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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

in den „Drei Mohren“ einige Tage verpflegt, und hat sich’s der Tapfere jedenfalls nach Gebühr wohl sein lassen.

Ueber die nun folgenden, nicht besonders interessanten Fremdenverzeichnisse des Hôtels hinweg machen wir einen Sprung und schlagen die Geschichte des Jahres 1866 auf. Die blutigen Seiten wollen wir übergehen und uns lediglich mit dem ehrwürdigen deutschen Bundestage beschäftigen. Die auf Frankfurt anrückenden Preußen veranlaßten bekanntlich am 15. Juli die Bundestagsmitglieder, ihre Sitzungen an einen sicherern Platz zu verlegen, und so segelte die ganze bundesstaatliche Diplomatie nach Augsburg. Die „Drei Mohren“ waren nun wieder voll von Ministern und Gesandten.

Trotz der fleißigen und langen Sitzungen, die dort abgehalten wurden, ward der alte Bund immer lockerer; ein Vertreter nach dem anderen wurde abberufen; am Donnerstag den 26. Juli wurde schon die schwarz-roth-goldene Flagge vom Hôtel abgenommen; es ging noch an ein eifriges Protestiren, Protokolliren und Decretiren – man gestattete von hier aus den siegreichen Preußen, unbehelligt aus den Bundesfestungen heimkehren zu dürfen; – dann ward’s ruhiger, und am 24. August wurde im Saale des Hôtels zu den „Drei Mohren“ die Auflösung des deutschen Bundes officiell verkündet. –

Aus dem bisher Erzählten dürfte zur Genüge hervorgehen, daß die „Drei Mohren“ in Augsburg eine Geschichte hinter sich haben, wie wohl wenige andere deutsche Häuser.

Bis in die jüngsten Jahre genoß aber auch der Gasthof ein seltenes Renommée und war beinahe in der ganzen civilisirten Welt bekannt. Nachdem der letzte Besitzer, ein Herr J. G. Deuringer, gestorben war, gingen die Erben daran, das Hôtel zu verkaufen. Angesehene und vermögende Bürger der Stadt traten nun zu einem Consortium zusammen, erwarben den Gasthof und beschlossen, denselben würdig seiner Vergangenheit und den Anforderungen der Gegenwart entsprechend zu renoviren und dann dem Verkehre wieder zu übergeben. Nachdem er zwei Jahre geschlossen war, wurde er am 9. Juni 1877 wieder eröffnet, und zwar in einer Ausstattung, die ihres Gleichen in ganz Europa sucht. Eine solide Eleganz und eine Pracht, die überall durch die Kunst und strenge Einhaltung des Styls in wohlthuenden Grenzen gehalten ist, beherrschen sowohl das Aeußere, wie auch alle Räume des Innern bis in die Einzelheiten, deren Schilderung wir uns hier wohl um so mehr ersparen dürfen, als unser Bild sie den Lesern, wenn auch nur andeutungsweise, vorführt. War doch der Zweck dieser Zeilen im Grunde nur der: zu erzählen, was ein einziges Haus Alles erleben kann.

B. Rauchenegger.


Blätter und Blüthen


Das Wesen des Stotterns. (Nachtrag zum Aufsatz in Nr. 13.) Für Kinder, welche die Disposition zum Stottern zeigen, ohne daß ihr Uebel bisher zur Ausbildung gelangt ist, möchte ich den Eltern und Pflegern Folgendes empfehlen:

Erstens: Vor Allem hüte man sich, derartige Kinder zu erschrecken oder zu ängstigen. Wie überhaupt ein solches Verfahren ein erziehlicher Mißgriff ist, so ist es bei einem zum Stottern disponirten Kinde ein um so größerer. Versucht man durch Schelten und Drohen ein Kind zum Sprechen zu bringen, so erreicht man das Gegentheil. Man muntere es vielmehr freundlich auf, den mißrathenen Satz laut und deutlich zu wiederholen.

Ferner: Man halte darauf, daß das Kind weder zu rasch noch zu langsam spreche, und berücksichtige dabei die Individualität des Kindes. Erfolgt die Gedankenbildung nach dem ganzen Eindruck, den man empfängt, langsam, so suche man auch ein langsameres Sprechen herbeizuführen. Denkt das Kind nach seinem Temperament rasch und lebhaft, so möge es immerhin etwas rascher sprechen; niemals aber so rasch, daß ein vernehmliches Aussprechen jeder Silbe zur Unmöglichkeit wird, wenigstens so langsam, daß ein Unterschied der Haupt- und Nebensilben sich ausprägen kann. Man gehe in deutlichem, verhältnißmäßig langsamem Sprechen dem Kinde mit gutem Beispiele voran. Das Sprechenlernen beruht in erster Linie auf Nachahmung; hört das Kind um sich nur rasches Reden, so ahmt es dasselbe nach, ohne die Schnelligkeit der Gedanken, noch die Uebung der Sprachorgane Erwachsener zu besitzen, und kommt dadurch leicht zum Stottern.

Ferner: Es ist dem Kinde nicht zu empfehlen, daß es vor jedem Satze genau überlege, was es sprechen soll; einfach darum, weil es unnatürlich ist. Kein Mensch thut das. Aber auch deshalb, weil bei der vorhergehenden Ueberlegung sich der Gedanke, man werde stottern, leicht ausbildet. Ein fließendes, sicheres sprechen wird nirgends durch langes Vorbedenken erzielt, sondern durch die Gewöhnung an deutliches, ausdrucksvolles und verhältnißmäßig langsames Sprechen, das der Gedankenbildung auch während des Sprechens Raum läßt. Der Satz: „Ueberlege doch, was du sprichst!“ hat in logischer und sittlicher Beziehung seine volle Wahrheit; er möge dem gedankenlos Plappernden, dem vorschnell Urtheilenden oder tactlos sich Aeußernden zugerufen werden. Der Stotterer muß natürlich auch wissen, was er sprechen will; aber jedes Ueberschreiten des knappesten Maßes vorheriger Ueberlegung ist dem Stotterer verderblich.

Ferner: Man gewöhne dem Kinde ab, wozu es leicht Neigung zeigt, die Consonanten scharf und hart auszusprechen. Fühlt das Kind Schwierigkeit beim Sprechen, so glaubt es auf diese Weise größere Sicherheit zu erlangen. Es irrt sich; dadurch wird das Uebel verstärkt. Nur scheinbar fällt die Aussprache eines Consonanten dem Stotterer schwer; in der That liegt es an der Vocalbildung, und vor Allem der unmittelbaren Verbindung des Consonanten mit dem Vocal. Je reiner und sicherer der Vocal erzeugt wird, desto leichter und mühsamer fließt die Rede dahin. Die Accentuation des Consonanten aber schwächt gerade die Intonation des Vocals und vermehrt das Uebel. Der Consonant ist deutlich, aber ohne irgend eine Härte zu beginnen.

Ferner: Man halte darauf, daß das Kind gerade und mit auswärts gekehrten Füßen geht und turnt. Jene Haltung ist die normale und befördert die normale Respiration, eine Vorbedingung zum Sprechen. Bemerkt man, daß das Kind vor dem Sprechen erst etwas ausathme, so suche man ihm das abzugewöhnen; es muß recht natürlich Athem holen und zugleich mit dem Ausatmen zu sprechen beginnen.

Endlich: Man ermuntere das Kind, daß es den Mund beim Sprechen recht aufthue, um hübsch deutlich zu sprechen und – last not least – man mache das Kind durchaus nicht auf sein Gebrechen aufmerksam, sondern suche jene Regeln ihm ohne Aufhebens, nur mit dem Hinweise auf ein schönes, deutliches Sprechen, zur zweiten Natur zu machen.

Pädagogen haben mir versichert, wie unendlich günstiger der Eindruck derjenigen Kinder sei, die von Hause aus an ein langsames, lautes Sprechen mit möglichst offenem Munde gewöhnt sind, gegenüber denen, die hastig, leiser und mit fast geschlossenen Zähnen die Sätze hervorstoßen. Und es gereicht mir zur Befriedigung, daß die Normen, zu denen ich aus langjähriger Beobachtung und Heilung von Stotterern gelangt bin, den Grundsätzen der neueren Pädagogik so vielfach begegnen. Es ist auch nicht zu bezweifeln, daß viele zum Stottern Disponirte, ohne es zu wissen, gerade einer fortgeschritteneren Pädagogik ein normales Sprechen verdanken. Wenn die Herren Schulmänner, wie es doch meist geschieht, auf laute, deutliche Aussprache halten; wenn, zumal in der Volksschule und den unteren Classen höherer Lehranstalten, in der Regel ein ganzer Satz, nicht nur ein einzelnes Wort als Antwort verlangt wird, wenn man den Schwachen und Zaghaften ermutigt und nach der Erregungstheorie die Selbsttätigkeit und das aus sich Herausgehen des Kindes zu erzielen sich bestrebt, so wüßte ich nicht, welche bessere Unterstützung ein Kind auch zur Beseitigung der in Rede stehenden Disposition sich wünschen könnte. Wenn die Herren Schulmänner dazu noch den oben entwickelten, specifisch auf das Stottern bezüglichen Grundsätzen ihre Aufmerksamkeit zuwenden würden, und Schule und Haus somit zu vorbeugenden Maßregeln sich vereinigten, so würde nach meiner Ueberzeugung das Uebel weniger oft zur Entwickelung gelangen und eine nicht unbedeutende Summe peinlicher Empfindungen aus der Welt verschwinden.

Rudolf Denhardt jun.




E. Marlitt’s „Zweite Frau“ katholisirt! Aus Pernambuco erhalten wir von Herrn Th. Just die überraschende Nachricht, daß in dem Feuilleton des dort erscheinenden „Jornal do Recife“ nach einem in Portugal gedruckten Buche eine portugiesische Uebersetzung des Marlitt’schen Romans „Die zweite Frau“ mitgetheilt worden ist, welche an Unverschämtheit absichtlicher Verballhornisirung ihres Gleichen sucht. Die ganze Dichtung ist in ultramontanster Tendenz umgemodelt. Die Gräfin Juliane, spätere Baronin Mainau, wird als eifrige römische Katholikin dargestellt, während der Herzogin die Rolle einer streng pietistischen Protestantin zugetheilt und statt des jesuitischen Hofpredigers ein altlutherischer Hofrath ihr zur Seite gestellt wird. Daß den genialen Zögling Loyola’s bei dieser Umstülpung der Wahrheit die consequente Durchführung seiner verkehrten Charaktere arg mißglückt und der Dialog deshalb dem nachdenklichen Leser manche wunderliche Ueberraschung bereitet, diese Kleinigkeit kann dem frommen Ballhorn das Verdienst nicht verkürzen, ein neues Mittel für den heiligenden Zweck erfunden zu haben.




Amerikanische Erbschaft. In San Francisco starb am 28. Juli 1876 Heinrich Agethen aus Hellmern im Regierungsbezirk Minden und hinterließ 745 Dollar 50 Cents, die von dem Public Administrator daselbst verwaltet werden. Man bittet uns, die deutschen Verwandten des Todten, welche obrigkeitlich bis jetzt nicht aufzufinden waren, auf diese Erbschaft aufmerksam zu machen.

D. Red.




Kleiner Briefkasten.

E. H. in Sch. Wir bedauern sehr, ablehnen zu müssen. Durch die zufällig in diesen Monaten sich häufenden Säcularjubiläen berühmter Männer sehen wir uns gezwungen, in den nächsten Nummern unseres Blattes eine so reiche Fülle von Portraits zu bringen, daß wir fürchten müssen damit des Guten fast schon zu viel zu tun.

F. B. Pfalz. Sie fragen an, ob Kupferstiche leiden, wenn sie der Sonne ausgesetzt sind. Wir antworten: der Druck nicht, mit der Zeit aber das Papier.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_354.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2023)