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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Die Stufen. Gedicht von Eber-Hardt. Originalzeichnung von. H. Dietrichs.

Im tiefen Urwald sank das Dunkel.
Das Lagerfeuer war verglüht,
Und einsam in den Lüften brauste
Des Orinoko wildes Lied.

Da tauchte aus den Palmenschatten
Ein lichtes liebes Bild hervor:
Ein hoher Giebel, daran schmiegt sich
Ein Treppenaufgang steil empor.

Ich kenne euch, ihr trauten Stufen,
Bedeckt mit Moos und unterwühlt:
Hab’ ich so oft zu euren Füßen
Doch schon als frohes Kind gespielt!

Wie schritt der trotzig wilde Knabe,
Wie schritt der liebesseel’ge Mann
So oft auf euch, ihr schmalen Steine,
Zu trauter süßer Rast hinan!

Jetzt schweif’ ich durch die weite Ferne
Ergraut das Haupt in fremdem Land –
Mir ist, als könnte ich nur sterben
Daheim, wo meine Wiege stand;

Mir ist, als sähe ich euch winken,
Ihr alten Stufen, schon bereit:
Wir führten dich einst in das Leben –
Komm wieder nun zur Ewigkeit!
     Rio de Janeiro 1884.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_069.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)