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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

er gehörte zu den stolzesten Officieren des Corps, aber auch zu den tüchtigsten, galt allgemein für einen schönen und trotz seiner rauhen Art liebenswürdigen Mann.

Werner’s gekränkter Stolz verbot ihm, an Elise zu schreiben. Mit den Jahren aber wurde seine Stimmung milder, mitleidiger. Er nannte nun nicht mehr Verrath, was nur Schwäche gewesen sein konnte; er stellte sich vor, wie schwer man dem weichherzigen Mädchen den Kampf gemacht habe. Aber er kehrte nicht mehr in die Heimath zurück; eine tiefe Melancholie bemächtigte sich seiner und trieb ihn unstät in den einsamsten Gegenden Italiens und Siciliens um. Er verzichtete auf jedes Lebensglück, malte nur, um sich den nothwendigsten Unterhalt zu erwerben und die unerträglich langsam schleichende Zeit zu tödten. Erst als seine Schwester sich mit der Bitte an ihn wandte, sich ihres begabten Sohnes anzunehmen, der zu studiren wünsche, erwachte wieder lebendiger in ihm der Thätigkeitstrieb. Es freute ihn, nun doch einen Lebenszweck zu haben. Er wanderte nach der Schweiz und entdeckte das einsame Haus; der Eigenthümer, dem es wegen seiner Entlegenheit von der Stadt keinen Nutzen gebracht hatte, überließ es ihm gern für eine geringe Summe. Seine Bedürfnisse blieben auch hier die bescheidensten. Aber er malte nun eifriger, um seinen Neffen unterstützen zu können, der ihn dann auch besuchte und wegen der Aehnlichkeit mit seiner verstorbenen Mutter seine ganze Neigung gewann.

Das waren die Schicksale des Malers gewesen, den Irmgard, jenem dunkeln Zuge des Herzens folgend, der mitunter so wundersam leitet, aus seiner Klause herausgestöbert hatte, um ihm ein ungeahntes Wiedersehen zu bereiten.

Langsam ging er in seine Einsiedelei zurück und schlief bis an den hellen Morgen. So wohl und frisch wie lange nicht, stellte er sich sogleich an die Staffelei und malte fleißig einige Stunden lang. Die alte Ursel hörte ihn singen und schüttelte verwundert den Kopf dazu. Das war ihr wieder etwas Neues an ihrem sonst so grämlichen Herrn.

Er hatte eigentlich erst am nächsten Tage wieder nach der Stadt gehen wollen. Nun, gegen Abend, überlegte er doch, ob er nicht schon ruhig genug sei, Elise wiedersehen zu können. Es geschah so ganz unabsichtlich, daß er vor dem Spiegel stehen blieb und sich mit einer Art von Neugierde betrachtete. „Alt und grau,“ klagte er mit selbstquälerischer Uebertreibung, „weit über meine Jahre alt und grau. Oder zähle ich falsch? Wäre ich wirklich alt – zu alt für mein junges Glück? Wenn früh der Herbst gekommen ist, was nützt dem welken Laub der Sonnenschein! Hat Alles seine Zeit – auch der Widerstand gegen die Zeit? Nein, noch will ich hoffen. Hoffnung ist Jugend.“

Er nahm wieder das Medaillonportrait aus der Schublade, trat an’s Fenster und betrachtete es mit liebevoll prüfenden Blicken. „Sie ist’s nicht mehr,“ murmelte er, „und ist’s doch noch. Dieses Auge, ja, ja, so schlag sie’s wieder auf, als sie mich freundlich begrüßte. Wie schön sie ist – und jetzt wie vornehm in ihrer ganzen Haltung!“ Das gab ihm zu denken. „Ob sie zurückkehren kann, wie ich? Ob sie damals wirklich nur dem Zwange folgte, als sie … Und dann war sie eines Andern Frau, und saß an seinem Sterbebette, und – und die Tochter! Vielleicht blieb ich wirklich nur – der alte Freund, der gekränkte Freund, dem sie nun milde begegnet, da sie sich ihm verschuldet weiß. Sie kann nicht empfinden wie ich. Und doch, dieses Auge, es leuchtete darauf eine Freude auf, die vom tiefsten Herzen kam. Muth – Muth!“

Er eilte hinab in die Stadt und kehrte erst spät in seine Klause zurück. –

Nun änderte sich seine ganze Lebensweise. Bald war er nur noch Schlafgast in seinem Hause. Wenige Morgenstunden brachte er arbeitend vor seiner Staffelei zu; den größten Theil des Tages verlebte er unten in der Stadt in der Gesellschaft der beiden Damen. Stundenlang saß er im Pavillon, sah Elise auf die Hand, wenn sie arbeitete, lauschte entzückt ihren Worten, wenn sie sprach, und studirte mit heimlichen Blicken ihr Gesicht, wenn sie schwieg. Dann begleitete er sie und Irmgard bei weiten Spaziergängen und bei Fahrten auf dem See. Sie wurden unzertrennliche Gefährten, und es schien sich ganz von selbst zu verstehen, daß jeder folgende Tag sein müsse, wie der eben vergangene.

Bei alledem gewöhnte sich Irmgard nicht leicht an den sonderbaren Menschen, der ihrer Mutter so auffallend zugethan war und von dem sie doch vorher nie gesprochen hatte. Je mehr Mühe er sich gab, dem scheuen und doch wieder so selbstständigen Kinde Vertrauen einzuflößen, desto eigensinniger zog sie sich von ihm zurück. Der erste Eindruck schien bestimmend bleiben zu sollen. Der Mann, der viele Jahre wie außer der Welt gelebt hatte und mit seinen Erinnerungen an eine Zeit anknüpfte, über die für sie ein undurchdringliches Dunkel gebreitet war, behielt ihr etwas unheimlich Räthselhaftes. Der Machteinfluß, den seine Persönlichkeit so sichtlich auf die Mutter übte, beängstigte ihr so leicht erregbares Gemüth.

Ihre Mutter war wirklich eine ganz Andere geworden. Die ernste, immer nachdenkliche, oft schwermüthige Frau, die mit dem Leben abgeschlossen zu haben schien, die sich nur noch als ein Werkzeug betrachtete, das schwere Loos ihrer Mitmenschen zu mildern und Fremder Glück zu fördern, zeigte sich nun heiter und unternehmungslustig, ermunterte Irmgard zum Frohsein, betheiligte sich lebhaft bei der Unterhaltung über die weltlichsten Dinge, scherzte und lachte gern. Unrd warum modelte sie nun gar ihren Anzug? Es war Irmgard ein Stich in’s Herz, als sie eines Morgens von ihrem Kleide die schwarze Halskrause trennte und sie durch ein weißes Krägelchen ersetzte. Als dann gar nach einigen Tagen ein farbiges Band folgte, wurde sie ganz irre an ihrer Mutter. Sie wagte nicht ihrer Befremdung Worte zu geben, aber sie hielt sich den ganzen Tag über von ihr fern, zeigte ein finsteres Gesicht und gab mürrische Antworten, wenn sie doch nicht ausweichen konnte.

Weitere Ausflüge wurden unternommen, Dampfschifffahrten über die Seen, Bergtouren in’s Oberland; mitunter war man Tage lang unterwegs. Immer war Max Werner ihr Begleiter und Führer. Was Irmgard ein wenig mit der Nothwendigkeit versöhnte, sich seine Gesellschaft gefallen lassen zu müssen, war die reiche Ausbeute von landschaftlichen Skizzen, die sie jedes Mal nach Hause zurückbrachte. Er wußte so sicher die Standpunkte zu bezeichnen, von denen eine günstige Aufnahme zu erwarten war, daß ihr viel öfter als früher etwas gelang. Hätte sie ihm dafür nur dankbar sein können!

Wiederholt kreuzten sie auch die Spuren des Gerichtsraths Pfaff und der beiden lustigen Brüder. Endlich traf man auch mit ihnen zusammen, als sie eben die letzte Station machten, um dann geradesten Wegs in die nordische Heimath zurückzukehren. Der Referendar hatte diesmal mit seiner Galanterie gegen das Fräulein noch viel weniger Glück als beim ersten Begegnen. Irmgard ließ ihn empfinden, daß er recht eigentlich ihre Mißstimmung verschuldete. Warum hatte er ihr auch zugeredet, das Kärtchen im Atelier des fremden Malers zurückzulassen? Den Grund ihrer üblen Laune erfuhr er natürlich nicht. Als die Reisenden klagten, daß die schönen Ferien so schnell zu Ende gegangen seien, sagte sie dem Gerichtsrathe, der sich nicht genug über seiner verehrten Cousine frisches Aussehen freuen konnte: „Ich wünschte, Mama entschlösse sich, mit Ihnen zugleich aufzubrechen und nach Hause zurückzukehren.“ Die Aeußerung fiel so laut, daß sie von Frau von Wehr nicht überhört werden konnte. –

Eines Vormittags kündigte Werner an, daß sein Bild diesen Morgen fertig geworden sei, und lud feierlich zur Besichtigung ein. Er hatte früher nie den Wunsch ausgesprochen, Elise möchte sein stilles Heim besuchen. Nun schien die Erklärung dafür gegeben: er hatte abwarten wollen, bis er ihr ein würdiges Werk seiner Hand zeigen könnte. Sie sprach ohne Rückhalt ihre Freude über die Einladung aus und sagte ihr Kommen schon für diesen Nachmittag zu. Das hatte er so vorausgesetzt. Es sei zu ihrem Empfange alles bereit, versicherte er lächelnd, nur müsse sie versprechen, nichts Anderes zu sehen, als das Bild. Irmgard klagte über Kopfweh. Sie wollte damit ihr Zurückbleiben entschuldigen. Aber ihre Mutter erklärte nun, daß dann der Spaziergang überhaupt unterbleiben müsse. Das wollte sie doch nicht zu verantworten haben.

So stiegen die Drei nun in die Berge hinauf. Werner war in der heitersten Stimmung. Er reichte Frau von der Wehr den Arm und führte sie die bequemsten Wege zur Höhe. Irmgard folgte abseits allein, eine kleine Mappe in der Hand, und betheiligte sich wenig am Gespräch. Auf der Wiese, nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_023.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)