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verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

in deutschen Landen. Bauernkrieg, Bauernaufruhr, Bauernunruhen sind vielfache Episoden in der deutschen Geschichte; sie bilden die grausamsten, die zerstörendsten, die traurigsten Phasen dieser Geschichte. Wie konnte es auch anders sein? Hatten doch die reichen Klöster von ihren „eigenbehörigen“ Bauern das lateinische Sprüchwort: „Rustica gens optima flens, pessima ridens“. Wir werden bald eine deutsche Uebersetzung der Worte kennen lernen. Und eine wie unendlich bessere Lage hatte der Klosterbauer gegenüber dem „eigenbehörigen“ Amts- oder Gutsbauer!

Die Bauernunruhen gingen in der Zeit, aus der wir erzählen – sie liegt kaum zwei Generationen hinter uns – wie eine entsetzliche Epidemie durch deutsche Lande; sie verbreiteten sich von Dorf zu Dorf, von Kreis zu Kreis, von Provinz zu Provinz. Sie waren in erster Linie gegen die Gutsherren gerichtet, in zweiter Linie gegen die Pfarrer.

Das Dorf Waltershausen war lange von ihnen verschont geblieben. Da eilte eines Tages durch das Dorf die Nachricht, der Bauernadvocat sei da, sei im Kruge; er bringe eine neue Lehre mit, das Bauernvolk frei, reich und glücklich zu machen. Er wolle die Lehre auch den Bauern in Waltershausen, seinen Landsleuten, verkünden; wer sie hören und frei, reich und glücklich werden wolle, brauche nur zu ihm in den Krug zu kommen. Wer wäre da nicht gekommen?!

Doch! Es gab in dem Dorfe manche, besonders ältere Leute, die an dem Spruche festhielten: „Neue Lehr’, Irrlehr’!“ und die von dem neuen Propheten um so weniger etwas wissen wollten, als sie auch einen anderen Satz anerkannten: „Daß der Prophet in seinem Vaterlande nicht gelte.“ Aber die älteren Leute sind überall die wenigeren, und der Verständigen sind noch weniger.

Georg Hausmann, ein früh verlebter, früh verkommener Mensch, mit einem grauen, aufgedunsenen Gesicht, mit frechen, falschblickenden Augen, halb städtisch halb bäuerisch gekleidet, war ein Kind des Dorfes. Schon als Knabe trotzig und aufsässig in der Schule, dann ebenso als Bursch in der Kinderlehre beim Pfarrer, hatte er später noch weniger gut gethan, als Faulenzer und Zecher in den Kneipen herumgelungert, betrogen und gestohlen und der Bestrafung sich endlich durch die Flucht entziehen müssen. Lange hatte man dann nichts von ihm gehört, bis man erfuhr, er habe in der Fremde sein Glück gemacht; er sei Schreiber bei einem Advocaten geworden, dessen rechte Hand er sei. Freilich kamen dann wieder andere Nachrichten über ihn; es hieß, der berühmte Advocat sei ein berüchtigter Rabulist; Georg Hausmann habe ihm bei seinen schlechten Streichen geholfen, dann ihn selbst betrogen und bestohlen, wie seine früheren Herren, diesmal habe er aber seiner Strafe sich nicht entziehen können; er sitze im Zuchthause. Dann hörte man wieder nichts von ihm, bis er plötzlich im Dorfe erschien und den Bauern sich selbst als Advocat vorstellte, der ihnen in Ausführung ihrer Rechte gegen die Bedrückungen der Gutsherrschaft behülflich sein wolle. Die Bauern in Waltershausen wollten nichts von ihm wissen. Er mußte seinen Wanderstab weiter setzen, und man vernahm, daß der Bauernadvocat – so nannte man ihn jetzt – in einer anderen Gemeinde sein Glück gemacht habe. Da brachen die Unruhen im Lande aus. Georg Hausmann erschien wieder im Dorfe und wurde jetzt der Prophet seiner Heimath.

Er war nicht allein gekommen. Ein junger, feiner, bildschöner fremder Herr sei in seiner Begleitung, hieß es. Gesehen hatte Niemand den Begleiter. Allein an demselben Abend, an dem der Bauernadvocat eintraf, war noch spät im Kruge ein Fremder erschienen, der ein Nachtquartier und Nachtessen bestellt, sich sogleich in sein Zimmer verfügt und dieses nicht wieder verlassen hatte. Nur die aufwartende Magd wollte seiner einen Augenblick ansichtig geworden sein; sie versicherte, daß er sehr vornehm, aber auch sehr blaß aussehe.

Zum Kruge hatte Georg Hausmann die Bauern auf den Tag nach seiner Ankunft eingeladen; er habe ihnen eine Ansprache zu halten, und sie über ihre Menschenrechte zu belehren. Er hatte noch alte Bekannte im Dorfe, die zu seinen Diensten waren. Wo fände ein verkommener Aufwiegler nicht solche verkommene Genossen? So hatte denn mehr als das halbe Dorf im Kruge sich eingefunden; die Neugierde hatte dazu beigetragen; denn Alles wollte zugleich den geheimnißvollen, vornehmen Fremden sehen. Die Meisten waren wohl zugleich mit Mißtrauen erschienen, aber sie waren doch da. Und Georg Hausmann, wenn er sie auch allein, ohne seinen geheimnißvollen Begleiter empfing, hatte sogleich Worte für sie, die sie noch nicht gehört hatten.

„Meine theueren und geehrten Landsleute, der Bauer ist lange ein Sclave gewesen, der Knecht Anderer, der Pflug und der Dreschflegel für Andere, für Blutsauger, die er mästen mußte, während er selbst hungert und darbt. Das muß anders werden. Auch der Bauer soll ein Mensch werden und Menschenrechte haben. Er soll nicht mehr der Diener hochmüthiger Edelleute, habsüchtiger heuchlerischer Pfaffen sein. Fort mit solchem Gezücht! Fort, fort!“

Jedes Wort Hausmann’s war ein Blitz, der einschlug und zündete, und er hätte sicher damit sein Spiel zu gewinnen vermocht, denn die Menge ist leicht zu verführen, aber er wollte noch ein besonderes Spiel; er wollte ein Schauspiel aufführen.

„Von Eurer Schloßherrschaft hier, von Eurem geistlichen Herrn soll Euch ein Anderer sprechen. – Ah, da ist er. Da kommt er gerade zur rechten Zeit – mein hochverehrter Reisegefährte und Freund.“

Ein Fremder war in dem Augenblicke in die Versammlung eingetreten, ein feiner, bildschöner junger Mann, wie man ihn schon geschildert hatte. Sein vornehm geschnittenes Gesicht war bleich und trug das Gepräge tiefer Melancholie. Seine Haltung war eine edle, seine Kleidung eine gewählte. Er war still eingetreten, als ob er nicht bemerkt sein, nicht die geringste Störung verursachen wollte. Als Georg Hausmann auf ihn aufmerksam machte, erröthete er und schlug die Augen nieder; die Blicke aller Anwesenden richteten sich auf ihn. Um so interessanter war seine Erscheinung den Bauern, und ihre Mienen teilten es einander mit. Er ließ sich in einem Winkel nieder.

Georg Hausmann fuhr in seiner Anrede sort: „Mein hochverehrter Freund! Der Freund jedes Armen, Unterdrückten, Mißhandelten, der selbst so viele Mißhandlungen erdulden mußte! Laßt Euch von ihm erzählen! Doch nein! Das Herz würde ihm brechen. Höret von mir seine Schicksale, seine Leiden! Er ist der Sohn eines hohen, angesehenen Beamten. Auch ihn, den studirten Mann, erwartete eine ausgezeichnete Laufbahn im Staatsdienste. Da machte er die Bekanntschaft einer Dame, die jung und schön war, vielen Verstand hatte und ein gutes Herz zeigte, das aber in Wahrheit voll Tücke, Bosheit und Hinterlist war. Sie fing den arglosen jungen Mann in ihren Netzen, heuchelte ihm Liebe, entzündete sein Herz, bethörte seinen Verstand, das Alles, damit er ihr zum Deckmantel diene für ein lasterhaftes Leben, das sie mit einem andern Manne führte. Ihr, meine verehrten Landsleute, kennet die Dame, kennet den Mann. Ich nenne sie Euch hier nicht öffentlich; Zorn und Wuth, die ich nicht in Euch heraufbeschwören will, würden Euch ergreifen. Aber mein Freund – nein, auch er soll sie Euch nicht nennen; es wäre seiner unwürdig, als Denunciant vor Euch aufzutreten. Und doch müssen Euch Beweise erbracht werden. Erwählt daher aus Eurer Mitte zwei Männer, die ältesten und verständigsten, zu denen Ihr das meiste Zutrauen habt! Sendet sie zu mir, und sie sollen die Namen von mir erfahren, Namen, über die sie, über die Alle erschrecken werden, welche sie hören. Das aber nachher. Jetzt berathen wir zunächst über Euch, über Eure Lage, über den Druck, unter dem Ihr gehalten werdet, und über die Mittel, Euch ein anderes Leben zu verschaffen, Euch die Freiheit, ein würdiges Dasein wieder zu geben. Zwei Feinde hat der Bauer, den Gutsherrn, dem sein Leib eigen ist, und den geistlichen Herrn, der ihm die Seele unterjocht, vergiftet. Wißt Ihr, wie sie über den Bauer denken? Sie haben ein Sprüchwort, welches heißt: ‚Wenn der Bauer lacht, er seinen Herrn veracht’; wenn er weint, ist er unser Freund.‘ Wenn Euch wohl zu Muthe ist, wenn Ihr Freude im und am Leben habt, dann sieht der Edelmann und der Pfaff Euch als seine Feinde an, wenn es Euch aber schlecht geht, wenn Ihr ihnen zinsen und schaarwerken und selbst mit Weib und Kindern darben und hungern müßt, dann seid Ihr ihre lieben Freunde. Soll das ferner so bleiben? Wollt Ihr das noch immer geduldig auf Euch nehmen, wie Ihr es schon so lange gethan habt? Es hängt nun von Euch ab, freie Menschen zu werden. Es ist so leicht. Ihr habt nur zu thun, wie es Hunderte, wie es Tausende von Gemeinden im deutschen Vaterlande schon gethan haben. Ziehet auf das Schloß zu Eurem Gutsherrn, leget ihm eine Urkunde zum Unterschreiben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1878, Seite 055. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_055.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)