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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


der Sundainseln, auch am mexicanischen Meerbusen findet und in ganzen Schiffsladungen nach Europa gebracht wird. Hiermit trat die voigtländische Muschelindustrie in den Kampf mit ihren strahlenden Schwestern in Paris und Birmingham. Daß aber der größte Theil der in Adorf gefertigten Waare nach England und Amerika geht – bei einem Zolle von fünfunddreißig und zehn Procent – spricht wohl deutlich für die Güte der Adorfer Waare. Die in sanftem Röthlich spielenden Kämme, Kopf- und Tuchnadeln, letztere sehr häufig Schmetterlinge, Pflanzenblätter, Blumen und dergleichen darstellend, sind von Meleagrina.

Wahrhaft künstlerische Arbeiten entstanden jedoch erst, als die Industrie auch das Gehäuse einiger Schneckenarten in ihr Arbeitsgebiet zog. Zwei Familien der Schildkiemenschnecken, die Familie der Kreiselschnecken (Trochoïdea) und die der Seeohren (Haliotidea), zeichnen sich im Innern ihres Gehäuses durch den in den prachtvoll tiefsten Regenbogenfarben schillernden Perlmutterglanz aus. Haliotis tuberculata spiegelt in äußerst schönen hellgrünen, weiß und blaßrothen Farben, Haliotis Iris dagegen in mehr dunkleren, prächtig tiefgrün und blau schillernd. Diese beiden und das Gehäuse der Kreiselschnecke Rundmund (Turbo) mit ihrer gold- oder silberfarbigen Mündung geben die herrlichste Mosaikgegenstände. Wenn man Schatullen, Toilette, Albums mit den eingelegten, überaus malerischen Landschaften sieht, bekommt man vor der jungen deutschen Industrie Respect und versagt den Männern die Hochachtung nicht, die aus ihrem eigenen Kopfe so künstlerisch schaffen.

Wer einmal das Städtchen Adorf berührt, das jetzt von den Gästen des nahe liegenden, rasch berühmt gewordenen Bades, Elster, viel besucht wird, versäume ja nicht, sich in den Muschelfabriken – den einzigen in Deutschland – umzusehen. Mit der liebeswürdigsten Bereitwilligkeit öffnet man ihm Arbeitsstuben und Niederlagen. Er sieht, wie man mit Salzsäure die dicken Gehäuse der Seeschnecken von der braungrauen äußeren Schale reinigt, auf runden mit der Drehbank bewegten Sägen die kalkigen ohr-, kegel- oder thurmförmigen Schalen in kleine handliche Stücke theilt, sie polirt und zu lebensvollen Mosaikzusammensetzungen formt, um sie nochmals zu poliren. Die Gegenstände, für das Auge so lieblich zu schauen, sind dabei auch von ungemeiner Dauerhaftigkeit; man kann sie aus ziemlicher Höhe fallen lassen, ohne daß sie Schaden leiden.

Eine kleinere Fabrik unterzieht sich auch dem Vertriebe und der Herstellung der bekannten „Hamburger Waare“, zumeist in Cartonagen bestehend. In Uhrgehäuse, Uhrpantoffeln, Bilder- und Spiegelrahmen, Körbchen, Briefmappen, Nadelkissen, Necessaires, Schreibzeugen, Cigarrenhaltern, Cigarreabschneidern, Toiletten, Dosen, Albums, Schlüsselhaltern, Aquarien sieht man die Gehäuse der Schrauben (Terebra), der Kegelschnecke (Conus), der Tigerschnecke (Cypraea), der Flügelschnecke (Strombus), der Pilgermuschel (Pectinea), der Herzmuschel (Cardioidea), der Ovula etc. Es repräsentirt sich dem Beschauer das mit der Zeit so mürbe werdende Gehäuse des eßbaren See-Igels und der niedlich weiße Reiß. Freilich muß auf diese Specialität – Hamburger Waare – noch viel Fleiß verwendet werden, damit sie sich zu höherer Feinheit emporhebe.

Die Adorfer Muschelindustrie selbst hat noch eine Zukunft. Tausende von Familien, welche sich einen gewissen Luxus und Comfort gönnen, sind mit den Erzeugnissen dieses Kunstgewerbes gänzlich unbekannt. Sie wissen nicht, daß sie für wenig Geld ein schönes und haltbares Stück Hausgeräth, einen im Ansehen bleibenden geschmackvollen Zimmerschmuck erhalten.

Wiederum auch wird mit der Nachfrage die Erfindungsgabe der Fabrikanten gesteigert werden und die Muschelindustrie sich neue Arbeitsfelder suchen. Alles aber wird dem Städtlein zu Gute kommen, das ich auf meiner Wanderung lieb gewonnen.

Paul Le Mang.



          Einer Amsel.

Ich schreit’ allein am Waldesrand;
Rings liegt verschneit das weite Land;
     Die Luft geht kalt und schnöde.
Da fliegst du auf vom Beerenbusch

5
Und eilst mit Schrei und scheuem Husch

     In tief’re Waldesöde.

O bleib’! Nicht grausam ist mein Sinn –
Nicht wähne, daß ein Feind ich bin!
     Es droht dir keine Falle;

10
Lieb und vertraut in Wald und Flur

Sind mir der schaffenden Natur
     Unmünd’ge Kinder alle.

Und sieh’! uns drückt dasselbe Leid,
Die freudenlose Winterzeit

15
     Schafft Grauen uns und Bangen;

Nach Frühlingsglanz und Frühlingslust
Lebt dir wie mir in tiefster Brust
     Ein sehnendes Verlangen.

Geduld! Liegt todt auch Wald und Au’,

20
Verrauscht mit Reif und Wolkengrau

     Sind schon die schlimmsten Tage.
Schon zog in’s Land der Februar;
Des Märzen Luft, so mild und klar,
     Weckt neue Pracht im Hage.

25
Dann zieht ein heimlich-süßer Hauch

Durch Wald und Flur und Baum und Strauch –
     Die Veilchen blühen wieder;
Dann sitzest du auf hohem Ast
Und singst im ersten Frühlingsglast

30
     Die altgewohnten Lieder.


Bald grünt die Flur – dann sommerlang
Fliegst liebend du um Hald’ und Hang,
     Bist allem Leid entronnen;
Ich aber geh’ durch’s bunte Feld

35
Und freu’ mich still der schönen Welt

     Und deiner Liebeswonnen.

          Albert Moeser.



Auf Waltersburg.
Novelle von J. D. H. Temme.
(Schluß.)


Das war des Nachmittags geschehen. Der Doctor hatte sich dann auf die Veranda begeben, wie jeden Tag, wenn das Wetter gut war, um der Ruhe zu pflegen, zu lesen, zu rauchen und sich seinen Betrachtungen und Gedanken zu überlassen. Gegen Abend, als die Strahlen der Sonne hell in das Thal fielen, vernahm er Schießen, der Ton kam von Westen her. Auch die beiden Dienstboten hatten es gehört, die alte Margarethe zuerst. Sie meinten, es komme von der Waltersburg und meldeten es dem Doctor, mit Angst und Schrecken in den alten Gesichtern. Die feinen Züge des alten Herrn blieben unverändert.

„Trefft Anstalten,“ sagte er nur, „daß wir Besuch aufnehmen können!“

„Die Rebellen?“ rief entsetzt Margarethe.

„Nein! Geht!“

Sie gingen. Er las wieder und rauchte und hatte seine Betrachtungen und Gedanken, bis die Sonne aus dem Thale verschwunden war und ihre letzten Strahlen nur noch die Bäume oben auf den Bergen vergoldeten. Er legte das Buch zur Seite und verfolgte die Strahlen und die feinen blauen Wölkchen seiner Cigarre. Da hörte er einen Wagen heranfahren; er ließ sein silbernes Glöckchen ertönen, das vor ihm auf dem Tische stand, und befahl dem eintretenden Diener, die Herrschaft zu empfangen und zu ihm zu führen. Der Wagen hielt an der Hausthür. Die alte Magd meldete mit leichenblassem Gesichte, die Herrschaft von Schloß Waltersburg sei da, ob der arme Herr noch lebe, wisse sie nicht. Der Doctor erhob sich, verließ die Veranda und trat an den Wagen, der vor dem Hause hielt.

Er erschrak. Er hatte erwartet, den Schloßherrn zu sehen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_122.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)