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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Er wartete die Zustimmung nicht ab.

„Sie scheinen hier genau bekannt zu sein,“ meinte der Referendar.

„Ich bin wenige Meilen von hier geboren,“ erklärte sein Führer, „und habe als Knabe oft die Gegend durchstreift.“

Hell sah ihm mit einem prüfenden Blick unter den breiten Strohhut. Hier im Samlande geboren? Er hätte ihn eher für einen Süddeutschen gehalten, der sich lange Zeit in Italien umhergetrieben. Die dunkle Gesichtsfarbe, das braune lockige Haar, der krause Bart und das glänzende Auge schienen dafür zu sprechen. „Sie besuchen wohl nach langer Abwesenheit die Ihrigen?“ fragte er neugierig.

„Vielleicht,“ antwortete der Fremde, „obgleich das nicht gerade der Zweck ist, der mich herführt. Ich finde in der Heimath vieles verändert. Meine Mutter ist todt, mein Vater hat zum zweiten Mal geheirathet und stand mir nie so nahe wie sie. Ich bin seit meinem zehnten Jahre auswärts erzogen und ausgebildet worden, habe mich dann viel im Auslande aufgehalten, um meine Studien zu vervollständigen, und finde dort kaum noch die Menschen, die ich verstehe und die mich verstehen.“

„Sie sind …?“

„Architekt. Ich war zuletzt in Berlin beschäftigt und wurde von dort aus einer reichen Dame empfohlen, die in Königsberg ein großes Siechenhaus zu bauen beabsichtigt. Ich habe die Pläne entworfen und wollte ihr dieselben vorlegen, erfuhr aber in ihrer städtischen Wohnung, daß sie kürzlich für den Sommer nach Rauschen verzogen ist, und gedenke sie nun dort aufzusuchen. Der Bau soll im Herbste, spätestens im nächsten Frühjahr beginnen.“

„Die Dame ist eine Frau von der Wehr – nicht wahr?“

„Ganz richtig – so heißt sie. Ihr Mann war Oberst – und ist im Kriege gefallen. Das hat sie sich so sehr zu Herzen genommen, daß ihr ein wohlthätiges Werk in großem Stil Bedürfniß geworden. Nun – wenn das Haus nach meinen Entwürfen gebaut wird, geht ein hübsches Vermögen zu frommen Zwecken drauf, die mich übrigens nur so weit kümmern, als sie meine architektonischen Ideen beeinflussen müssen.“

„Es ist von dem Project viel gesprochen worden.“

„Das kann ich mir vorstellen. Dem Mittelalter war diese Art von Frömmigkeit gewohnter, aber warum soll sie nicht auch in unsern Tagen einmal herzlich gut gemeint sein? Ich mache mich auf ein paar Original-Figuren gefaßt.“

„Sie kennen Frau von der Wehr nicht?“

„Weder diese alte Dame, noch ihre – ich hätte beinahe gesagt: noch ältere – Tochter, von der in den Briefen viel die Rede ist, als der eigentlichen Stifterin. Alte Jungfern scheinen wirklich manchmal älter zu sein, als ihre Mütter.“

Der Referendar lachte, „Sie gehen gründlich fehl. Frau von der Wehr ist eine Dame Mitte der Dreißiger und noch immer so schön, daß sie auch einem jungen Mann gefährlich werden könnte.“

„So –!“

„Und was Fräulein Irmgard anbetrifft –“

„Irmgard! Ein Name, passend für das Personen-Verzeichniß eines Ritterschauspiels, in dem einige Gespenster unseliger Ahnen umgehen. Ich habe sie mir lang und hager vorgestellt, mit scharfkantigen Schultern, hohen Halse, sehr edler Nase, blonden, in dünnen Spiralen an den bleichen Wangen niederringelnden Locken und ziemlich großen Händen. Uebrigens eine milde, gottgefällige Seele, erhaben über jede Versuchung der Welt. Trifft das zu?“

Hell lachte noch lauter. „Der Himmel verzeihe Ihnen,“ rief er, „was Ihre Phantasie da gesündigt hat! Sie werden ein reizendes junges Mädchen finden, das den einen einzigen, allerdings riesengroßen Fehler hat, durchaus nicht heiraten zu wollen; ich füge hinzu: ohne deshalb das männliche Geschlecht principiell zu hassen. Das Fräulein ist sehr liebenswürdig, und ich selbst …“

„Ah! Sie selbst –?“

Der Referendar sah verschämt lächelnd zur Erde. „Ich habe wenigstens die Genugthuung, nicht der Einzige gewesen zu sein, der einen Korb erhalten hat. Ich denke, wenn er mit der friedlichen Erklärung erteilt wird, daß man dem Ehestande überhaupt abgeschworen habe, ist die Sache nicht so empfindlich, daß man Grund hätte, sie geheim zu halten.“

„Sie scheinen sich glücklicherweise auch schnell getröstet zu haben.“

„Pah! ich habe nun einmal keine Anlage zum Ritter Toggenburg. Uebrigens eilt es mir nicht; ich mache erst im nächsten Winter das Staatsexamen und komme immer noch zur Zeit unter die Haube – oder unter den Pantoffel. Ich glaube, meine Frau wird es mit mir einmal sehr leicht haben.“

„Um so bedauerlicher, daß Fräulein Irmgard ihren Vortheil so schlecht verstanden hat.“

„Spotten Sie nur! Die Sache hat aber auch noch eine andere Seite. Eine junge schöne Dame –“

„Auch schön, wie die Mama?“

„Bildschön. Eine junge schöne Dame von kaum siebenzehn Jahren, sage ich, die das Heirathen verschworen hat und mit ihrem sehr namhaften Vermögen ein Spital gründen will … Sie werden mir zugeben, daß da etwas im Herzen nicht ganz richtig sein kann –“

„Oder im Köpfchen.“

„Sei dem, wie ihm sei: es hat immer seine Gefahr für den Mann, der etwa doch in einer schwachen Stunde Gehör findet.“

„Wenn er nicht ein ganzer Mann ist.“

„Nehmen Sie sich in Acht!“

„Ach, ich –! Ich habe in aller Herren Ländern schöne Frauen gesehen, und gefährlich ist mir noch keine geworden. Es scheint, daß ich gar kein Organ für das Gefühl mitbekommen habe, das man Verliebtsein nennt. Halten Sie mich deshalb weder für einen Philister, noch für eine kalte Seele! Aber ich habe eine angeborene Abneigung gegen alles, was sich mir in verschwommener Farbe und unklarer Form darstellt. Ich baue nicht nur mit Ziegelsteinen, sondern auch mit Empfindungen, und was meinem Herzen etwas sein soll, muß sich darin auf sicherm Fundament nach allen Regeln der Kunst zu einer planen Gefühlsdarstellung ausbauen. Ich kann eine Landschaft enthusiastisch bewundern, aber nur dann, wenn sie mir in ihren Grundlinien imponirt; ich lasse mich von einem Drama fortreißen, wenn es in seinem architektonischen Ausbau glücklich ist; ich bin entzückt von einer Musik, die aus wenigen charakteristischen Tönen hervorwächst, bei allem Reichthum der Wandlungen des Motivs einheitlich bleibt und sich in der Höhe für das empfindsame Ohr verständlich gliedert, statt in einem Tonschwall zu verschwimmen. Das Gefühl, das eine schöne Frau in mir erregt, hält diesen kritischen Anforderungen nicht Stand; es ist zu unruhig, zu unbestimmt, zu formlos, zu sehr Farbe und zu wenig Grundriß, zu viel Façade und zu kümmerlicher Innenbau – verzeihen Sie diese rein technische Begriffsbestimmung!“

„Aber bei so ketzerischen Ansichten müssen Sie ein Junggeselle bleiben.“

„Das ist ja doch noch nicht das Schlimmste. – Warum sind denn übrigens die Damen nach Rauschen gezogen? Für eine reiche Frau, die an Comfort gewöhnt ist, kann in dem Fischerdorf kaum ein angemessenes Quartier zu finden gewesen sein, die Verhältnisse müßten sich denn seit meiner Knabenzeit sehr geändert haben.“

Der Referendar zuckte die Achseln. „Und Frau von der Wehr logirt, wie ich gehört habe, nicht einmal im Gasthause, sondern hat auf dem Berge eine Wohnung gemietet. Sie will nun einmal möglichst aus der Gesellschaft, möglichst in die Einsamkeit; da mag der stille Ort mit seiner ländlichen Idylle gerade ihren Wünschen entsprechen. Irmgard zeichnet gern nach der Natur und ist dort ganz ungestört.“

„Also auch Dilettantin mit dem Bleistift! Nun – man wird’s ja überwinden, selbst wenn ein Tuschkasten dabei sein sollte. Einmal wieder nach Rauschen zu kommen, ist mir lieb. Ich trieb mich als Junge in den Sommermonaten viel dort um, den Malern aufzulauern – dachte damals selbst daran, einer zu werden, wie mein Onkel. Es war mir eine Seligkeit, ihnen Mappe, Farbenkasten und Schirm tragen zu dürfen und gar über die Schulter zuzugucken; all’ die naturwüchsigen Schönheiten unserer Haide, unserer Strandberge, unserer Schluchten und Buchten lernte ich mit ihren Augen sehen – da prägen sie sich

dem Gedächtniß unvergeßlich ein. Es ist doch ein Stückchen Erde, das der liebe Gott bei sehr guter Laune geschaffen hat, und was mir besonders daran gefällt: es sieht noch immer beinahe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_060.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)