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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Ich war es, liebes Herz,“ antwortete er. „Schönheit und Geist sind große Zaubermittel, und so lange sie mir wahr schien, hätte ich tausend Leben für sie hingegeben. Als ich aber die ungeheure Lüge in ihrem Wesen inne ward, als ich sehen mußte, daß die Liebe, die mir Religion und Heiligthum war, ihr nur für Zeitvertreib galt, da war es mit einem Male ganz kalt in mir geworden, und heute – sonderbar – habe ich in ihrem Gesichte all die deutlichen Züge gesehen, für die ich damals blind war.“

„Nein, nein,“ unterbrach ihn Ninette, „sage nichts Schlimmes mehr über sie! Mir schien sie gar nicht glücklich zu sein. O, wenn sie wüßte, die Arme, was das Leben an Deiner Seite ist, Erich!“

„Denke nicht, daß sie Dir es beneiden würde!“ sagte er aufstehend, indem er ihr die krausen Härchen aus der Stirn strich. „Solche Seelen sind anders als die unsrigen; sie wissen nichts von unseren unsichtbaren Gütern und fühlen auch ihre eigene trostlose Armuth nicht. Ich dachte damals das Gegentheil, aber das war ein großer Irrthum. Nein, nein, mein süßes Weib, das Herz, das durch Liebe glücklich oder unglücklich wird, das hast Du und seit dieses Herz mein geworden, seitdem ist mein Leben voll Sonnenschein.“ Er umfaßte und küßte sie. „Aber nun komm’! Es wird kühl hier im Garten und Du darfst Dich nicht erkälten. Wir wollen auf dem Zimmer zu Abend speisen – ich wünsche keine Begegnung mehr wie heute Mittag. Und morgen früh um sieben Uhr reisen wir ab; bis morgen Abend um diese Zeit sind wir am Lago Maggiore.“

Sie schritten, sich umschlungen haltend, so dicht, daß die ausgestreckte Hand sie hätte berühren können, an der dunklen Gestalt hinter dem Gebüsch vorüber.

Aber die Hand wurde nicht ausgestreckt, und die Gestalt saß noch lange regungslos, bis die Lichter im Pavillon gelöscht wurden. Einen Augenblick war sie an die Terrassenbrüstung vorgetreten und hatte in das bleifarbige Wasser gestarrt. Aber schaudernd wandte sie sich wieder ab; diesen Weg zur Freiheit konnte sie nicht gehen.

*      *      *

Und dann?!

Die Dramen des wirklichen Lebens verlaufen anders, als die der Bühne. Es geht schweigsamer dabei zu, als bei jenen; in ihnen wird mehr gelitten, als gehandelt. Aber die verborgenen Wunden bluten nicht weniger heiß, als die offenkundigen Dolchstiche, und die Vergeltung bleibt auch nicht aus; nur kommt sie meistens schon lange vor dem letzten Act. …

Am nächsten Morgen ging die Sonne gerade so glänzend und hell über den Bergen empor, wie den Tag vorher. Ihre Strahlen fielen durch die Gardinen eines Schlafzimmers, wo zwei müde, überwachte Augen widerwillig den neuen Tag anbrechen sahen, und dieselben Strahlen umflutheten mit Licht und Heiterkeit ein junges, seliges Menschenpaar, das, am Vorderrand des Dampfers stehend, Hand in Hand, voll schweigender Andacht die Wunder dieser Morgenstunde betrachtete. Schäumende Furchen pflügte der Kiel in die smaragdenen Wasser; über den steil abfallenden schwarzgrünen Waldflanken der Berge stand noch blauer Duft, und kräftig rosenroth glänzten die Felshäupter im Morgenlicht.

Jetzt bog das Schiff südwärts, das wild-einsame Becken von Fluelen that sich auf, und in majestätischer Größe standen die Hochalpen da.

Erich streckte mit glänzenden Augen die Hand darnach aus: „Das ist unser Weg, mein Herz; dort führt die Straße über den Gotthard nach Italien, zu Kunst, Schönheit und Liebe.“




Amselruf.

Sie ruft, ich weiß nicht welchem Thale,
Ich weiß nicht welchem Sonnenstrahle,
      Sie ruft dem Lebenskeim
      Zum Licht emporzudringen;
      O sehnsuchtsvolles Singen,
Du rufst auch mir, du rufst mich heim!

Ja, heim zu schönen Jugendtagen,
Zu längstverscholl’nen süßen Klagen
      Um holder Liebe Glück – –
      Du singst noch – o sing’ immer
      Im goldnen Abendschimmer
In jene schöne Welt zurück!

Hermann Lingg.




Die physische Beschaffenheit der Kometen.
Von Volkmar Müller.

„Zu allen Zeiten wurden die Kometen den merkwürdigsten und räthselhaftesten Erscheinungen beigesellt, welche sich der menschlichen Betrachtung am Himmelsgewölbe darboten.“ So spricht sich Friedrich Zöllner[1], der berühmte Schöpfer der neuen elektrischen Kometentheorie, über diese interessanten Himmelskörper aus. „Theils,“ fährt er fort, „ihr plötzliches und scheinbar unvermitteltes Auftauchen aus den Tiefen des Weltraumes, theils ihr eigenartiges, von allen andern Himmelskörpern so wesentlich abweichendes Aussehen machte sie seit den frühesten Zeiten zum Gegenstande besonderen Nachdenkens. In der That, sie bilden für das unbewaffnete Auge die einzige Ausnahme von jener an allen übrigen Gestirnen beobachteten scheinbaren Ruhe und majestätischen Gleichförmigkeit der Bewegung. Nicht nur, daß sie selber ihren Ort unter den übrigen Gestirnen schnell verändern, sondern auch die wunderbar wechselnden Gestalten ihrer Schweife und deren Richtung mußten sie für jede unbefangene Betrachtung als Körper ganz verschiedener Art und Herkunft, im Vergleich zu den übrigen Körpern des Weltalls, erscheinen lassen.“

Und wahrlich ein seltsames Volk sind sie, diese „himmlischen Vagabonden“, wie sie regellos zerstreut, mannigfaltig an Gestalt und Größe, flüchtig in ihrem innersten Wesen, sich launenhaft bald in eine bedenkliche Nähe der Sonne wagen, bald trotzig in endlose Fernen hinausschweifen. Der Erforschung der Kometen hat die Wissenschaft in neuerer Zeit hohe Aufmerksamkeit zugewendet.

Erwiesen ist es nun durch dieselbe, daß wir in ihnen keine Weltkörper vor uns haben, die sich durch jene Stabilität auszeichnen, welche den Planeten eigen ist. Die Kometen neigen vielmehr zu Extremem. Sie bewegen sich nur kurze Zeit in der Nähe der Sonne, schweifen aber dann wieder viele Jahre, Jahrhunderte, Jahrtausende hindurch in Entfernungen umher, bis wohin die Strahlen des Tagesgestirns keine nennenswerthe Erleuchtung mehr tragen. Sorgfältige Beobachtungen über den Kern, den Nebel und den Schweif der Kometen haben neue und überraschende Einblicke in die Physik des Himmels eröffnet; allerdings war man früher rasch bereit, bei Erklärung jener räthselhaften Phänomene zu einer neuen Naturkraft oder zu künstlich im Laboratorium erzeugten Wirkungen seine Zuflucht zu nehmen. Aber weder bei Kepler, Newton, Olbers, Bessel noch bei John Herschel ist eine Annahme zu finden, welche sich auf Hypothesen über neue, bisher unbekannte Kräfte bezieht. Kepler und Newton waren vielmehr zuerst bestrebt, die räthselhaften Erscheinungen der Kometen auf allgemein bekannte und an der Erdoberfläche unter ganz gewöhnlichen Verhältnissen beobachtete Thatsachen zurückzuführen.

Kepler entdeckte in einsamer und mühevoller Gedankenarbeit Gesetze, die ein Verstandesbedürfniß der Menschheit befriedigten und deshalb seinen Namen unsterblich machten. Ihm, der den Weltenraum so voller Kometen bevölkert sieht, wie das Meer voller

  1. In der Vorrede zu seiner Schrift: „Ueber die Natur der Kometen. Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntniß“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_498.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2021)