche fast ausnahmslos die Schülerinnen schon überschritten haben, und daß für das, was wir eigentlich wollen, für höhere Fortbildung, durchaus keine Gewähr gegeben wird.

Wer eine Pension gründen will, miethet oder kauft ein im Garten gelegenes Haus, richtet darin einen eleganten Salon, ein Eßzimmer, einige Schulräume und die nöthigen Schlafzimmer ein, läßt einen Prospect drucken, und das Institut ist bereit für seine Zöglinge. Ob die Leiter der Anstalt auch die nöthigen Kenntnisse besitzen, um das zu halten, was der Prospect verspricht, ob sie die erforderliche pädagogische Einsicht für die Führung der Anstalt und für die Wahl der Lehrkräfte haben, das müssen eben erst die Resultate den Eltern und Schülerinnen beweisen.

Sehen wir uns den Prospect an!

Monsieur, Madame oder Mademoiselle X. nehmen eine Anzahl junger Mädchen in ihrem Hause auf, deren Erziehung und Unterricht die größte Sorgfalt gewidmet werden soll. Die Unterrichtszweige sind: Die modernen Sprachen: Französisch, Englisch, Deutsch und Italienisch, ferner: Religion, Geschichte, Geographie, Naturwissenschaften, Rechnen, Schönschreiben, Zeichnen oder Malen und Handarbeiten. Meist ist der Unterricht in der italienischen, oft auch der in der englischen Sprache extra zu bezahlen; immer vom Pensionspreis ausgeschlossen ist der Musikunterricht, fast ebenso ausnahmslos ist auch das Malen eine Extrastunde.

Lesen wir unsern Prospect weiter! Er enthält nur noch einige häusliche Mittheilungen und die Preise.

Der Pensionspreis ist sehr verschieden. Während im „innern Lande“ gut gehaltene Pensionen zu 700 Franken, am Bieler und Neuenburger See zu 8 bis 900 Franken sich finden, überschreiten die Anstalten am Genfer See die 1000 fast durchschnittlich. 1200, 1500, 1800 Franken sind dort die gewöhnlichen Preise; die Städte Genf und Lausanne haben Institute zu 2000 und mehr Franken Pensionspreis. Für ein Mädchen, das außer der französischen Sprache noch eine fremde erlernt, Clavier spielt und zeichnet oder malt, erwächst noch die Mehrausgabe für die betreffenden Extrastunden, die sich im Jahr auf mindestens 250, oft auf 500 bis 700 Franken und mehr beläuft.

Dies sind die Nachrichten, die wir aus dem Prospect uns verschaffen. Ein Vergleich desselben mit dem Stundenplan wird um so leichter, als die Vorsteher und Vorsteherinnen mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit Allen, die sich dafür interessiren, über die Einrichtungen ihrer Anstalt Auskunft geben, uns auch erlauben, den Unterrichtsstunden beizuwohnen. Als durchaus vereinzelter Fall ist der zu verzeichnen, daß einem Besuch, der sich über die Anstalt und deren Lehrgang zu unterrichten wünschte, die nähere Einsichtnahme und das erbetene Hospitiren verweigert wurden. Es ist dies doppelt auffallend, da durch Eltern von Zöglingen, durch letztere selbst, ja auch durch Lehrer und Lehrerinnen mancherlei Klagen über die Leitung der Anstalt in's Publicum gedrungen waren. Doch wenn auch die eine Pforte geschlossen bleibt, die andern thun sich freundlich auf. Treten wir ein, um uns zu überzeugen, wie das, was der Prospect verspricht, ausgeführt wird!

Da sind denn auf dem ersten Stundenplan wöchentlich siebenzehn Unterrichtsstunden angemerkt (außer den Extrastunden). Von diesen siebenzehn gehören acht ausschließlich der französischen Sprache, nämlich sechs für Grammatik, Dictat und Aufsatz und zwei Literaturstunden. Die übrigen neun Stunden werden auf sechs verschiedene Fächer: Deutsch, Englisch, Geschichte, Geographie, Naturkunde und Rechnen, vertheilt, sodaß auf einen dieser Unterrichtsgegenstände durchschnittlich anderthalb Stunden wöchentlich fallen. Auf dem Stundenplan des andern Institutes nimmt das Französische von achtzehn Schulstunden zwölf in Anspruch; für die übrigen sechs Fächer bleibt also je eine Stunde frei.

In einer Pension mit höherer Stundenzahl (26) erhält die französische Sprache zwölf, die englische sechs Stunden zugetheilt. Religion, Deutsch, Geschichte, Geographie, Rechnen, Schönschreiben, Zeichnen, Handarbeiten theilen sich mit 8 : 8 = 1.

Noch überwiegender herrscht das Französische auf dem vierten Plan. Dreizehn verschiedene Fächer sind auf vierundzwanzig Schulstunden vertheilt und fünfzehn davon dem Französischen gewidmet. Diese Bevorzugung der französischen Sprache ist im Grunde natürlich. Die jungen Mädchen werden in die französische Schweiz geschickt, hauptsächlich um die Sprache fertig sprechen und beherrschen zu lernen. Der Unterricht, den sie zu diesem Zweck erhalten, ist fast ausnahmslos ein guter und sorgfältiger.

Der Franzose legt auf eine gewandte Ausdrucksweise im Sprechen wie im Schreiben großen Werth. Ihm ist es ebenso wichtig, wie er etwas sagt, als was er sagt, und er verzeiht sich eher einen orthographischen, als einen Stylfehler. Die Vorliebe für die gefällige Form haben auch die französischen Schweizer in hohem Grade, aber sie vereinen sie mit der größeren Gründlichkeit, die ihren östlichen Landsleuten, den Deutsch-Schweizern, eigen ist. Eine Pensionärin der französischen Schweiz kann, wenn sie Geschick und Willen dazu hat, ein grammatikalisch richtiges und in der Form gewandtes Französisch dort erlernen.

Es giebt Institute, die im französischen Unterricht fast den Vortheil von Privatstunden bieten, ja manche Damen beschränken immer ihr Institut auf wenige Schülerinnen, um im einer Sprachstunde nur je zwei Mädchen zu unterrichten. All diese Sorgfalt wird ausschließlich der französischen Sprache gewidmet. In ihr werden tägliche Grammatikübungen, Dictate und Stylproben vorgenommen, wöchentlich ein Aufsatz geschrieben. Die Literaturstunde erfreut sich besonderer Aufmerksamkeit. In vielen Pensionen treibt die Neuangekommene in der ersten Zeit nur Französisch, um so viel Fertigkeit darin zu erhalten, daß sie den übrigen, auch französisch ertheilten Unterrichtsstunden folgen kann, ja es kommt vor, daß eine Anfängerin von einem Tage zum andern zwei und eine halbe Druckseite wörtlich auswendig zu lernen hat, um nur möglichst schnell einen Vorrath französischer Worte und Wendungen in sich aufzunehmen.

Den Hauptzweck also, denjenigen, ihren Schülerinnen ein fließendes Französisch für Conversation und schriftlichen Ausdruck zu geben, erfüllen die Institute. Weniger befriedigend sind die Resultate, die in den übrigen Fächern erzielt werden. Namentlich wird von den Eltern immer wieder Klage darüber geführt, daß ihre Töchter während des Institutjahres in der Weltgeschichte nicht nur so gut wie nichts gelernt, sondern daß sie auch noch das, was sie vorher gekonnt, zum Theil wieder vergessen haben. Diese Klage ist begründet und auch aus den Verhältnissen leicht zu erklären.

Die jungen Mädchen kommen aus Deutschland, wo nur die Muttersprache ihnen erklungen ist, in ein fremdes Land mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_846.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)