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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Frühlings und strahlender Sonnenschein, wie man ihn eben nur unter den Tropen genießt, durch kühlende Seebrisen zu einer angenehmen Wärme gemildert. Keine heimtückischen Krankheiten, keine reißenden oder giftigen Thiere bedrohen dort das Leben des Wanderers.

Ebenso heiter wie die Natur sind dort die Menschen, die nackten, braunen, fröhlichen Insulaner der Südsee. Es sind die glücklichsten Menschen, die man sich denken kann. Singend streifen sie in hellen Schaaren an dem grell von der Sonne beschienenen Strande entlang; singend rudern sie auf ihren leicht gebauten Kanoes über die Riffe oder gehen zur Zeit der Ebbe dem Fischfange nach.

Wohl lastete einst schwer der Fluch des Kannibalismus auf der eingeborenen Bevölkerung. Die Vitis waren die schlimmsten Menschenfresser der Erde. Jetzt aber sind sie bis auf einen kleinen Rest im Innern der größten Insel der Gruppe zum Christenthume bekehrt und erfreuen sich geordneter und friedlicher Zustände. Sie scheinen gegenwärtig gerade jene Stufe der Cultur erreicht zu haben, die ihnen noch viele von den Vorzügen ihres glücklichen Naturzustandes und zugleich schon das Wesentlichste von den Wohlthaten europäischer Civilisation zu Theil werden läßt. –

Der Abend bricht herein. Die Sonne steht bereits nahe am Horizonte, und schneller als unter den Breiten der gemäßigten Zone wird sie, senkrecht hinabtauchend, verschwunden sein – eine kurze, kaum merkliche Dämmerung, und die Nacht umfängt uns. Wir steigen ermüdet auf beschwerlichen Pfaden voller Wurzeln und Buschwerk, unter beständigen Kämpfen mit den Lianen, die sich unverschämt um Arme und Beine, um Brust, Hals und Gesicht schnüren, von den Bergen herab und spähen sehnsuchtsvoll nach dem Dorfe, in dem wir übernachten wollen. Dunkelrothe Papageien fliegen, hoch über uns der Flinte spottend, mit ihrem unmelodischen „Giek gak, Giek gak“ von einem Baumwipfel zum andern oder streiten sich kreischend um die lauschigsten Plätzchen zum Schlafen. Das rauhe Hundegebell der großen Tauben „Hu hu, Hu hu hu“ wird spärlicher und verstummt.

Vor uns aber ertönen angenehmere Laute. Fernes Kindergeschrei schlägt an unser Ohr. Eine Rauchsäule erhebt sich unten im Thale zwischen den Palmen. Der Weg wird breiter und fester, und eine reinlich gehaltene Bananenpflanzung öffnet sich. Die ersten struppigen Laubhütten eines Dorfes treten aus dem Gebüsch hervor – wir sind am Ziele der Wanderung. Einige kleine braune Nacktfrösche fliehen entsetzt, als ob sie den leibhaftigen Teufel erblickt hätten, schleunigst in’s Innere des Dorfes, „Papalang, Papalang!“ (Europäer) schreiend. Eine Schaar gelbscheckiger Schweinchen folgt ihnen ebenso eilig, magerer und flinker als ihre Cameraden bei uns, lustig die Ringelschwänzchen im Kreise drehend. Neugierige, dunkle Gesichter erscheinen in den niedrigen Oeffnungen der Hütten. Ein paar Männer kommen heraus, grüßen freundlich „Sa yandre“ (du bist wach) und geleiten uns nach der Wohnung des Häuptlings. Europäern geziemt es, nur mit den Vornehmen zu verkehren. Wo wir auch seien, wir gehen immer geradeswegs zum Häuptling der Ortschaft und quartieren uns ohne viel Umstände bei ihm ein. Ein klafterlanges Stück Calico, welches, um die Hüften geschlungen, die Bekleidung beider Geschlechter bildet und „Sulu“ heißt, eine Hand voll Glasperlen, ein Messer oder ein Dutzend Angelhaken als Gastgeschenke berechtigen uns, in seiner Hütte zu schlafen, an seinem Feuer zu kochen. Was wir zu essen brauchen, müssen wir selbst mitgebracht haben. Höchstens daß der Wirth ein paar Taroknollen zur Mahlzeit beitragen kann. Schweine und Hühner sind zwar in jedem Dorfe, aber, zu besonders festlichen Gelegenheiten bestimmt, werden sie nur ungern und gegen hohe Bezahlung verkauft, und ihre Zubereitung erfordert mehr Umstände und Zeit, als wir gewöhnlich bei dem hohen Grade der Ermüdung und des Hungers abwarten können. Chocolade, Kaffee und Zwieback führen wir daher stets mit uns. Für Papageien- und Taubenbraten hat die Flinte gesorgt. Bereits auf dem Marsche haben unsere Burschen sie ausgeweidet und gerupft, so daß sie sogleich mit Salz und Pfeffer in den Topf gesteckt werden können, um die ganze Nacht über zu kochen und morgen, zu einem zarten mit Knochen durchspickten Fleischbrei aufgelöst, das Frühstück zu liefern.

Wir kriechen durch die niedrige Thür in’s Innere der Hütte. Zwei Feuer erhellen nur spärlich den dunklen Raum, entwickeln so viel stechenden Rauch, daß uns die Augen thränen, und beleuchten flackernd etwa zwölf nackte Kerle, die eng neben einander mit gekreuzten Beinen auf dem Boden kauern. Beim Häuptling eines Dorfes ist Abends fast immer Gesellschaft. Der Stab seiner Getreuen, meist bejahrte, grauhaarige Männer, kommt täglich um diese Zeit bei ihm zusammen, das Wohl der Gemeinde zu besprechen. Wir klettern über die ehrwürdige Rathsversammlung hinweg nach dem Hintergrunde der Hütte, wo etwas isolirt neben einem eigenen Feuer der Häuptling sitzt, mit einem Fächer sich und die Flammen bewedelnd. Wir reichen ihm die Hand, nehmen an seiner Seite Platz und kreuzen ebenfalls die Beine. Eine Menge Hände strecken sich uns aus der Dunkelheit entgegen, und wir schütteln sie alle der Reihe nach, ohne jedesmal den Eigenthümer zu sehen. „Sa yandre, sa yandre“.

Wir haben vielleicht glücklicher Weise noch einen kleinen Stearinkerzenstummel, dessen wir bei der ungenügenden Beleuchtung durch die flackernden Feuer bedürfen, um die Vorräthe auszupacken. Dieses künstliche Licht lockt eine Masse Neugieriger aus dem ganzen Dorfe herbei, und die Hütte füllt sich, bis sie keinen Menschen mehr fassen kann. Männer, Weiber und Kinder sitzen dicht gedrängt neben einander und bewundern uns und unsere europäischen Habseligkeiten. Mit dem größten Interesse wird Alles beobachtet, was wir thun, wie wir unsern harten Zwieback abbeißen und Chocolade dazu trinken, und öffnen wir eine der Taschen, so entsteht eine nicht geringe Aufregung, und man streckt die Hälse so weit wie möglich, um hineinzugucken. Das kärgliche Abendbrod, welches wir mit dem Häuptlinge und einigen Zunächstsitzenden theilen, die gierig und freudig die seltenen Kostbarkeiten ergreifen, beneidet von den weniger Glücklichen, ist bald verzehrt. Der Kerzenstummel wird ausgeblasen, und das größere Publicum der Weiber und Kinder verschwindet, zweifellos mit dem Bewußtsein, ein höchst merkwürdiges Schauspiel genossen zu haben.

Den Häuptling hat unsere Chocolade in die liebenswürdigste Stimmung versetzt. Er will sich nun revanchiren und ladet uns ein, mit ihm Kawa zu trinken.

Die Kawa oder Yankona, wie man auf Viti sagt, ist das allen Polynesiern bis auf die Maoris und von den Melanesiern auch den Vitis eigenthümliche Getränk, welches durch Kauen und Auslaugen der Wurzel einer Pfefferart, Piper methysticum, bereitet wird. Diese Wurzel ist ein Handelsartikel unter den Eingeborenen und in jedem Dorfe stets vorräthig zu haben. Zwei Jungen werden hinausgeschickt, davon zu holen. Aus einer Ecke wird die große, über ein halb Meter breite Kawa-Bowle, von hartem, dunkelbraunem Holz geschnitzt, in die Mitte gerollt. An einer Oese der Bowle ist ein Strick befestigt, welcher dazu dient, die höchste Person des Gelages zu bezeichnen, indem er in der Richtung nach dieser hin auf den Boden ausgestreckt wird, und man schiebt auf Befehl uns den ehrenden Strick zu. Links und rechts sitzen der Häuptling[1] und seine Freunde; gegenüber nehmen die Jungen Platz, die für uns kauen müssen. Sie zerschneiden die doppelt daumendicke, knotige und verästelte grüne Wurzel mit englischen Messern in mundgerechte Stücke, und jeder macht sich schweigend an seine Arbeit. Auf Viti wird die Kawa meistens von Jungen gekaut, auf andern Inselgruppen liegt dieses Geschäft den Mädchen ob.

Einer der Alten legt ein kurzes Bambusrohr quer über seine Kniee und klopft mit zwei dünnen Stäbchen einige Tacte darauf, zum Zeichen, daß ein Gesang angestimmt werden soll. Die Gesichter verziehen sich zu einem ernsten, wehmüthigen Ausdruck, und mit leiser, allmählich anschwellender Stimme beginnt eine einförmige, ewig wiederkehrende Melodie, die sich nur in wenigen Noten und im Daktylustempo (–˘˘) auf und nieder bewegt. Der Bambusmusikant schlägt den Tact dazu, und die Anderen begleiten ihren Gesang, der aus mehreren Strophen besteht, mit symmetrischen Armbewegungen, Hin- und Herbeugen des Oberkörpers und gleichmäßigem Händeklatschen. Jede Strophe schließt mit einem kurzen, fast bellend ausgestoßenen Vocal. In den Pausen herrscht die feierlichste Stille; keiner der Jungen wagt zu flüstern, und man hört dann nur das laute Krachen der Wurzeln zwischen den eifrig arbeitenden Kinnladen oder von draußen herein, wo die vom Silberlichte des Vollmondes übergossenen Palmen schimmern, das Zirpen der Cikaden. In der

  1. Vorlage: „Häupling“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 862. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_862.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)