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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

So ist’s nordische, schwedische Sitte. – Und über den weiten Raum läßt das Orchester Bellman’sche Weisen ertönen.

Ist es, weil ich mich in den letzten Tagen fast ausschließlich mit Bellman beschäftigt, oder sind die Menschentypen, die ein rechter Dichter schafft, unsterblich oder vielmehr kehren sie immer von Neuem wieder – mir scheint es plötzlich, als ob ich ringsum mir wohlbekannte und vertraute Gestalten aus dem Bilderbuche des Zeichners schwedischer Volkscharaktere auftauchen sähe.

Ist es nicht, als ob an dem heutigen Tage sich diese Volksmassen hier versammelt hätten, nicht um das Andenken ihres Dichters zu feiern, sondern seine populären Dichtungen in lebenden Bildern selbst darzustellen?

Himmel, welch’ Leben, welch’ fröhliches Bild!
Freundlich erglänzen vom Schloß schon die Lichter;
Fröhlich die Geige zum Tanze dort schrillt;
Spielleute schwitzen und schneiden Gesichter.
Bergström, der Bucklige, rothbraun und dick,
Bläst mit Verzweiflung in seine Posaune,
Scheint diesen Abend besonders bei Laune,
Heiterkeit strahlet der schielende Blick.

Die achte Abendstunde ist gekommen. Während bei uns um diese Zeit bereits Alles in grauer Abenddämmerung ruht, breitet sich hier im Norden ein verklärender, blauer Schimmer um Hügel, Bäume und Wasser aus.

Plötzlich kommt die Volksmenge in Bewegung, die auf den Hügeln Gelagerten heben sich empor; die in den Alleen und Schenken Zerstreuten eilen gegen den Festplatz heran, der allgemeine Ruf ertönt: Die Pal-Bricol kommen. – Wie von selbst bildet sich eine Gasse mitten im Gewühl, und durch diese schreiten die Pal-Bricol, etwa an zweihundert Männer jeglichen Alters und Standes, mit Hüten und Mützen, bunte Bänder um den Hals oder blaue Schleifen, an welchen kleine Trichter hängen, auf die Brust geheftet; sie nehmen in dem abgeschlossenen Raume vor der Büste Aufstellung. Ueber die Tausende von Menschen legt sich erwartungsvolle Stille; das Orchester intonirt, die Pal-Bricol beginnen die eigentliche Festfeier: das Absingen einer Reihe der schönsten Bellman’schen Lieder.

In weihevoller Stimmung stehen lauschend die Tausende und Tausende, und summen leise die ihnen allen wohlbekannten Weisen ihres Lieblingsdichters vor sich hin. Die zahlreichen Festgenossen aus den höheren Ständen, die in ihren Sitzen in den Equipagen, welche in den Alleen eine ganze Wagenburg bilden, lehnen, hören mit der gleichen stillen Andacht und Theilnahme zu.

Die ersten Sterne glitzern am blauen Himmel empor; das letzte Lied der Pal-Bricol ist verklungen; kein lauter Beifall ertönt, kein stürmischer Jubel, nur vereinzeltes Händeklatschen; die Brüder vom Pal-Bricol ordnen sich wieder zum Zuge und schreiten zu der Restauration von Hasselbaken zurück, von der sie ausgezogen; die unentwirrbar scheinenden Menschengruppen lösen sich allgemach geräuschlos und friedlich; die Wagen rasseln durch die Alleen gegen die Stadt; auf allen Seiten, auf den gewundenen Bergstegen steigen fröhliche Waller gegen die Restaurationen und Vergnügungsorte, vor deren Pforten buntfarbige Lampions durch das Grün der Bäume schimmern, empor; die Dampfschiffe werden fast gestürmt von heimwärts sich Drängenden, und einzelne kleine Ruderboote schweben geräuschlos dem sogenannten „Strömpaterre“ an der Schloßbrücke zu. In Hasselbaken aber bleiben die eigentlichen Veranstalter des Bellman-Festes, die Genossen vom Pal-Bricol, bis nach Mitternacht beisammen.

„Pal-Bricol“ ist ein geselliger Verein, welchen Bellman und seine dem Bacchus huldigenden Zechgenossen gegründet. Jedermann, der sich „Wein, Weib und Gesang“ in treuer Hingebung zuneigt, sollte Mitglied dieser lustigen Gesellschaft werden können, nur die ehrsame Zunft der Schneider wünschte Bellman für alle Zeiten ausgeschlossen, da er unbezahlter Rechnungen wegen von diesen allzuviel zu erdulden hatte.

Durch mehr als ein Jahrhundert besteht nun dieser, viele Hunderte von Mitgliedern zählende Verein. Er hält wöchentliche Versammlungen ab, die man Capitel nennt. In zehn Rangstufen, die durch verschiedene Embleme kenntlich sind, zerfallen seine Mitglieder; die Pflege der Poesie und des Gesanges im Allgemeinen, insbesondere aber die der Dichtungen Bellman’s sind sein Zweck; überdies übt er, in annerkennendster Weise, Wohlthätigkeit an Wittwen und Waisen von Mitgliedern aus. Der Hauptfesttag des Pal-Bricol ist das Bellmanfest am 26. Juli.

Der öffentlichen Festfeier vor der Büste des Dichters folgt eine auf Hasselbaken im geschlossenen Kreise. Während die Musik unermüdlich Bellman’sche Weisen in die Nacht hinaustönen läßt, werden die Becher zum Preise des Dichters an einander gestoßen und in mehr oder minder kunstvollen Reden der geniale, gutmüthige, genuß- und lebensfrohe Volksdichter geschildert.

Es geht die Sage, daß um Mitternacht, wenn Stille und Ruhe über dem Thiergarten liegen, wenn nur die Wellen noch leise rauschen, die Eichen geheimnißvoll durch einander flüstern und neugierig die verschwiegenen Sterne herabblicken, daß dann die Meister der ersten Grade des Pal-Bricol sich mit einer riesigen Punschbowle noch einmal zu der Büste des Dichters begeben und in feierlicher Weise mit dem süßen, von ihm so sehr geliebten schwedischen Nationaltranke, welcher so oft seine liederreichen Lippen genetzt, sein Haupt beträufeln.

Ob die Sage auf Wahrheit beruht, ich konnte es nicht erfahren, denn lange vor Mitternacht fuhr ich zu Schiffe heim. Hinter mir glänzte der Thiergarten noch mit Tausenden von Lichtern; die Orchester schickten mir abgebrochene Klänge Bellmann’scher Melodien nach, und aus einem Nachen neben uns klang von vier Männerstimmen das Bellman’sche Lied:

Giebt es wohl stolzere Bäume als hier?
Prächtigere Auen?
Der bläuliche Hafen
Im duftigen Grün,
Die Wellen sie schlafen
Im Abendglühn;
Schlösser und Wälder in bläulicher Fern’,
Ich seh’ sie so gern – ich seh’ sie so gern.

Joseph Weilen.



Deutsches Frauenleben im Mittelalter.
Eine culturhistorische Studie von Fr. Helbig.

4. Zucht und Sitte.
Deutsche Zucht geht doch vor Allem.
Walther von der Vogelweide.

In der ganzen ritterlichen Zeit des Mittelalters bewegte sich das gesellige Leben in streng gewahrten Regeln und abgemessenen Formen. Sie verliehen dem oft rauhen Untergrunde eine glatte Oberfläche. Zucht und Sitte wurden, wie oft, so auch hier zu Stützen der Moral. Sie verliehen allem Handeln, mochte es auch an sich schon recht und gut sein, erst die rechte Weihe.

„So eine Frau recht thut – –
Ist ihre Geberde nicht gut,
Und ist auch ihre Rede nicht schone:
So ist all ihre Gutthat ohne Krone“

heißt es im „Wälschen Gast“ von Thomasin von Zerklaere, der mittelalterlichen Zuchtbibel. Gar bald hatten nämlich diese Regeln ihre Sammler und Dolmetscher gefunden, welche sie in zierliche Reime brachten und zu Büchern zusammenstellten, damit die Jugend sie sich leichter in’s Gedächtniß prägen konnte, wie es heutzutage wohl geschieht in den Regeln der Grammatik. Da wären außer jenem „Wälschen Gaste“ noch der „Renner“ des Hugo von Trimberg, „Der Windsbecke und die Windsbeckin“, „Freydank’s Bescheidenheit“ und manche andere Lehrgedichte zu nennen. Wenn wir heutigen Tages in ihnen blättern, erstaunen wir wohl über den naiven Ernst, mit welchem darin Dinge gelehrt werden, die uns jetzt so einfach und selbstverständlich dünken, weil sie mit unserem modernen Gefühle und Bewußtsein von vornherein so verwachsen sind, daß wir sie demselben nicht erst lebendig zu machen brauchen.

Die ganze Summe dieser Regeln und Formen war, wie so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_610.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)