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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


im Zorn von diesem geschieden war, bewies ihre warme Theilnahme an seinem Schicksal. Wenn sie aber auch schwieg, weil sie litt, warum entzog Irmgard ihm ihr Vertrauen? Jetzt gerade hätte es sich bewähren müssen. Sich von ihr zu lösen, war schon eine sehr schwere Aufgabe, aber er fühlte sich in recht geärgerter Stimmung und hatte das Bedürfniß, irgend etwas zu thun, was eine männliche Haltung bekundete, ohne doch ganz zu brechen.

So wanderte er denn eines Morgens in’s Land hinein, seinem Heimathsdorfe zu, dem er noch den Besuch schuldig war. Er konnte sich dort aufhalten, so lange es ihm gefiel, und auch wieder rasch zur Stelle sein, wenn man ihn rief oder das Herz ihn zurücktrieb. Er ließ im Gasthaus Kunde zurück, wo er zu finden sei, sagte aber den Damen nichts von seinem Vorhaben, um doch zu zeigen, daß er seine freundschaftlichen Mittheilungen nicht aufdringen wolle. Das kam ihm schon nach einer halben Stunde Weges wie kindischer Trotz vor, aber es war nun nichts mehr zu ändern.

Irmgard erschrak, als er nicht zur gewohnten Stunde kam. Es war ihr gleich gewiß, daß es seine Absicht war, nicht zu kommen. Sie hatte den Wunsch gehabt, er möchte abreisen, wo möglich erklären, daß er den Bauauftrag zurückgebe; sie sagte sich, daß ihre Mutter durch ihn immer wieder an Max Werner erinnert werden müßte. Nun er sich aber wirklich zurückzog, fühlte ihr Herz einen so heftigen Schmerz, daß sie sich Vorwürfe machte, ihn vertrieben zu haben, denn daß sie es war, die ihn vertrieb, darüber tauchte nicht der mindeste Zweifel bei ihr auf. Und sie hätte ihn doch beim besten Willen nicht sagen können, was sie ihm so plötzlich entfremdete. Konnte sie’s doch sich selbst nicht einmal klar sagen!

Was ihr bis vor Kurzem als das allein Rechte und Richtige erschienen war, gerieth in ihrer Vorstellung nun in’s Schwanken. Aber nicht der Verstand rüttelte daran, sondern das Herz, und die Stimme, die sich da heimlich mahnend vernehmen ließ, hatte vorher nie mitgesprochen. Sie sprach auch jetzt nicht in Worten, es war ihr nicht Antwort zu geben in Worten. Sie wirkte wie eine das Gemüth besänftigende und zu mildester Stimmung zwingende Musik. In die Zukunft konnte sie gar nicht denken, es gab nichts Zukünftiges für sie, nur eine Gegenwart, die sie zugleich beglückte und beängstigte, und eine Vergangenheit, in der vor ihren Augen zerbröckelte, was sie felsenfest gedünkt hatte. Das Bild des Vaters erblaßte, wenn sie sich den Lebenden vorstellte, und nahm eine festere Gestalt an, wenn sie an dem Todten dachte. Er war nun wirklich gestorben, und was in ihr von ihm fortlebte, das begehrte für sich kein ausschließliches Recht, das konnte nicht beeinträchtigt werden durch ein anderes Gesicht. Und je mehr dieses andere Gefühl erstarkte, desto schwächer äußerte sich der eifersüchtige Drang, im Herzen der Mutter das Andenken an den Vater durch keine andere Neigung gestört zu wissen. Sie fing an – was früher nie geschehen war – darüber zu grübeln, wie es wohl möglich gewesen sein könnte, daß ihre Mutter als junges Mädchen den Maler liebte und daß sie sich doch fremden Wünschen fügte. Hatte sie sich doch vor einem Jahr, gewiß mit sehr schweren Herzen, ihren eigenen Wünschen gefügt!

Nun erst begriff sie, daß ihre Mutter ihr ein Opfer gebracht haben müßte, so groß sie’s in ihrem kindischen Eifer nie zu fordern gemeint hätte. Max Werner erschien ihr jetzt in ganz anderem Lichte; sie empfand nicht nur aufrichtiges Mitleid mit ihm, er wurde ihr auch ein viel liebenswürdigerer Mensch. Es erschreckte sie nicht mehr, an den Augenblick zurückzudenken, als sie ihre Mutter in seinen Armen sah. Daß sie den nächsten Anlaß zum Wiederfinden der Beiden gegeben hatte, war sie nun schon sehr geneigt, als eine Fügung des Himmels anzusehen, die ihr Unverstand gewaltsam anders lenken wollte. Ihr eigenes Mißbehagen empfand sie nun wie eine Strafe dafür.

Sie konnte das bekümmerte Gesicht der Mutter nicht mehr betrachten, ohne im Innersten beunruhigt zu werden. So entschloß sie sich denn, sie zu nöthigen, das Schweigen zu brechen. „Es kann so zwischen uns nicht bleiben, Mutter,“ sagte sie, ihre Hand ergreifend und mit heißen Küssen bedeckend. „Ich erkenne jetzt erst, wie weh ich Dir gethan habe. Laß mich Alles wissen -“

„Wovon sprichst Du?“ fragte Frau von der Wehr kalt ablehnend.

„Von meiner Thorheit und Lieblosigkeit,“ rief Irmgard, „von Deinem Unglück, von dem trostlosen Schicksal eines Mannes, den ich –“

„Das ist vorbei,“ unterbrach die Mutter, „rühre nicht daran!“

„Und doch laß mich mehr erfahren, als ich damals in meinem kindischen Unverstand hören wollte! Du botest mir Deine Freundschaft an, Mutter – ich trotzte auf Deine Liebe; ich rang Dir ein Opfer ab, dessen Größe ich gar nicht erfassen konnte. Und gewiß, ich wäre sehr unglücklich gewesen, wenn Du mir es nicht gebracht hättest; ich glaubte es allen Ernstes nicht erleben zu können, Dich so zu verlieren. Jetzt denke ich ruhiger darüber. Wenn heute dieselbe Frage –“

Frau von der Wehr schüttelte der Kopf. „Das Schicksal stellt dieselbe Frage nie zweimal. Sie ist beantwortet.“

„Aber ich sehe Dich schwer leiden, Mutter, ich mache mir Vorwürfe – ich weiß, daß ich Dir und ihm Unrecht that.“

„Dein Bedenken kommt zu spät.“

„So versage mir wenigstens Dein Vertrauen nicht, damit ich ganz mit Dir fühlen kann! Es darf nicht etwas zwischen uns stehen, das ängstlich gemieden werden muß. Nicht wahr, Du liebtest jenen Max Werner -“

„Sprich nicht von ihm!“

„Du liebtest ihn, bevor Du meinen Vater kanntest? Es muß so sein.“

„Es war so.“

„Und Du hast meinen Vater Deine Hand gereicht – ohne …“ Ihre Stimme zitterte.

„Ohne tiefere Herzensneigung – gezwungen.“

„Gezwungen? Durch wen gezwungen?“

„Durch meinen Vater. Es war meine Schwäche, daß ich nachgab; Du weißt, wie schwach ich bin.“

„Aber wie konnte ein Vater …?“

Ein strafender Blick traf sie. „Wie konnte ein Kind –?!“

Irmgard sank neben ihr nieder und drückte das Gesicht in ihren Schooß. „Mutter! kannst Du verzeih’n?“

Frau von der Wehr legte ihre Hand auf Irmgard’s blondes Haar. „Ich kann’s,“ sagte sie. „Ich hatte schon überwunden. Nur die unerwartete Mahnung … Doch genug! Kein Wort weiter davon – es ist abgethan.“

„Aber Du liebst ihn noch,“ sagte Irmgard leise, ohne den Kopf zu erheben.

Ihre Mutter sah schmerzlich zum Himmel auf; die Lippen bebten, die Augen glänzten feucht. „Ich habe verzichtet,“ antwortete sie, „aber mein Gefühl darf ich nicht verleugnen: ich liebe ihn; ich werde ihn lieben, so lange ich athme.“ –

Irmgard drang nicht weiter in sie. Aber am nächsten Morgen stand sie früh mit der Sonne auf, kleidete sich ganz leise an, um die Mutter nicht zu wecken, nahm ihre Briefmappe und ging in’s Zelt. Sie schrieb; die Feder flog über das Papier; jedes Wort schien längst vorbedacht zu sein. „Mit Gott!“ sagte sie, als sie die Feder fortlegte, und faltete die Hände.

(Fortsetzung folgt.)





Kieler Bücklinge.

Vor einigen Jahren gab Julius Stettenheim ein niedliches Büchlein heraus: „Die Berliner Wespen im Aquarium“, das unter Anderm eine Lobhymne auf den Häring enthielt. Sie pries den schätzenswerthen Seebewohner in allen Gestalten, unter denen er des Menschen Herz erfreut, und so lautete die vierte Strophe:

„Köstlich ist der wundersame
Meerdurchwimmler anzuschauen,
Wenn der Rauch der heil’gen Flamme
Ihn geschmückt mit gold'nem Braun.

Und er fährt im Hundenwagen.
Wenn der Himmel lenzlich blaut;
Wenn die Nachtigallen schlagen,
Ruft man seinen Namen laut.

Drei und auch vier für den Groschen erhaltend
Kauft ihn die Hausfrau, und, mütterlich waltend,
Zieht sie ihm ab seine goldene Haut.“

Drei bis vier Bücklinge (oder vielleicht richtiger, wie man in Süd- und Mitteldeutschland meistens sagt: Pöklinge) für zehn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_094.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)