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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

„Das können, das wollen wir; komm, laß uns fröhlich sein!“

Goethe erkannte mit lebhafter Freude, daß er und das bessere Selbst des Herzogs den Sieg errungen hatten.

Arm in Arm gingen sie nach dem Schießhause, wo der Hochzeitstanz stattfinden sollte.

Die vorwiegende Stimmung des jungen Fürsten war jetzt Neugier, wie ihm sein Ideal in der Nähe gefallen werde. Er brannte darauf, mit Gretchen zu verkehren, zu sprechen, zu tanzen.

Die Ankunft der vornehmen Gäste beglückte die Hochzeitsgesellschaft, und der Bräutigam beeilte sich, die Braut, oder vielmehr junge Frau, dem Herzoge zum Ehrentanz vorzuführen.

Endlich war also der Augenblick gekommen, nach welchem er sich ein Jahr lang so heiß gesehnt hatte!

Aber entsprach sie dem von seiner Phantasie mit allem Seelenreiz ausgeschmückten Bilde? Sie war sehr schön, aber scheu, respectvoll und leblos bei seiner Annäherung. Es schien ihm, als habe Saint Germain ebenso gut eine hübsche Puppe als Spielzeug darbieten können, wie dieses Wesen, in dem auch gar nichts von jener Gluth und Innigkeit zu liegen schien, welche damals ihre Pantomimen athmeten.

„Alles Dressur des Tausendkünstlers damals!“ dachte er, wagte aber aus Verdruß und Beschämung nicht auf das gemeinschaftliche Abenteuer zurückzukommen. Die junge Frau schien zu fürchten, daß er sie darauf anrede, denn sie wechselte jedesmal die Farbe, wenn er zu ihr sprach, und war sichtlich froh, als er sie ihrem Gatten wieder zuführte, in dessen Nähe sie sich dann ganz herzlich und anmuthig gab.

Der Herzog war eher ermüdet als sonst und raunte dem Freunde zu: die wüste Wirthschaft langweile ihn, er gehe, worauf Goethe sich ihm anschloß.

Mit der natürlichen Offenheit seines Wesens, die der Herzog dem älteren Freunde gegenüber stets an den Tag legte, gab er ihm auch jetzt zu, wie recht der Freund, der getreue Eckart gethan habe, ihn von der Verfolgung dieser Laune abzuhalten.

„Wenn ich Gretchen allein in ihrem Walde getroffen hätte, das Herz voll von Sehnsucht nach ihr, wer weiß, ob ich dann nicht doch leidenschaftlich entflammt wäre, aber besser, viel besser ist es so!“

„Ganz gewiß, mein theurer gnädiger Herr!“ rief Goethe warm. „Ihr edles Herz, durch Wagemuth, Abenteuerlust und Ihre hohe Stellung manchmal irre geführt, findet sich stets wieder auf den rechten Weg zurück, mag’s auch zuvor manchen Kampf mit zauberischen Schattenspiegelungen gegeben haben!“

(Fortsetzung folgt.)




Das französische und deutsche Kunstgewerbe.

Unsere gallischen Nachbarn haben bekanntlich die ausgesprochene Neigung, die Schuld an irgend welchem sie betreffenden Mißgeschick überall anders wo zu suchen, nur nicht bei sich selbst. Sie sind, um mit einem ihrer eigenen Sprichwörter zu reden, stets bereit: de chercher midi à quatorze heures, – das heißt Mittag um vierzehn Uhr zu suchen, nur um dem beschämenden Geständnisse aus dem Wege zu gehen, daß sie in Dem oder Jenem einen Fehler begangen hätten oder im Wettkampfe des Völkerlebens unterlegen seien. –

Es ist jener Grundzug maßloser Eitelkeit, der tief im Charakter des französischen Volkes liegt, und dessen Aeußerungen besonders dann in auffallender Weise zu Tage treten, wenn es sich um den Waffenruhm, um die gloire militaire, handelt. So war es bei den Niederlagen, die der erste Napoleon erlitt, und so war es im letzten großen Kriege, wo nach französischer Ansicht nur die zehnfache deutsche Uebermacht, oder, da diese Behauptung trotz aller Lügen in vielen Fällen schlechterdings nicht durchführbar schien, der Verrath französischer Generale den deutschen Waffen zum Siege verholfen haben sollte!

Auf einem öffentlichen Platze in Paris, dem „Square Montholon“ erhebt sich eine Bronzestatue, die eine gepanzerte Sieges- oder Kriegesgöttin darstellt, wie sie, mit stolzer Wendung des schönen Hauptes, einen sterbenden Mobilgardisten mit zerbrochenem Säbel auf den Armen, im Begriffe steht in höhere Regionen zu entschweben. Auf dem Sockel aber steht in goldenen Lettern: – Gloria Victis! – „Den Besiegten bleibt der Ruhm“, ein Nachruf, wie er etwa auf die dreihundert bei den Thermopylen gefallenen Helden passen würde.

Es ist ein zierliches, sorgfältig durchgearbeitetes Werk und für den Künstler Manches daran zu lernen, – einstweilen aber freuen wir uns, daß wir nicht nöthig hatten zu Sophistereien zu greifen, als es sich um die Errichtung unserer eigenen Siegesdenkmale handelte.

Hatte die Plastik, im Ganzen doch eine ernstere, weniger leicht bewegliche Kunst, solche Blüthen getrieben, so durfte die französische Malerei sicherlich nicht zurück bleiben; und wirklich hat der Schlachten-Maler Détaille, ein sonst ganz tüchtiger Künstler, eine Darstellung des blutigen Kampfes um St. Privat geliefert, die das Mögliche leistet an gasconischer Aufschneiderei und Verlogenheit.[1]

Man weiß, und die Geschichte hat es mit unvergänglichen Zügen in ihr Buch geschrieben, mit welchem Heldenmuthe und begeisterter Todesverachtung an jenem denkwürdigen 18. August die preußische Garde den mehrfach überlegenen, von Mauern und anderen Schutzwehren trefflich gedeckten Feind wieder und wieder in der Front und so zu sagen mit offener Brust, angriff, um endlich, nach entsetzlichem Ringen und mit einem Verluste von 8000 Mann an Todten und Verwundeten Herr der Situation zu werden.

Schen wir nun zu, wie der Franzose diese Begebenheit dargestellt hat:

Im Vordergrunde des großen Bildes sieht man den mit Mauern umgebenen Kirchhof des kleinen Ortes, dessen Eingangsthor soeben von einer Gruppe deutscher Soldaten gesprengt wurde, während von der Rückseite, etwa durch eine andere, nicht sichtbare Pforte, ein zweiter „Gewalthaufen“ eindringt.

Von eigentlichen französischen Kämpfern erblickt man nicht viel (ein letzter bricht eben im Feuer zusammen), an der Mauer der Kirche aber lehnen sechs schwer verwundete Helden, Trotz und stolze Verachtung im Blick und den Arm in der blutigen Schlinge – Dumas’sche d’Artagnan’s vom Scheitel bis zur Zehe – bereit, den Todesstoß von Seiten der einbrechenden Barbaren zu empfangen. Als ob dies jedoch der Prahlhanserei noch nicht genug wäre, so erblickt man über die zerschossenen Mauern des kleinen Kirchhofs hinweg das nach Myriaden zählende Heer der Deutschen, mit Kanonen und anderen Mordwaffen, wie sie die Straßen des kleinen Ortes bis zum letzten Winkel füllen, die Häuser erbrechen und mit gestohlenem Gut abziehen, während fernhin Rauch und lodernde Flammen den Weg bezeichen, den die Mordbande genommen! – – –

Dieses Bild, eines der niederträchtigsten, die der französische Pinsel je geschaffen, hat seinen Weg durch Deutschland gemacht und ist, gewiß ein Beweis unserer Gutmüthigkeit, unversehrt durchgekommen!

In Frankreich würde ein deutsches Bild ähnlicher Art in der ersten Viertelstunde seiner Ausstellung in einem öffentlichen Locale in tausend Fetzen zerrissen worden sein und irgend einen pflichtgetreuen Gensdarmen, der es sich hätte einfallen lassen, dagegen einzuschreiten, hätte dasselbe Schicksal ereilt.

Ganz in derselben Weise nun, wie sich die Franzosen dagegen sträuben, ihre Niederlagen auf dem Schlachtfelde als ächte und rechte anzuerkennen, wehren sie sich in einer für den Fachmann und Kenner oft geradezu komischen Art, den Grund ihrer neuesten wirthschaftlichen Verlegenheiten, die jetzt erst beginnen, und die sich noch ganz anders entwickeln werden, darin zu finden, wo er in Wahrheit liegt: in dem Wachsthum und der glänzenden Entfaltung der deutschen Industrie und speciell des deutschen Kunstgewerbes, das dem französischen heute nicht nur gleichkommt, sondern es auf verschiedenen Gebieten schon bedeutend überholt hat, mit anderen Worten also: in einer Niederlage beim friedlichen Wettstreite der Völker, im Reiche der Industrie und des Handels.

  1. Im Gegensatze zu den Schlachtenbildern deutscher Künstler, wie wir dies gelegentlich der Beschreibung des Leipziger Schlacht-Panoramas von L. Braun hervorheben. Anmerk. d. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_743.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)