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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

dem Lehnstuhl – erst noch die Frage, ob sie eine Schwester von ihm ist! – das kann sich mit seinen schalkhaft treuherzigen Augen nicht sattsehen an dem heimgekehrten Joseph und denkt: Na ich glaub’s, daß ihn der Kaiser hat haben müssen, der ist Herr über sein Land und sucht sich halt die schönsten und liebsten Leut’ aus!

Nun ist das Kaffeesüpplein fertig. Die „schöne Schalen“ steht schon auf dem Tisch, und jetzt erst hat die Mutter Zeit. Ihre Hand wischt sie an der Schürze glatt, dann greift sie glückselig und demüthig nach der seinen und sagt ganz leise: „Grüß dich Gott, Seppel! Weil du uns nur wieder daheim bist! Und jetzt schau, daß dir die Suppen bei uns noch mag schmecken.“ P. K. Rosegger.     


Das neue Leipziger Gewandhaus. Wenn ein Wort eine, ob seinem Ursprung noch so fremde, aber von der ganzen gebildeten Welt anerkannte Bedeutung erworben hat, so ist es ein gerechter und dankbarer Stolz, der das alte Wort nicht der neuen Bedeutung aufopfert; mit Freude finden wir dies angewandt auf das alte Leipziger „Gewandhaus“, das ursprünglich die Räume für die Tuch- und Leinen-Waaren der Meßstadt enthielt. Kein Konzertsaal der Welt kann sich an Ansehen dem des „Gewandhauses“ gleichstellen, die größten Künstler erachteten es als ihre höchste Ehre, im „Gewandhaus“ anerkannt worden zu sein, Virtuosen und Tondichter fanden ihren Ruf erst vollkommen gesichert, wenn sie im „Gewandhaus“ geglänzt hatten. Eben darum erhob sich das in bescheidener Unterkunft im Hofe des Gewandhauses erblühte „Konservatorium der Musik“ zu einer Anstalt für die gebildeten Nationen der ganzen Erde, die ohne Ausnahme durch Kunstjünger daselbst vertreten sind.

Den Jahrgang 1881 der „Gartenlaube“ zeichnet in Nr. 47 ein Artikel „Zum hundertjährigen Jubiläum der Gewandhaus-Konzerte zu Leipzig“ von Hermann Kretzschmar aus, welchem eine Abbildung des alten Konzertsaals und die Bildnisse der Dirigenten der Leipziger Gewandhaus-Konzerte von 1781 bis 1881 (Hiller, Schicht, Schulz, Pohlenz, Mendelssohn-Bartholdy, Rietz und Reinecke) beigegeben sind. Diese Nummer unseres Blattes verdient heute, wo das alte Haus verlassen dasteht, aber der ganze Reichthum seiner Vergangenheit in das neue Gewandhaus mit einziehen muß, um den neuen Bau mit dem alten Geist zu erfüllen, von jedem Verehrer unsrer klassischen Tonkunst noch gelesen zu werden.

Im Winter.
Nach dem Gemälde von C. Schwenninger jun.

Das neue „Gewandhaus“ steht nun vollendet da und hat am 11. Dezember mit seinem ersten Konzerte den Tag seiner Einweihung gefeiert.

Der Gedanke an den Neubau war schon bei dem hundertjährigen Jubiläum gefaßt, die Ausführung desselben begann im Frühjahr 1882. Das prachtvolle Gebäude schmückt einen der schönsten Stadttheile neben dem ehemaligen botanischen Garten und zeigt auf den ersten Blick die Würde eines monumentalen Baues. Auch die Ausdehnung desselben, die ein ganzes Straßenviertel einnimmt, tritt mächtig vor das Auge, das Herz aber erfreut die Treue, mit welcher der alte Wahrspruch, das Wahrzeichen des alten Gewandhaussaals, hier zu Ehren gekommen ist; hoch im äußern Fries unter dem Giebel steht mit ehernen Buchstaben die Inschrift: „Res severa verum gaudium“ (Ernstes Thun schafft wahre Freude). Das ist ein Gelöbniß für den Kultus der Zukunft in diesem Tempel der Kunst.

Wir müssen zu seiner Ehre einige Zahlen sprechen lassen. Der ganze Bau vom Grund bis zum letzten Ornament und allem Inventar erforderte die Summe von 1 350 000 Mark. Dieselbe wurde größtentheils durch „Stiftungsantheile“ aufgebracht, 400 000 kamen aus der Stiftung eines Leipziger Bürgers, Grassi’s, hinzu und ein anderer Bürger dieser Stadt, Voigt, gab dazu den Bauplatz umsonst her. Es gehört gewiß zu den preiswürdigsten Vorzügen von Leipzig, daß es seine werthvollsten Bauwerke und Anstalten der Hochherzigkeit seiner Bürger verdankt: sein reiches Museum für bildende Kunst, sein neues Theater und nun sein Konzerthaus, das nach Geschmack und Zweckmäßigkeit der Ausstattung und Einrichtung als ein bis jetzt unerreichtes Muster zu gelten hat.

Die wichtigste Probe bei der Einweihungsfeier hatte der große Konzertsaal zu bestehen. Derselbe hat eine Länge von 42,5 Meter (ohne die von der Orgel eingenommene Nische), eine Breite von 19 und eine Höhe von 14,6 Meter. – Neben diesem großen Saal befindet sich, vorzugsweise für Kammermusik bestimmt, noch der sogenannte kleine Saal von 23 Meter Länge, 11,50 Meter Breite und 8 Meter Höhe, also genau die Größe des alten erprobten Gewandhaussaals. In beiden Sälen sind weder Orchester noch Sitze festgestellt, so daß durch deren Entfernung die Räume für die großartigsten Festlichkeiten eröffnet werden können. Auch Foyer und Garderoberäume zeichnen sich durch Zweckmäßigkeit, Ausdehnung und Schönheit aus. So war das neue Gewandhaus am 11. Dezember bereit zum Empfang seiner Gäste und seiner Weihe.

Der Abend kam, die Wagen rasselten, die Fußgänger strömten herbei, und Alle, die zum ersten Mal die neuen Räume betraten, ergriff die freudigste Ueberraschung über die hier dem Auge sich darbietenden Herrlichkeiten der Baukunst, und mit wahrhaft festlicher Gehobenheit betraten Alle den Konzertsaal. Es war gewiß für diese Weihe der Kunst in ihrer edelsten Gestaltung eine erhebende Huldigung, daß auch die landesherrliche Betheiligung ihr nicht fehlte, daß König Albert und Königin Carola von Sachsen das hohe Fest der Stadt Leipzig durch ihre Anwesenheit auszeichneten.

Das Programm begann mit Beethoven’s Ouverture „Zur Weihe des Hauses“. Ein Prolog von Rudolf von Gottschall, gesprochen von Frau Lewinsky-Precheisen, leitete, melodramatisch abgeschlossen, in die Entfaltung der Töne jener Orgelkunst über, in welcher Johann Sebastian Bach der unsterbliche Meister bleibt, und Mendelssohn’s 114. Psalm schloß den ersten Theil der Feier. Den zweiten füllte Beethoven’s „Neunte Symphonie“ allein aus, im Soloquartett vertreten durch Frau Otto-Alvsleben aus Dresden, und von Frau Metzler-Löwy und die Sänger Lederer und Schelper vom Stadttheater. Und als das Ende erreicht war, ernteten Alle, der Kapellmeister Reinecke, das Orchester, der Chor, die Solosänger den wärmsten Beifall des in Begeisterung aufjubelnden Hauses.

So ist der erste große Tag des neuen Gewandhauses ein neuer großer Sieg der Tonkunst in Leipzig gewesen.


Desdemona. (Mit Illustration S. 8.) Die Dichtungen Shakespeare’s sind überaus reich an herrlichen Frauengestalten; Desdemona, die edle Gattin Othello’s, des leidenschaftlichen „Mohren von Venedig“, ist durch ihre Liebe und ihr Schicksal von allen eine der anziehendsten. Die Dichtung Shakespeare’s ist bekannt. Welches aber ist der Moment, den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_019.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2023)