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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Diese Wechselbeziehungen sind besonders durch den Oberlehrer Dr. Hermann Mueller in Lippstadt nachgewiesen worden, der in seinem Buche über „Die Befruchtung der Blumen durch Insecten“ (Leipzig 1873), einem Werke echtdeutschen Fleißes, die Ergebnisse unermeßlicher Beobachtungsreihen niedergelegt hat. Hermann Mueller wendete seine Aufmerksamkeit namentlich auch dem Baue des Insectenkörpers zu, indem er zeigte, wie dieser sich, nachdem in früheren Erdperioden der erste Versuch gemacht worden war, von Blumennahrung zu leben, diesem besonderen Nahrungszweige immer mehr angepaßt hat, bei Bienen und Schmetterlingen endlich lange Rüssel erlangte, um den Honig aus den längsten Blumenröhren, wie z. B. Nelken, Jelänger Jelieber etc. herauszuholen. Die Fortbildung der Blumen ist also mit derjenigen der Insecten Schritt um Schritt gegangen, es giebt nicht nur, allgemein gesprochen, Blumeninsecten und Insectenblumen, sondern nicht wenige Insecten und Blumen gehören ganz speciell zu einander, wie der Deckel auf das Töpfchen.

Indem die Insecten nun bei ihren Besuchen solche Blumen bevorzugten, die durch den natürlichen Abänderungstrieb der Naturdinge schöner oder sagen wir auffälliger geworden waren, als andere, verführen sie ganz wie ein Gärtner, der nur die schönsten Exemplare seiner Beete zur Samenzucht auswählt, die weniger schönen aber verwirft. Wir können uns durch diesen Zuchtproceß ganz wohl vorstellen, wie die schöneren Blumen durch allmähliche Abänderung aus den unscheinbareren hervorgegangen sind, indem die Insecten häuptsächlich die ersteren bevorzugten, die letzteren dagegen vernachlässigten. Dr. Hermann Mueller hat gezeigt, daß diese Schlußfolge sich sogar aus der Jetztwelt beweisen läßt. Er verglich unter Andern die Blüthen vier verschiedener Storchschnabelarten, nach ihrer Größe sowohl wie nach ihrem Insectenbesuche und fand, daß der Besuch ziemlich genau der Größe proportional ist: die größtblumige Art (Geranium pratense) wird am meisten, die mittlere seltener, die kleinstblumige Art (Geranium pusillum) niemals von Insecten besucht. Dasselbe kann man an unserem bekannten, durch sein Abänderungsvermögen ausgezeichneten Feldstiefmütterchen sehen, welches, zuweilen aus derselben Wurzel, ganz kleine gelbliche und viel größere blaue oder violette Blumen treibt. Die ersteren werden niemals, die letzteren stets von Insecten bestäubt. Man hat sogar die besondere Größe und Farbenschönheit der Alpenblumen durch denselben Grundsatz zu erklären gesucht, sofern nämlich auf den hochgelegenen Standorten der eigentlich in Betracht kommenden Alpenpflanzen sowohl die Zahl der Insecten als der sonnigen Tage, in denen erstere fliegen, viel geringer ist, als in der Ebene, sodaß eben nur die allerschönsten Arten Aussicht hätten, von Insecten bestäubt zu werden und Nachkommenschaft zu hinterlassen. Der eben erwähnte, unermüdliche Naturforscher bringt bereits seit einer Reihe von Jahren seine Ferienwochen allsommerlich in den Hochalpen zu, um die hier waltenden Naturgesetze zu ergründen.

Ganz die nämliche Bewandtniß, welche es mit der Farbenschönheit und sonstigen Augenweide der Blumen hat (sofern sie ihnen selbst im hohen Grade nützlich wurde, und eben deshalb so ausgezeichnete Stufen erreichen konnte), scheint es auch mit dem Dufte der Blumen zu haben, denn auch dieser dient augenscheinlich dazu, Insecten anzulocken. Bekanntlich duften die meisten Pflanzen am Abend, wenn die Farben nicht mehr recht wirken können, am stärksten, ja der Duft kann die Farbe überflüssig machen, und besonders stark duftende Nachtblumen, die auf die Anlockung von Nachtschmetterlingen eingerichtet sind, haben oft sehr unscheinbare trübe Farben, oder halten ihren Kelch tagüber wohl gar völlig geschlossen, um unützen Honigdieben den Zugang zu wehren. Auch die Ausbildung dieser Annehmlichkeit verdanken wir also allem Anscheine nach den Blumenzüchtern der Urzeit, den Insecten, wobei es ein glücklicher Umstand ist, daß ihr Geschmack im Allgemeinen mit dem menschlichen übereinstimmte. Freilich haben uns die Aasfliegen dabei den schlechten Streich gespielt, auch einige Pflanzen, welche aasähnliche Gerüche entwickelten, der Nachwelt zu erhalten, aber sie bekommen ihre Strafe selbst dafür, denn der Instinct ist auch nicht unfehlbar, und ihre auf solche Blumen abgesetzte Eierbrut geht elendiglich zu Grunde.

Alles, was wir bis hierher über die Naturzüchtung schönfarbiger, großer und duftender Blumen gesagt haben, beruht auf der Voraussetzung, daß die Kreuzbefruchtung den Pflanzen nützlich sei, aber diese Voraussetzung war bisher, obwohl durchaus wahrscheinlich, doch nur durch sehr vereinzelte Versuche gestützt worden. Der bewunderungswürdigen Ausdauer und Arbeitskraft Charles Darwin’s haben wir nunmehr auch den Nachweis zu danken, daß das angedeutete Fundament der Blumentheorie wohl gegründet war. In seinem vor ungefähr Jahresfrist erschienenen Buche über die Wirkungen der „Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzenreiche“[1] hat Darwin die Resultate elfjähriger, an Tausenden von Pflanzen angestellter praktischer Versuche dargelegt, aus denen unzweifelhaft erhellt, daß im Allgemeinen die Selbstbestäubung der Pflanzen eine schwächliche Nachkommenschaft zur Folge hat, während die Kreuzbefruchtung, wie sie die Insecten verrichten, eine stärkere und kräftigere Nachkommenschaft liefert. Die Beschreibung dieser mit unendlicher Geduld und Sorgfalt angestellten Versuche können, wie alle Werke Darwin’s, Jedem, der daran zweifeln möchte, den Beweis liefern, auf wie soliden Grundlagen die Weltanschauung dieses großen Naturforschers aufgebaut worden ist. Die Leser der Gartenlaube aber wollen wir hiermit auf ein Beobachtungsfeld hingewiesen haben, welches, kaum von dem Streite der Tagesmeinungen berührt, einem Jeden die lebhafteste Befriedigung und die reichste Ausbeute verspricht. Als einführendes Werk, welches auf die obengenannten drei Hauptwerke über diesen Gegenstand vorbereitet, wollen wir nicht unterlassen zum Schlusse auf das kleine vortreffliche Buch von Sir John Lubbock „Blumen und Insecten in ihrer Wechselbeziehung“ (Berlin, Gebr. Bornträger 1876) hinzuweisen.


Auf Waltersburg.
Novelle von J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)

Der Rentmeister reiste unverzüglich in die Hauptstadt der Provinz ab, hatte hier zunächst eine Besprechung mit dem Rittmeister Ottokar von Waltershausen, dessen Regiment zu der Garnison der Stadt gehörte, und fand ihn zu der Expedition bereit. Er brachte seine Anträge bei dem Oberpräsidenten der Provinz vor und erhielt deren Genehmigung in allen ihren Theilen. Mit dieser Nachricht war er in der Nacht wieder auf der Waltersburg. Hier hatte der brave Mann, der Vertraute aller Geheimnisse des Schlosses, zunächst eine schwere Aufgabe zu erfüllen. Er sah noch Licht in dem Zimmer der Baronin, ließ sich durch ihre alte Kammerfrau sofort bei ihr melden und wurde angenommen. Sie erwartete ihn mit bleichem Gesicht.

„Ich komme aus der Stadt, gnädige Frau.“

„Ich weiß es.“

„Sie wußten es?“

„Ich errieth es.“

Ein Seufzer, ein trauriges Lächeln begleiteten ihre Worte.

„Sie wollten,“ fuhr sie fort, „uns Hülfe holen gegen einen Ueberfall der Bauern. Sie erhielten sie?“

„Ich erhielt sie.“

„Und Sie wollen mir Nachricht bringen – über den Officier, der das Commando führt?“

„Der Herr Baron Ottokar.“

„Ich hatte es erwartet. Wann wird mein Schwager eintreffen?“

„Morgen gegen Abend.“

„Haben Sie meinem Manne schon die Meldung gemacht?“

„Bei dem gnädigen Herrn sah ich kein Licht mehr.“

„Und bei mir sahen Sie es noch? Ich danke Ihnen. Haben Sie noch eine besondere Mittheilung für mich?“

„Nein, gnädige Frau.“

„So habe ich einne Bitte an Sie.“

„Befehlen Euer Gnaden!“

  1. Deutsch von V. Carus. Stuttgart, Schweizerbart (E. Koch).
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_052.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)