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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Gebunden.
Erzählung von Ernst Wichert.
(Fortsetzung.)


8.

Seitdem war in Irmgard’s Herzen wieder Friede. Ihre natürliche Heiterkeit kehrte zurück; sie machte wieder ihre Spaziergänge, zeichnete nach der Natur, arbeitete an dem Farbenbilde, zu dem Harder ihr die Idee gegeben hatte. Es war ihr nun gewiß, daß er nicht für immer geschieden sein könnte, sondern bald zurückkehren und den freundschaftlichen Umgang fortsetzen würde, nach dem sie sich schon so sehr sehnte. Er konnte zwar nicht wissen, daß etwas geschehen war, woran auch er Freude haben dürfte. Da sich nun in ihr ein Stimmungswechsel vollzogen hatte, der das Gemüth befreite, so meinte sie, daß auch außer ihr alles freundlicher und leichter geworden sein müßte. Die Welt ist in uns.

Sie behandelte die Mutter mit zärtlichster Aufmerksamkeit, aber doch in ganz anderer Weise, als vorher. Nicht wie eine hoffnungslos Traurige, deren Leid fortgeschmeichelt werden soll, sondern wie eine betrübte Freundin, die auf ein frohes Ereigniß vorzubereiten ist, das doch noch nicht genannt werden darf. Sie ruhte nicht, bis sie ihre Begleitung zu Spaziergängen auf die Haide und an den Seestrand zusagte; sie wußte auch einen Verkehr mit anderen Badegästen einzuleiten: es sähe ja aus, als ob sie ein böses Gewissen hätten, meinte sie, wenn sie sich der Gesellschaft ganz entzögen.

Als nun Gerichtsrath Pfaff hinüber kam, theilte er mit, daß das Vergnügungscomité für einen bestimmten Tag eine Festivität in Warnicken geplant habe, bei der sich natürlich auch Rauschen betheiligen müßte, und erzählte nebenbei, daß Referendar Hell eine Eroberung gemacht habe, die bald zu Tage kommen würde. Irmgard stellte sich sogleich auf seine Seite. Frau von der Wehr war schnell gewonnen, nicht ohne ihre Verwunderung darüber auszusprechen, daß ihr Töchterchen plötzlich so lebenslustig geworden sei.

Ob nun Robert Harder auf seinem Dorfe erfahren hatte, was im Werke sei, ober ob ihn die Sehnsucht zurücktrieb – er war am Abend vor dem Festtage wieder in Rauschen. Irmgard stand am Staketenzaun und sah ihn den Weg hinaufkommen, der am Hause vorbei nach der Haide führte. Er schien danach nicht beabsichtigt zu haben, einzukehren, blickte aber doch hinauf, grüßte und blieb stehen. Irmgard nickte so freundlich; das ganze feine Gesichtchen war wie mit Purpur übergossen.

Er kletterte nun den ziemlich steilen Anberg hinauf, indem er sich an den hohen Wermuthstauden festhielt, stellte sich ihr gegenüber an den Zaun und reichte ihr die Hand. Sie trug noch den Schlangenring – das war ihm ein gutes Zeichen. Es wurde eine Weile von allerhand gleichgültigen Dingen geplaudert, als ob nichts zwischen ihnen vorgefallen wäre. Nur daß immer auf beiden Seiten das Bemühen durchleuchtete, recht unbefangen zu erscheinen. Dann fragte sie, ob er nicht der Mutter einen guten Abend sagen wolle. Wenn er nicht unlieb zu kommen fürchten dürfe –? Er wollte nun wieder hinab, und auf dem richtigen Wege zur Gartenthür, aber sie meinte, der Zaun sei ja nicht hoch.

„Gut,“ sagte er, „so will ich einsteigen, wie ein Dieb in der Nacht, aber vergessen Sie nicht, daß Sie meine Mithelferin sind!“ Sie lachte und stützte seinen Arm.

Er blieb nun, wie er früher geblieben war, bis der Wächter mahnte. Es wurde viel von dem Feste am nächsten Tage gesprochen, ob das Wetter sich halten werde und was diese und jene Anzeichen zu bedeuten hätten? Gestern und vorgestern hatte wieder eine schwüle Hitze geherrscht. Heute stand über der See eine Wolkenbank mit scharfem Gezack, aber sie rührte sich schon seit Stunden nicht. Die Fischer wurden befragt, was sie davon hielten. Es könne besser und schlechter werden, meinten sie, und damit war man so klug als vorher. Alle Unschlüssigkeit hatte ein Ende, als um drei Uhr die Wagen aus Kuhren anlangten: das Vergnügungscomité hatte decretirt, daß das Wetter gut bleiben werde.

Die Fuhrwerke der Rauschener Wirthe standen schon angespannt. Man stieg auf, wo sich gerade ein Platz fand, nur daß „die Jugend“ zusammenhielt und den älteren Herrschaften den Vortritt ließ. So kam’s, daß die letzten Wagen nur mit jungen Leuten besetzt waren. Mit Gesang ging es durch’s Dorf und den Sandweg hinauf zur Höhe. Dort blies der Wind doch so kräftig, daß Hüte fortflogen und die Sonnenschirme der Damen geschlossen werden mußten.

Als man eine Viertelstunde unterwegs war, fuhr der Bauer den Wagen, auf dem Harder und Irmgard saßen, beim Abbiegen auf dem tiefen Sandgeleise so kräftig gegen einen Stein, daß das Rad brach. Mann mußte aussteigen und versuchen, den Schaden zu bessern. „Fahrt nur weiter!“ rief man den Andern zu, „wir kommen bald nach.“ Es hätte sich auf dem letzten Wagen auch nur mit Mühe Raum schaffen lassen.

Versuche, mit einer Nothspeiche und Stricken zu helfen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_109.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)