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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

einer Energie und einer Einsicht vorgearbeitet hatte, wie kein anderes Land sich solcher rühmen kann. Ohne zahlreichen anderen Forschern zu nahe zu treten, unter denen an erster Stelle auch wieder Rudolf Virchow zu nennen ist, muß vor allem verwiesen werden auf die Münchener Schule, die durch den gefeierten Namen Max von Pettenkofer’s bezeichnet wird. Wie es oft anderwärts geschah, so hat auch hier eine große Weltseuche, wenn auch nicht die Veranlassung zu diesen Studien, so doch die dauernde Anregung zu ihrer immer größeren Vertiefung gegeben.

Nicht anders war es in England, wo die Cholera ebenfalls durch die zahllosen Opfer, die sie forderte, die Vorurtheile, welche der Gesundheitspflege noch entgegenstanden, besiegen half. Das ganze englische Volk nahm Theil an dieser Bewegung und zwang von Etappe zu Etappe die regierenden Classen, den Forderungen der Hygiene gerecht zu werden. Nicht so leicht gestalteten sich die Dinge in Deutschland. Der maßgebende Einfluß des Volkes selbst und seiner Vertreter fehlte, und die Zersplitterung Deutschlands machte ein Vorgehen nach einheitlichem Plane unmöglich. Als sich aber im Laufe der Zeit die politischen Verhältnisse änderten, die Allweisheit der Bureaukratie aufgehört hatte, allein Recht zu behalten, und die Sorge für die Gesundheit besonders auch um deswillen immer mehr als eine der wichtigsten Aufgaben des Staates anerkannt wurde, weil durch die Fortschritte der Industrie mit ihren Anhäufungen von Arbeitern in großen Centren auch die sanitären Nachtheile immer mehr in Sicht kamen, da mußten die Regierungen Hand anlegen, um diese Zustände zu bessern. Da fanden sie aber – zur Ehre der deutschen Wissenschaft sei es gesagt – den Boden ihrer Thätigkeit durch eine Fülle der mühsamsten und zum Theil genialsten Untersuchungen bereit, wie in keinem anderen Lande. Daraufhin konnten die Staatsbehörden, wie vor Allem die großen Communen die Arbeiten beginnen und durchführen, welche die Reinheit der Luft und des Bodens bezwecken.

Bei dieser Arbeit, die sich zum Theil, wie die gewaltigen Canalisations- und Wasserwerke unserer Städte, denen des alten Rom an die Seite stellen kann, standen neben wissenschaftlichen Förderern zahlreiche, auf dem Gebiete der Gesundheitspflege erfahrene Sachverständige, unter ihnen vor Allem die Aerzte, den Behörden zur Seite. Die altehrwürdige Vereinigung der deutschen Naturforscher und Aerzte nahm, wenn auch nicht ohne Widerstreben, die Hygiene in einer besonderen Section in sich auf, von welcher weithin reichende Anregungen ausgegangen sind. Jemehr indeß die wirkliche Einsicht auf dem Gebiete der Gesundheitspflege wuchs, umsomehr erkannte man, daß die Förderung derselben unmöglich sei, wenn nicht neben den Naturwissenschaften und der Medicin auch die Technik und die Verwaltungskunst sich an dem Werke betheiligten. Auf solche Erwägungen hin bildete sich der „deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege“, der bei seinem Entstehen sogleich in den Besitz eines vortrefflichen Organes kam, das von dem hochverdienten, unermüdlichen Frankfurter Arzt Georg Varrentrap[WS 1] unter dem Titel „Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege[WS 2] in’s Leben gerufen war. Jahr für Jahr hat der deutsche Verein in seinen Versammlungen die wichtigsten Fragen der Gesundheitspflege discutirt und einen merkbaren Einfluß auf die regierenden Kreise, einen viel größeren aber auf die Klärung der allgemeinen Meinung ausgeübt.

Neben ihm entstand vor wenigen Jahren der „Deutsche Verein für Gesundheitstechnik“, nach der Ansicht des Verfassers dieser Zeilen mehr durch äußere Veranlassung und äußere Gründe als in Folge einer inneren Nothwendigkeit. Die Gesundheitstechnik ist nur einer, wenn auch einer der wichtigsten Zweige der Hygiene überhaupt, und so war es natürlich, daß beide Vereine sofort durch gleichzeitiges Tagen ihre Zusammengehörigkeit erwiesen.

Es geschah dies im Jahre 1880 in Hamburg, und es wurde damals in dem Vereine für Gesundheitstechnik die Frage angeregt, ob es nicht zweckmäßig erscheine, eine Ausstellung für das gesammte Gebiet der Hygiene in’s Leben zu rufen, und wohl mehr in dem Sinne bejahend entschieden, daß man wesentlich an eine Ausstellung dessen dachte, was die deutsche Technik auf dem Gebiete der Gesundheitspflege geleistet habe. Der Verein setzte sich sofort mit dem gleichzeitig in Hamburg tagenden Vereine für öffentliche Gesundheitspflege in Verbindung, durch dessen Mitwirkung der Plan von Anfang an erweitert und vertieft wurde, indem an der Seite der Gesundheitstechnik auch die, wenn man will, idealere Seite der Gesundheitspflege einen nicht minder maßgebenden Einfluß erlangte.

Zur weiteren Durchführung des Planes wählte jeder der beiden Vereine zehn von seinen in Berlin wohnenden Mitgliedern, und diese traten zu einem provisorischen Comité zusammen, aus dem sich alsdann nach und nach die ganze Organisation entwickelte. Die Männer des provisorischen Comités waren sich wohl bewußt, wie schwierig die ihnen gestellte Aufgabe, wie groß ihre eigene Verantwortlichkeit sei, wenn auch die internationale Ausstellung in Brüssel bewiesen hatte, daß Deutschland mit seinem Wissen und Können auf dem Gebiete der Gesundheitspflege und des Rettungswesens schon damals in erster Linie stand; ihm wurde dort nämlich die relativ größte Zahl der Preise erteilt.[1] Das provisorische Comité konnte daher in seinem Programm mit Recht darauf hinweisen, daß besonders auch die Leistungen der Gesundheitstechniker auf der Brüsseler Ausstellung von der von ihnen erreichten hohen Stufe Kunde gaben, und daß viele deutsche Privatindustrien in keiner Beziehung den Vergleich mit denen Englands, Frankreichs, Belgiens etc. scheuen durften.

Andererseits aber machten sich manche Bedenken geltend. Erst eine verhältnißmäßig kurze Zeit war nach dem Glanz vergangen, der die Brüsseler Ausstellung noch umstrahlte. Sodann war man sich bald klar darüber, daß der geplanten Ausstellung der Charakter einer internationalen nicht zu geben sei. Weder die localen Verhältnisse, welche Brüssel darbot, noch specielle Vorzüge der zur Ausstellung kommenden Gebiete, wie sie die allgemeine Fischerei-Ausstellung auszeichneten, waren vorhanden. Vor Allem aber fehlte die Zeit, deren die so überaus schwierigen Vorbereitungen zu einer internationalen Ausstellung bedürfen, während von der Majorität der Interessenten der dringende Wunsch ausgesprochen war, das Inslebentreten der Ausstellung nicht zu verzögern. Man verzichtete mit diesem Entschluß auf Vieles, was die Brüsseler Ausstellung so anziehend gestaltete, andererseits aber bedachte man, daß in Brüssel noch keineswegs eine auch nur annähernde Vollständigkeit der deutschen Leistungen erreicht worden war, daß Deutschland noch Vieles zu bieten hatte, was dort vermißt wurde.

Um so klarer war man sich im Gegensatz dazu sofort darüber, daß das Rettungswesen in Krieg und Frieden auf der Ausstellung vertreten sein müsse, solle dieselbe nicht von vornherein den Stempel der Unvollständigkeit tragen. Abgesehen von diesem inneren Grunde, war das Rettungswesen in den letzten Decennien gerade in Deutschland, zum Theil durch unsere großen Kriege veranlaßt, mehr als je in den Vordergrund des allgemeinen Interesses getreten und durch immer stärkere Bande mit der öffentlichen Gesundheitspflege überhaupt verknüpft worden. Längst hatte das rothe Kreuz aufgehört, ein Symbol der Humanität nur für die Zeit des Krieges zu sein; die unablässige Arbeit seiner Vereine im Frieden, die in’s Leben gerufen zu haben ein Verdienst der deutschen Kaiserin ist, hat ihnen eine Richtung auf dieselben Ziele gegeben, welche auch die Hygiene verfolgt.

So war für das Comité denn kein Zweifel vorhanden, daß der Schutz gegen Gefahren, die Hülfeleistung bei Verunglückten und Verletzten, der Transport und die Pflege der Verwundeten und Kranken im Kriege, mit einem Worte: das gesammte Rettungswesen organisch einzufügen sei in das Programm gerade einer deutschen hygienischen Ausstellung.

Die Bezeichnung „Allgemeine deutsche Ausstellung“ hat anfänglich Befremden erregt, sie bedeutet aber, daß diejenigen Länder, welche ohnehin in den beiden deutschen Vereinen, dem für Gesundheitspflege und dem für Gesundheitstechnik, von Anfang an vertreten waren, nämlich Oesterreich und die Schweiz, an der Ausstellung jedenfalls teilnehmen sollten. Außerdem aber sind von vornherein die Leistungen des Auslandes keineswegs ausgeschlossen worden; nur eine Gruppirung nach Nationen, wie in Brüssel, gestattete der Charakter unserer Ausstellung nicht. Mit Befriedigung kann man nunmehr darauf hinweisen, daß außer Oesterreich und der Schweiz auch andere Länder, vor Allem Italien, alsdann das Nationalgesundheitsamt und die Medicinalabtheilung des Kriegsministeriums der Vereinigten Staaten, wichtige Objecte gesendet haben und daß auch andere Länder nicht ganz unvertreten geblieben sind.

Eine der ersten Pflichten des provisorischen Comités, welches

  1. Die Zahl der Aussteller überhaupt betrug in Brüssel 1842, von denen Deutschland 308 angehörten. Letztere erhielten von den Auszeichnungen im Allgemeinen 20,4 Procent, während sie nur 17 Procent der ausgestellten Gegenstände geliefert hatten. Von den 50 Ehrendiplomen und goldenen Medaillen, die zur Vertheilung kamen, erhielt Deutschland aber nicht weniger als 20.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Georg Varrentrapp, Mediziner und Kommunalpolitiker
  2. Vorlage: Vierteljahrschrift
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_328.jpg&oldid=- (Version vom 2.5.2023)