Seite:Die Gartenlaube (1885) 018.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Blätter und Blüthen.


Zum 100jährigen Geburtstag Jakob Grimm’s. Der 4. Januar d. J. ist der 100jährige Geburtstag Jakob Grimm’s. Da können wir nicht versäumen, das ehrwürdige Bild des herrlichen Mannes einmal wieder in unserer Erinnerung aufleben zu lassen und seiner Verdienste dankbar zu gedenken.

Wir bewundern in Jakob Grimm zunächst den großen Gelehrten, den Mitbegründer der deutschen Philologie als Wissenschaft, den „Sprachgewaltigen“, der von einer bis dahin ungeahnten Höhe des Standpunktes aus und mit einem bis an den Horizont dringenden Scharfblick das weite Gebiet unserer Muttersprache überschaute, derselben bis in ihre verborgensten Wurzeln nachspürte und sie dann wieder in ihrem ganzen Wachsthum bis zu den feinsten Verästelungen und Verzweigungen verfolgte; der, mit einer erstaunlichen Vielseitigkeit begabt, die von seinen Vorgängern willkürlich gezogenen Schranken kühn durchbrechend, eben so wohl die ältere Sprachstufe mit ihrer schönen Fülle der Formen, wie die neueren Phasen der Sprachentwickelung mit ihrer feineren geistigen Durchbildung in das Interesse der Forschung zog; der gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm in dem „Deutschen Wörterbuch“ den reichen Schatz der neuhochdeutschen Sprache von Luther bis Goethe und Schiller, ja darüber hinaus, aufzuspeichern unternahm, der endlich mit der Fackel der Sprachwissenschaft auch das Leben und die Gewohnheiten unserer Vorfahren erhellte, über Glauben, Rechtsverhältnisse, Sitten und Gebräuche derselben ein neues Licht verbreitete.

Wir schätzen in Jakob Grimm ferner den populären deutschen Schriftsteller, der im Verein mit seinem Bruder Wilhelm uns und unsern Kindern die lieblichen „Kinder- und Hausmärchen“ spendete. Diese freundlichen deutschen Sagen, deren Aufzeichnung und Herausgabe durch die verwandten Sammlungen und Dichtungen der Romantiker, namentlich durch „Des Knaben Wunderhorn“, veranlaßt wurde, bewahren noch heute eine ungeschwächte Anziehungskraft, weil uns aus ihnen die unverdorbene, unverfälschte Volksseele offen und unschuldig wie aus Kinderaugen anblickt, und auch die letzte Weihnacht hat wohl mancher Familienvater Grimm’s Märchen seinen Kindern unter den Christbaum gelegt.

Wir verehren sodann in Jakob Grimm wie in seinem Bruder Wilhelm den deutschen Mann – einen Stern in dem Göttinger Siebengestirne charaktervoller Professoren, welche im Jahre 1837, als Ernst August von Hannover die von seinem Vorgänger gegebene und unter demselben beschworene Verfassung durch einen Akt autokratischer Willkür über den Haufen stieß, gegenüber der allgemeinen Verzagtheit den Muth hatten, in einer feierlichen Protestation ihrem Unwillen Ausdruck zu geben, und dann, ohne Urtheil und Recht aus ihren Aemtern verjagt und verfolgt von dem schadenfrohen Hohngelächter der sogenannten „Klugen“, in eine ungewisse Zukunft hinaussteuerten – und das Alles nicht aus blinder Oppositionssucht, sondern aus strengem Pflichtgefühl, weil sie die geschworenen Eide nicht brechen wollten, und aus Liebe zum Vaterlande, weil sie der Ueberzeugung waren, daß die Zukunft des deutschen Volkes „auf einem Gemeingefühl seiner Ehre und Freiheit beruhe“.

Wir schätzen ferner in Jakob Grimm den treuen Bruder, der nicht nur immerwährend mit seinem Bruder Wilhelm durch die schönste und innigste Gemeinsamkeit des Lebens und der Studien verbunden blieb, sodaß man sich die beiden Brüder kaum getrennt vorzustellen vermag, sondern auch Jahre lang, wiederum in Gemeinschaft mit Wilhelm, für den Unterhalt von vier jüngeren Geschwistern mit opferfreudigster Hingebung sorgte.

Wir lieben endlich in Jakob Grimm, wie in seinem Bruder Wilhelm, den deutschen Patrioten, der, mochte er nun eine deutsche Grammatik schreiben oder Kindermärchen sammeln, oder der Vergewaltigung Trotz bieten, stets aus deutscher Gesinnung heraus und im Interesse des deutschen Vaterlandes gewirkt und gehandelt hat.

Bekanntlich schickt sich die Stadt Hanau an, ihren beiden großen Söhnen, den Brüdern Jakob und Wilhelm Grimm, ein würdiges Denkmal zu setzen. Möge ganz Deutschland die Ehrenpflicht der Stadt Hanau als die seinige betrachten![1]Otto Sievers.     


  1. Das Komité für dieses Denkmal hat in Hanau seinen Sitz, während zahlreiche auswärtige Spezialkomités die Angelegenheit in ganz Deutschland zu fördern bemüht sind. Bis jetzt sind rund 37 000 Mark von den Schatzmeistern eingenommen, von welchen mehr als die Hälfte in der Stadt Hanau selbst gesammelt ist. Außerdem ergeben die Zeichnungen von Jahresbeiträgen für den in Hanau auf 5 Jahre gegründeten Grimm-Verein Verpflichtungen im Betrage von rund 6000 Mark. Von einer größeren Anzahl auswärts gebildeter Spezial-Komités ist bekannt, daß sie Sammlungen veranstaltet haben, deren Ertrag jedoch noch nicht eingelaufen ist. So dürften die bisherigen Zeichnungen an einmaligen und jährlichen Beiträgen sich bereits auf nahezu 50 000 Mark belaufen.Die Red.     

Eine originelle Notenzeichnung. (Mit Abbildung.) Nur in dem Kopfe des geistreichen französischen Zeichners J. J. Grandville, der in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts namentlich durch seine satirischen Bilder Bedeutendes zu schaffen wußte, konnte die kecke Idee entstehen, durch Entwürfe, wie die untenstehenden „Noten“, zwei Künste, die Musik und die Zeichenkunst, zu verschmelzen. Wie sonderbar auch dieser Einfall bei näherer Prüfung erscheinen mag, dem genialen Zeichner ist es in der That gelungen, die Noten zu beleben und aus jenen für das Auge so langweiligen Zeichen ein Bild zu schaffen, das auf den ersten Blick den Inhalt des betreffenden Musikstückes errathen läßt oder wenigstens als stimmungsvolle Illustration desselben gelten darf. So bieten uns die Noten der kurzen Melodie der Barcarole, des weltbekannten Liedes der venetianischen Gondelführer, in der Grandville’schen Zeichnung eine vollständige Episode aus dem Fischerleben, in der es weder an Sturm und Unglück, noch an frohen Scenen der glücklichen Heimkehr fehlt. Die Grandville’schen Noten illustriren ungefähr folgende Geschichte: Die Fischer rüsten sich zur Abfahrt und nehmen Abschied von ihren Frauen, von denen eine ihren Knaben dem Vater in das Boot reicht. Sie rudern und segeln bei ruhigem Wetter fröhlich in gleichmäßigem Tempo auf den Wogen, bis die See unruhig wird, der Himmel sich mit zerrissenen Wolken bedeckt und die Boote derart schwanken, daß einer von den Fischern in’s Wasser fällt. Nach diesem kleinen Unfall tritt eine Pause ein, sodaß ein anderer Fischer auf einem Horn lustige Fanfaren erschallen läßt. Doch diese Ruhepause dauert nicht lange, die kleine Seemöve verkündet ein neues Anheben des Sturmes, der also wüthet, daß die Schiffer ihre Hände jammernd gegen den Himmel erheben und ein Boot mit sechs Mann von den Wogen umgeworfen wird. Der Sturm legt sich wieder, wohl treiben die Verunglückten in den Wellen, aber die Geretteten rudern emsig dem Hafen zu, in welchem die besorgte Mutter ihren Knaben wieder in Empfang nimmt.

Barcarole. Nach einer alten Zeichnung von J. J. Grandville.

Unsere musikalischen Leser werden die Bedeutung der einzelnen Striche und Punkte in der Zeichnung sicher erkennen, und wir wollen dieselbe an dieser Stelle nicht erklären, um ihnen die Freude des leichten Enträthselns nicht zu rauben. – Grandville entwarf in ähnlicher Weise eine Reihe von Notenzeichnungen, unter denen wir noch die „Ronde-Tarantelle“, den „Masken-Galopp“ und den „Türkischen Kriegsmarsch“ hervorheben möchten. – i. 


Der Urlauber. (Mit Illustration S. 4 und 5.) Der Joseph ist heimgekommen! Ist das ein Freudentag, ihr lieben Leute! Nun, der Kaiser soll eben gesagt haben, die Steinbacherleute oben im Gebirge sollen auch was Liebes erleben zu diesen Weihnachten, ich schicke ihnen den Joseph.

So ist er denn ganz unerwartet gekommen, und just am heiligen Abend, wo die Einen noch beim Waschen und Scheuern, die Andern beim Holzspalten waren, und die Kinder beim Bravsein, denn es wird ja das Christkind kommen. Da springt auf einmal die Thür aus dem Schloß, wer sie nur so weit aufreißt, wo es draußen so kalt ist! Jesus Maria, der Joseph!

Sitzt er denn jetzt mitten unter seinen Leuten, und sie haben ihn wieder, um den die Mutter so oft geweint in stiller Nacht, denn er war in weiten Landen – „und jetzt wenn jählings Krieg wird!“ Einmal hatte sie ihn im Traum gesehen liegen auf dem Sand mit durchschossener Brust, und da hatte sie ihr Mann nicht genug ausschelten können über ihre Narrheit – und dabei war auch ihm weh um’s Herz gewesen.

Jetzt ist er da. Und wie prächtig er ausschaut! einen Stern hat er am Kragen. Da ist er etwa schon General? oder gar Korporal? Und was er für Sachen zu erzählen weiß! Die Jungen und die Alten, alle hören zu, und der Großmutter will vor lauter Verwunderung schier das Strickzeug aus dem Schoß fallen. Die Mutter aber, die hat jetzt keine Zeit, da mag’s in der Welt draußen hergehen wie es will, sie muß dem Joseph was zu essen kochen. Dem kleinsten Knäblein, dem ist aller Weltlauf und alles Essen nichts, dem geht’s nur nach dem funkelnden Knopf an der Brust des schönen Soldaten. Die übrigen Kinder möchten wohl von den Rössern und Reitern ein Näheres hören, deren auch so viele beim Soldatenleben sollen sein, getrauen sich aber nicht recht nachzufragen, er ist so viel fürnehm worden, der Joseph, aber lachen thut er just noch so, wie vor einem Jahr, da er mit dem Rekrutenstrauß auf dem Hut davongegangen ist. Nur nicht so traurig lacht er heute, als damals. Beim Vater ist mir nur bange, daß die Pfeife ausgeht, so fest hört er zu. „Na“, frägt er ungereimt drein, „und hast dich unten beim Kirchenwirth sehen lassen?“ Ernst und gesetzt muß er bleiben und innerlich zittert ihm jedes Aderlein vor lauter Stolz und Freude. Das große Mädel hinter



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_018.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2023)