Seite:Die Gartenlaube (1878) 036.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

avancirte zum Rittmeister – sie blieben verbunden, der Rittmeister wurde etatsmäßiger Stabsofficier, zuletzt Oberst und Commandeur des Regiments, aber der Wachtmeister konnte nicht weiter avanciren. Verbunden blieben die Beiden gleichwohl auch jetzt, und als der Oberst mit dem Charakter als General seine Entlassung nahm, erbat er auch für den Wachtmeister Bannhart den Abschied mit dem Gesuch, ihm den Grad eines Lieutenants zu verleihen, was dem tapferen und angesehenen General von Waltershausen nicht abgeschlagen wurde – er und sein Lieutenant blieben weiter mit einander verbunden. Sie gingen nach der Waltersburg, der General machte hier seinen alten Waffen- und Kriegsgefährten zu seinnem Haushofmeister, damit er von den Strapazen des langjährigen Kriegsdienstes ausruhen konnte, und der Lieutenant konnte, auch wenn die vornehmste Gesellschaft da war zur Tafel und zu anderen Haus- und Familienfesten zugezogen werden. Freilich mußte er immer seinen Soldatenrock tragen, gewöhnlich die Interimsuniform, wie auch der General sie trug.

Die Stellung des Lieutenants im Schlosse erlitt durch den Tod des Generals keine Veränderung; denn sie war eine gewohnheitsmäßige und Allen unentbehrliche geworden. Der alte Herr hinterließ drei Söhne, von denen wir zwei kennen gelernt haben, sie bedurften einer kräftigen, zuverlässigen männlichen Stütze, welche sie an dem Lieutenant Bannhart auch fanden. Ein dritter Bruder war noch da, der zweitgeborene, Freiherr Ottokar, er wurde dem Soldatenstande gewidmet, gleich seinem Vater, und ihm wurde der alte Bannhart zugleich Instructeur.

Kehren wir in den Park zurück!

Der Haushofmeister hatte die beiden Freiherren erreicht. Er war trotz der Mitte seiner sechsziger Jahre eine derbe, kräftige, hochaufrechte Wachtmeister-Gestalt, der Rücken ungebeugt, das Gesicht starkknochig, das etwas struppige Haar grau, nicht weiß, die Haltung stramm, der Gang fest, die Interimsuniform von unten bis oben zugeknöpft. Es mußte heute etwas Ungewöhnliches an ihm wahrzunehmen sein; denn der Baron Adalbert fragte ihn sofort:

„Was ist Dir begegnet, Bannhart?“

Die beiden Brüder durften „Du“ zu ihm sagen – eine Gewohnheit aus ihrer frühesten Knabenzeit. Für alle anderen Bewohner des Schlosses war er „der Herr Lieutenant“, der Schloßherrin gegenüber hatte er freilich wieder eine besondere Stellung.

In dem knorrigen Gesichte des Lieutenants zeigte sich bei dieser Frage eine gewisse Verlegenheit; er schlug die Augen nieder.

„Begegnet ist mir wohl nichts, Herr Baron, aber muß man nicht in jeder nächsten Minute etwas erwarten?“

Er sprach ungewiß, die Augen konnte er noch nicht wieder erheben.

„Vernahmst Du etwas?“ fragte der Baron.

„Noch ist es ruhig da unten im Dorfe – es scheint wenigstens so.“

„Sahst Du meine Frau? Wir suchen sie.“

Die Verlegenheit des alten Mannes steigerte sich durch diese Worte des Barons zu einer auffallenden Angst.

„Gehen Sie nicht weiter, Herr Baron!“ ermahnte er, bat er.

Der Baron blickte ihn verwundert an.

„Aber warum nicht? Ist sie im Park? Sahst Du sie?“

Bannhart hatte sich gefaßt, in der Einsicht, daß er durch Unvorsichtigkeit etwas verrathen hatte, was er sorgfältig hatte verbergen wollen.

„Herr Baron,“ erwiderte er, „ich bitte Sie, kehren Sie um! Jeder Schritt weiter kann Sie in Gefahr bringen. Der Bauernadvocat ist schon seit drei Tagen im Dorfe, wühlt und hetzt die Bauern auf, und jetzt sind sie im Dorfkruge beisammen, schon den ganzen Tag. Jeden Augenblick können sie sich gegen das Schloß in Bewegung setzen. Ihr nächster Weg ist durch den Park, und sie haben hier zugleich den Vortheil, sich unbemerkt nähern zu können. Bedenken Sie, wenn die Menschen betrunken, aufgeregt, Ihnen hier begegneten!“

Die Mahnung war nicht ohne Wirkung geblieben. Der Baron Adalbert sann still nach. Kurt aber rief lebhaft:

„Laß sie kommen! Es sind Bauern. Sie sollen Respect vor ihrer Herrschaft haben.“

Der eigenthümliche Muth des zarten Herrn mit dem knabenhaften Gesichte konnte zwar den älteren Bruder nicht entflammen, kaum seine natürliche Ruhe stören, aber sie weckte die Erinnerung in ihm an den Zweck, der ihn in den Park geführt, den er wenigstens dem Bruder angegeben hatte.

„Meine Frau ist im Park, und sie könnte in Gefahr gerathen. Wir müssen sie aufsuchen.“

„Ja, ja!“ bestätigte der Baron Kurt.

Die Angst des alten Lieutenants hatte sich vermehrt.

„Sie werden sie nicht im Parke finden,“ erwiderte er ängstlich. „Kehren Sie mit mir um! Ich versichere Sie, es ist am besten so.“

Seine Dringlichkeit schien den Baron um so zäher gemacht zu haben.

„Ich kann meine Frau nicht im Stich lassen.“

„Und ich meine Schwägerin nicht,“ rief der Baron Kurt.

„Aber wo wollen Sie die gnädige Frau suchen?“

„Zunächst im grauen Pavillon. Sie geht am liebsten dahin.“

Durch das Gesicht des Lieutenants zog eine flüchtige Blässe. „Sie werden sie dort nicht finden,“ rief er.

„Und woher weißt Du das?“

Der Lieutenant hatte keine Antwort.

„Gehen wir zu dem Pavillon!“ drängte der Baron Kurt den Bruder und nahm dessen Arm. Beide gingen weiter in die Allee hinein, aus welcher der alte Bannhart gekommen war, und der Diener folgte ihnen. Bannhart sah ihnen mit den Zeichen des Schrecks nach. Nach einer halben Minute setzte er seinen Weg fort, dem Schlosse zu. – –

Der alte Bannhart hatte wohl Veranlassung gehabt, die beiden Brüder, besonders den Baron Adalbert, von einem Aufsuchen der Baronin in dem grauen Pavillon zurückzuhalten. Eine Viertelstunde vorher hatte in der Nähe dieses Pavillons sich etwas zugetragen, von dem der alte Soldat, wenn auch nur zum Theil, so doch immerhin genugsam Zeuge geworden war, um sich zu sagen, daß großes Unheil entstehen müsse, wenn außer ihm noch irgend Jemand Kenntniß davon erhalte.

Eine einsame Dame ging in der Nähe des grauen Pavillons unter hohen Bäumen und zwischen dichten Gebüsch auf und ab, eine auffallend schöne Frau, eine hohe Gestalt, die Gesichtszüge fein und edelgeformt. Sie war nicht mehr ganz jung; die erste Hälfte der zwanziger Jahre hatte sie jedenfalls überschritten, und für Augenblicke konnte man sie sogar für älter halten. Wie das Glück verjüngt, so machen Kummer, Schmerz und Gram den Menschen vor der Zeit alt. Kann doch eine einzige Nacht voll Angst und Schmerz den rüstigsten Mann in einen Greis verwandeln.

Die ganze Erscheinung der Dame verrieth einen tiefen inneren Schmerz, aber sie verrieth noch mehr, aus den großen dunkeln Augen, aus der Gluth, die sich plötzlich durch ihre bleichen Wangen ergoß, leuchtete eine wilde, unbezähmbare Leidenschaft hervor, die dieses schöne Weib zu verzehren drohte. Sie schritt unruhig, hastig umher. Plötzlich machte sie eine Pause; sie horchte auf, sie glaubte einen Schritt, ein Geräusch zu vernehmen. Jähe Gluth durchströmte ihr Gesicht. Allein Niemand näherte sich – sie hatte sich getäuscht, ihre Wangen wurden wieder bleich, und um ihre Mundwinkel zuckte der Schmerz. Unruhig, hastig schritt sie weiter.

In diesem Moment hatte der alte Bannhart sie gesehen und eine Weile beobachtet. „Arme, unglückliche Frau!“ mußte er sich mitleidig sagen und dabei doch mißbilligend das graue Haupt schütteln. Er durchstreifte den Park, um sich von der Bewegung und den etwaigen Schritten der Bauern zu überzeugen, von denen noch zum Abend ein Ueberfall erwartet wurde.

Lange stand er unschlüssig, ob er seine Gegenwart der Dame zu erkennen geben, ob er sie anreden, sie mit sich zum Schlosse zurücknehmen solle. Sie war die Schloßherrin, die Gemahlin des Freiherrn Adalbert.

„Nein,“ sagte er sich zuletzt. „Ich würde Oel in diese wilde Flamme gießen.“

Er konnte aber auch nicht zurückkehren; denn er mußte wissen, was sich weiter begeben werde. Der Hufschlag eines Pferdes wurde laut. Er ertönte aus dem Dickicht der Waldung, und zwar von einem Wege her, der zum Abholen des Holzes aus dem Walde diente und meistens nur den Arbeitsleuten des Schlosses, freilich auch den Gutsjägern, bekannt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_036.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2019)