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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


„aber ich habe gehört, daß es Gegenden giebt, wo man nie einen Berg, oder auch nur den kleinsten Hügel erblickt; ich möchte da nicht leben, denn ich liebe unser hohes Nest, das manchmal mitten in den Wolken steckt und von dem man, wenn’s klar ist, die Sonne, soweit als die Brücke[1] reicht, scheinen sieht über Felder und Wiesen und alle die Mühlen, welche die Eresma im Thale treibt.“

„In der Ebene bauen die Menschen dafür Kathedralen mit hohen Thürmen, welche statt der Berge bis an die Wolken reichen und von denen man das Land überschaut,“ sagte Felipe und fing an von seinen Reisen zu erzählen; es schien, er hatte bereits ein gut Stück Erde gesehen. Zum ersten Mal vergaß Guadalupe die Arbeit über einem Gespräch.

Der Vater, der seinen „Feldzug“ mitgemacht und dem natürlich so ein Grünschnabel nichts Neues sagen konnte, war längst ins Haus gegangen. Mochte er sich mit der Tochter amüsiren, ihm war’s schon recht, vielleicht machte ihn das einmal nachsichtiger gegen die Schwächen des Vaters. Daß er als Vater ein wachsames Auge auf die Beiden haben wollte – ei, das verstand sich ganz von selbst.

So waren ein paar Tage vergangen, und Lu hatte einen Freund gefunden, der ihr mit jedem dieser Tage lieber geworden war. Natürlich nahm Concha an dem wichtigen Ereigniß das größte Interesse. Sie mußte in alle Einzelheiten eingeweiht werden.

„Schön? Nein - schön ist er nicht gerade,“ berichtete Lu, „er hat ein Paar dunkle, kluge Augen und eine hohe Stirn, der Mund ist etwas groß und die Haut sehr braun, als ob die Sonne sie verbrannt. Ach, wenn er nur nicht so fleißig wäre!“

„Warum?“

„Nun - weil er mit seiner Arbeit dann schnell fertig sein wird und ...“

„Wirst Du sehr traurig sein wenn er fortgeht, Lu?“

„O nein“ - erwiderte diese und richtete sich auf, als schäme sie sich, über einer Schwäche betroffen zu sein, „o nein - es ist nur, wenn man so einfältig wie wir aufgewachsen ist, gar so angenehm, Jemand neben sich zu haben, den man über Alles fragen kann. Und denke nur, er hat selbst den Papa gewonnen. Papa ist gestern Abend zum ersten Male zu Hause geblieben, seit so langer Zeit! Und er schien ganz glücklich ... wir Alle waren es. Ach Concha, ich glaube, in meinem Leben war ich noch nicht so glücklich!“

Während die beiden Mädchen sich so unterhielten, hatte der Postbote dem Mateos einen Brief gebracht.

„Gevatter José,“ schrie der Briefträger und schwenkte ihn, „der Brief kommt von weit her, und wenn er voll Geld ist“, denn Mateos hatte unterschreiben müssen, „so vergeßt nur nicht, daß die Luft durstig macht!“

Aber José Mateos war nicht in der Stimmung, Andere glücklich zu machen. Es war Ziehungstag gewesen und das ungerechte Geschick hatte den verdienten Krieger abermals mit einer Niete bedacht. Er starrte das Siegel noch an, als der Briefträger, des Wartens müde, schon wieder auf der Straße war. Er fürchtete sich, es aufzubrechen, und als er das endlich gethan, fürchtete er sich wieder vor den geschriebenen Worten, als könnten sie ihm ein Leid anthun. Langsam, das Lesen war ihm eine sehr ungewohnte Beschäftigung, buchstabirte er sich durch die Ueberschrift:

„Vielgeliebter, unvergeßlicher Freund!“

„Unvergeßlich – sein Gedächtniß muß nur für die Schaltjahre eingerichtet sein!“ brummte er.

Und dann, ehe er weiter las, lief er nach der Thür und schloß sie ab. Wenn Lu, die von dem Handel, soweit er sie betraf, nichts wußte – der Schreiber Domingo war längst mit Tode abgegangen und von den damaligen Kameraden war keiner am Ort - ihn überraschte! ..

Statt der Unterschrift dasselbe Zeichen, wie der Canelo damals unter den Vertrag gesetzt. Kein Irrthum, der Brief kam von Peppe Canelo, sein Herz begann heftig zu schlagen.

Geld, er untersuchte das Kouvert noch einmal sorgfältig, Geld lag nicht darin. Warum also schreiben? Und wie Leute, denen Briefe ungewohnte Ereignisse sind, vergaß er, daß er die Erklärung vor sich hatte, und begann zu grübeln, was den Canelo wohl zum Schreiben veranlaßt habe, wenn er ihm doch kein Geld schicken könne.

Endlich ermunterte er sich und las wie folgt:

„Vielgeliebter, unvergeßlicher Freund!

Ich habe schlimme Zeiten gesehen, und wenn ich bis jetzt nichts mit Dir theilte, so war es, weil ich nichts zu theilen hatte. Das Land hier ist nicht so übel, wenn man bedenkt, was Alles darin wächst, besonders die besten Tabaksblätter. Nur dürfte die Sonne nicht so stark scheinen, sie brennt einem alle Kourage aus den Gliedern.

Von wegen Deines Geldes melde ich Dir, daß die Reise wenig übrig ließ, und im Spital, wohin sie mich bald nach meiner Ankunft brachten, hätte ich noch zusetzen müssen, wenn ich’s nur gehabt! Seit zwei Jahren ist es mir aber besser gegangen, und Du sollst erfahren, daß ein rechtschaffner Soldat zu seinem Worte steht und der Christ das hält, was er beim Sakrament beschworen hat. Mein Sohn Lopez ist ein Mann geworden, der Dir als Schwiegersohn Ehre machen wird. Der Onkel Metelin hat ihn eingeladen, ein paar Tage in Vigo bei ihm zuzubringen, wo er sich ausschifft. Aber er wird bald nach dem Briefe sich bei Dir einstellen und Dir 1857 Pesos fuertes übergeben sammt der Berechnung, damit Du siehst, daß die Theilung gerecht war. Vom Schwager Metelin habe ich auch erfahren, daß Guadalupe gar anmuthig aufgewachsen ist, denn er hat Freundschaft in Segovia, die es ihm mitgetheilt. Das war mir lieb zu hören. Denn wie ich in allen Stücken zu unserm Vertrage stehe, vom ersten bis zum letzten Punkte, also erwarte ich es auch von Dir. Und zwar, daß, wenn Du meinem Sohne das Kind nun nicht geben wolltest, ich frei und ledig aller Zusage wäre und mein Geld behielte.

Dein treuer Freund und Kamerad 
Peppe Canelo.“



(Schluß folgt.)


  1. Die Segovianer nennen ihren Aquädukt, welcher von Trajan herrühren soll und eines der wunderbarsten Bauwerke ist, das eine Ausdehnung von gegen 3000 Fuß hat, gewöhnlich: die Brücke, el Puente; sie ist auch im Stadtwappen.




Blätter und Blüthen.


Von Wölfen verfolgt. (Mit Illustration Seite 40 und 41.) Isegrimm schreckt heutzutage in Deutschland nur die Kinder in Fabelgeschichten; die Zeiten sind längst vorüber, da er eine wahre Landplage bildete. Nur in den Vogesen, im fernen Osten des russischen Reiches, wohl auch in Ungarn und der Walachei erdreistet er sich im Winter, von Hunger gepeinigt, Reisende und Wanderer anzugreifen, und in diesem Angriff ist er dann tollkühn und gefährlich, da er ihn, namentlich in den zuletzt genannten Ländern, nicht einzeln, sondern in ganzen Rudeln ausführt. Hungrige Wölfe sind es auch, die das walachische Sechsgespann, das den russischen Kurier durch die öden Länderstrecken der Moldau trägt, zur rasenden Flucht antreibt. Das packende, mit seltener Naturtreue wiedergegebene Bild des berühmten Schlachtenmalers Professor Adolf Schreyer ist eine Reminiscenz aus dem russisch-türkischen Kriege von 1853 bis 1855, denn während dieser Zeit befand sich der Künstler in der Walachei, in Ungarn und Südrußland, wo er Gelegenheit hatte, Land und Leute kennen zu lernen und russischen Kurieren zu begegnen.

Adolf Schreyer wurde 1828 zu Frankfurt am Main geboren und erhielt daselbst eine ausgezeichnete Erziehung. Begabt mit einem entschiedenen Sinne fürs Zeichnen, warf er sich hauptsächlich auf das Studium des Pferdes. Er besuchte verschiedene Gestüte Deutschlands und bezog dann die Akademien von Düsseldorf und München. Nach Beendigung des Krimkrieges begleitete er den Fürsten von Thurn und Taxis nach Asien und Aegypten und wurde dann vom Kaiser von Oesterreich nach Wien berufen. Im Jahre 1861 begab sich Schreyer abermals nach Afrika, um dort die Araber und ihre Pferde gründlich zu studiren. Nach seiner Rückkehr ließ er sich in Paris nieder, wo ihm ein glänzender Empfang zu Theil wurde.

Seine hervorragendsten Gemälde sind: „Die Schlacht bei Waghäusel“, im Besitze des Großherzogs von Mecklenburg, „Die Schlacht von Komorn“, „Ein Kavallerie-Angriff“, „Der Fürst von Thurn und Taxis, verwundet bei Temesvar am 9. August 1849“. Auf der großen Ausstellung im Palais de l’Industrie 1864 war Schreyer durch zwei Bilder vertreten: „Araber auf der Jagd“ und „Kosakenpferde im Schneegestöber“, für die ihm die Preisrichter einstimmig die goldene Medaille zuerkannten. Das zuletzt erwähnte Bild kaufte Kaiser Napoleon.

Schon im Jahre 1863 erhielt Adolf Schreyer in Belgien die große goldene Medaille und 1864 den Leopoldsorden. 1865 und 1867 wurde

ihm abermals in Paris die große goldene Medaille zu Theil, und außerdem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_055.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2023)