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verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Güterverkehr sich im letzten Jahre auf etwa 37 Millionen Kilo belaufen, sodaß sie der Export-Industrie Gelegenheit zu jeder beliebigen, auch zu einer „permanenten“ Ausstellung bietet.

Wenn aber unsere binnenländische Industrie bis jetzt hiervon nicht den „dringend gewünschten“ Gebrauch gemacht hat, so darf man deshalb gegen sie keinen Vorwurf erheben. Vielmehr hat sie für dieses Verhalten ihre triftigen Gründe. Und damit kommen wir an den dritten und auffallendsten Irrthum. Vielleicht hätte man vor länger als einem Menschenalter behaupten können, solche Exportlager oder Ausstellungen seien ein Bedürfniß. Heute sind sie es nicht mehr. Damals kaufte man wohl noch „vom Lager“, heute kauft man „nach Probe“. Früher war der überseeische Verkehr auf Segelschiffe angewiesen, welche von der Jahreszeit, von den Monsun- und Passatwinden abhingen und nur in bestimmten regelmäßigen Intervallen fahren konnten. Jetzt gehen überall und zu jeder Zeit zahlreiche Dampfer, welche die Fahrt in einem Monat zurücklegen, zu der das Segelschiff ein halbes Jahr gebrauchte.

Früher war der Markt im überseeischen Binnenlande mit dem Hafen nicht durch Eisenbahnen, sondern nur durch sehr mangelhafte Transportmittel, durch Wagen, Pferde oder Kameele verbunden; zu diesen Unzulänglichkeiten kamen dann noch in der heißen Jahreszeit der Wassermangel, in der Regenzeit die Unwegsamkeit und tausend andere Hindernisse.

Früher war der Handel auf den gewöhnlichen langsamen Nachrichtenverkehr angewiesen. Jetzt operirt derselbe, statt mit der Thurn- und Taxis’schen Postkutsche, mit dem elektrischen Telegraphen, namentlich auch mit den oceanischen Kabelverbindungen. Früher konnte sich der überseeische Abnehmer alljährlich nur einmal versorgen, und zwar für das ganze Jahr. Jetzt können Bestellungen und Waarensendungen jeden Tag „effectuirt“ werden. Man kann jeder „Nouveauté“ sofort nachrennen.

Früher war das Geschäft ein außerordentlich schwerfälliges und stand vielfach noch auf der primitiven Stufe des Tausches. Es erforderte großes Capital, endlose Creditfristen, war mit großem Risico verbunden etc. Heute sind die Schwierigkeiten von Raum und Zeit durch Dampf und Elektricität in einem solchen Maße überwunden, daß Bestellungen und Sendungen rascher, die Vorräthe kleiner, der Umsatz häufiger, die Zahlungsfristen kürzer, kurz das ganze Geschäft ein anderes geworden. Die Aufträge vollziehen sich immer mehr direct zwischen Abnehmern und Fabrikanten durch Vermittelung von Proben und Mustern. Bei dieser Art des transatlantischen Verkehrs, wie er sich heute gestaltet, haben diese „großen Lager“, diese „permanenten Ausstellungen“ in den Seehäfen weder Sinn noch Bedeutung. Wir finden sie denn auch in Constantinopel, in Odessa, in St. Petersburg, in Marseille, in Bordeaux und in London ebenso wenig, wie in Hamburg und Bremen. In allen diesen großen Seeplätzen sind die Producenten des Binnenlandes nur durch ihre Agenten mit Proben vertreten. Was Deutschland anlangt, so finden wir die großen Lager inländischer Industrie-Erzeugnisse in Berlin und Leipzig, und nicht in Bremen und Hamburg. Das ist so wenig eine Folge der Freihafenstellung, wie daß die Waarencentren für England in Sheffield und Manchester sind, statt in London, daß sie für Frankreich in Paris sind, statt in Havre oder Marseille. Eine Verkümmerung oder Unterdrückung der Freihafenstellung unserer Seeplätze würde allerlei schwerwiegende Folgen haben, aber hieran würde dadurch nicht das Geringste geändert.

Es scheint wirklich in Deutschland noch einige alte stubengelehrte Landratten zu geben, welche glauben, der überseeische Handel mit deutschen Producten mache sich etwa in der Art, wie im „Pariser Leben“, wo der „fesche Brasilianer“ über den Ocean herüber gebummelt kommt, um sich die Waarenlager der „kleinen Handschuhmacherin“ anzuschauen.

In Wirklichkeit aber vollzieht sich die Sache ganz anders. Die Träger des Absatzes deutscher Industrie-Erzeugnisse in überseeischen Ländern sind vorzugsweise die deutschen Handlungshäuser in diesen Märkten. Die Handlungshäuser studiren ebenso sehr die Leistungen des Gewerbfleißes in Deutschland, wie die Bedürfnisse und den Geschmack des fremden Landes, in welchem sie wohnen, und suchen mit Erfolg zwischen diesen und jenen zu vermitteln. Ihnen verdanken wir unseren Absatz. Gerade Hamburg und Bremen sind es, welche ihre Söhne zu diesem Zwecke nach allen Welttheilen schicken, dort Filialen gründen und deren Verbindung mit dem deutschen Vaterlande hegen und pflegen. Dieser Bestand ist aber nur bei wirthschaftlicher Freiheit in den Seeplätzen aufrecht zu erhalten. Wer sich überzeugen will, was auf dieser Grundlage, und nur auf dieser, Bremen und Hamburg für den Export deutscher Waaren leisten, der nehme die mit größter Sorgfalt geführte amtliche Statistik dieser Staaten zur Hand und für die ältere Zeit das bewährte Buch des Professors Dr. Soetbeer „Ueber Hamburgs Handel“ (Hamburg, Hoffmann und Campe, 1840).

Was endlich die finanziellen Interessen des Deutschen Reichs anlangt, so stehen dieselben mit den wirthschaftlichen Interessen der deutschen Reichsbürger glücklicher Weise durchaus nicht im Widerspruch, und wenn etwa das Aversum, welches Hamburg der Reichscasse nach Artikel 38, Absatz 3 der Reichsverfassung, anstatt der Zölle, zu entrichten hat, zu niedrig befunden werden sollte, so liegt nicht das geringste Hinderniß vor, dasselbe den Verbrauchsverhältnissen richtig anzupassen und dem entsprechend zu erhöhen, ohne an der Freihafenstellung das Geringste zu ändern.

Vom finanziellen Standpunkte des Deutschen Reiches also kann die Freihafenstellung nicht angegriffen werden.

Die Gegner derselben sind vielmehr nur zu suchen:

Erstens unter jenen Schutzzollinteressenten, welche zur Zeit ihre Producte dem Auslande billiger verkaufen, als dem Inlande, und welche daher das Gebiet, in welchem sie unter dem Schutze des gegenwärtigen Tarifs die Consumenten besteuern können, erweitert sehen möchten. Sie setzen sich freilich dabei mit sich selbst in einen seltsamen Widerspruch. Denn wenn die alte Zollvereinspolitik des Fortschreitens in gemäßigt-liberalem Sinne sich nach und nach rationell weiter entwickelt hätte, so wäre das Freihafensystem immer entbehrlicher geworden, während die Beseitigung der Freihäfen desto schwieriger und gemeinschädlicher wird, je mehr sich das Schutzzollsystem steigert.

Zweitens sind die Gegner der Freihafenstellung zu suchen unter den mit Bremen und Hamburg concurrirenden Hafenplätzen. Die vernünftigen Concurrenten freilich sind einsichtig genug, zu erkennen, daß die auf der Freihafenstellung beruhende Förderung des Antheils Deutschlands an dem Welthandel auch ihnen zu gute kommt.

Drittens sind es Diejenigen, welche den Zoll als eine Art Selbstzweck betrachten, die ihn gleichsam zu einem „nationalen Dogma“ erhoben haben und ihren Sport damit treiben, wie es z. B. der Befürworter der Surtaxe d’entrepôt thut.

Deutschland aber darf wohl erwarten, daß seine wahren Interessen, wenn auch erst in elfter Stunde, noch Berücksichtigung finden und daß ihm seine maritimen Mittelpunkte des Weltverkehrs erhalten bleiben.

„Fern auf der Rhede ruft der Pilot; es warten die Flotten,
Die in der Fremdlinge Land tragen den heimischen Fleiß.
Andere ziehen frohlockend dort ein mit den Gaben der Ferne,
Hoch vom ragenden Mast wehet der festliche Kranz.
Da gebiert das Glück dem Talente die göttlichen Kinder;
Von der Freiheit gesäugt, wachsen die Künste der Lust.“

Obige Distichen hat nicht irgend ein „egoistischer“ Kaufmann, sondern – Friedrich Schiller, der große Idealist, gedichtet.




Blätter und Blühen.

Nachfragen nach Vermißten. (Fortsetzung von Nr. 26, Seite 427.) An die Spitze dieser neuen Verschollenen-Liste setzen wir ausnahmsweise – denn die Aufrufe für die in den Vereinigten Staaten vermißten Deutschen werden der Regel nach nur auf den Umschlägen der Heftausgabe der „Gartenlaube“ für das Unionsgebiet veröffentlicht – zwei Väter in Nordamerika. Wir benutzen zugleich diese Gelegenheit, um darauf aufmerksam zu machen, daß es dort, und überhaupt, weit weniger Vermißte geben würde, wenn man es nicht so oft unterlassen wollte, die Briefadressen möglichst richtig und deutlich zu schreiben. Kommt die Unbestellbarkeit vieler Briefe und sogar Werthsendungen aus derselben Ursache schon in Deutschland oft genug vor, so vervielfältigt dieses Uebel in Amerika sich in’s Ungeheuerliche in Folge der zahlreich gleichlautenden Ortsnamen, die nur bei genauester Angabe von Staat oder Territorium, County, Parish (Kirchspiel) oder District aufzufinden sind. Nun kommen viele Adressen schon in verwahrloster Weise von Amerika herüber, indem die Briefschreiber dort die Orts- und Countiesnamen oft so schreiben, wie sie sie aussprechen hören; hier malt man diese Art von Adressen nach, läßt auch wohl Unleserliches beliebig weg, und so kommen die Briefe bei den amerikanischen Posten nur an, um zu dem großen Haufen der unbestellbaren gelegt zu werden. Und da endlich Verwandte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_679.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)