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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

herausgeputzt ist. Die bei dieser wie bei den übrigen Truppen herrschende Disciplin, die Mißwirthschaft unter den Beamten und Officieren lassen sich nicht anders als durch die Bezeichnung „orientalisch“ annähernd charakterisiren. Da es zu Sansibar weder eine „Oberrechnungskammer“ noch „Revisoren“ und „Inspektoren“ giebt, ist wohl nicht zu befürchten, daß der gutmüthige Herrscher so leicht hinter die Schliche seiner Diener kommen dürfte.

Die Strafrechtspflege wird theils vom Sultan selbst, theils vom Kadi gehandhabt und hat in Bezug auf manche Verbrechenssühne einen grausamen Charakter. So haut man z. B. dem rückfälligen Dieb die rechte Hand ab und taucht hernach, um die Blutung zu stillen, den Armstumpf in siedendes Oel. Die einzige Aehnlichkeit mit europäischen Zuständen auf diesem Gebiete besteht allenfalls darin, daß man bei festlichen Gelegenheiten die Gefangenen, allein mit Ausnahme der Hochverräther, freiläßt. – Im Uebrigen sind nur Araber und Suaheli den Landesgesetzen unterthan: die indischen Staatsangehörigen Englands gehorchen aber dem Spruche ihres Konsuls. Die Europäer, welche gewissermaßen einen Staat im Staate bilden, stehen außer aller Gerichtsbarkeit. Den niedriger gestellten Wasungu kann allerdings der Konsul eine Strafe zuerkennen; Kaufleute hingegen dürften wohl kaum zur Unterwerfung unter ein Urtheil gezwungen werden können, wenigstens nicht von einem Handelskonsul. In Bezug auf Verbindung mit der Heimath waren die Europäer zu Sansibar früher übel dran. Ein regelmäßiger Postverkehr fehlte die längste Zeit hindurch gänzlich; nur zeitweilig und zu unbestimmten Zeiten erhielt man durch Kriegs- oder Handelsschiffe die Briefe und Zeitungen von den Sechellen, von Bombay oder einer anderen Poststation. Oft blieb auch Monate lang jegliche Nachricht aus. Seit einigen Jahren besteht aber eine regelmäßige monatliche Verbindung mit Europa, indem die Dampferlinie „British India“, die eine Unterstützung vom englischen Gouvernement erhält, eine Zweiglinie Aden-Sansibar-Delagoa-Bay eingerichtet hat. Endlich ist Sansibar seit drei Jahren durch die Legung eines Kabels von Aden zu den südafrikanischen Besitzungen Englands auch in telegraphische Verbindung mit Europa getreten.

Vornehme Araberin in Sansibar.

Wenn auch Sansibar keinen Vergleich mit anderen tropischen, besonders indischen Handelsplätzen aushalten kann, so ist es doch für Reisende an Afrikas Ostküste dasselbe und mehr, was Kairo und Chartum für den Nordosten sind. In dieser an Hilfsmitteln reichen und der Küste so nahe gelegenen Stadt versorgt man sich mit allen Reisebedürfnissen, verschafft sich Empfehlungsbriefe des Sultans und findet die gastfreundlichste Unterstützung der europäischen Kaufleute und Konsuln.

Ein Bild aus dem Schauspielerleben.

Von Anna Löhn-Siegel.

Eine um ihrer Abkunft und Erscheinung willen interessante Persönlichkeit war Emilie Devrient, verehelicht gewesene Höffert, die einzige Tochter Ludwig Devrient’s, des im Jahre 1832 verstorbenen, berühmten Schauspielers, aus seiner einjährigen Ehe mit Margarete Neeffe. Ich lernte sie im Jahre 1848 am Oldenburger Hoftheater kennen, wo sie für das Fach der Anstandsdamen und ernsten Mütter engagirt war. Ihre Züge glichen so auffällig denen ihres Vaters, daß dieser sie schon als junges Mädchen scherzweise „verweiblichter Ludwig“ zu nennen pflegte. Mit den Jahren mochte die Aehnlichkeit noch stärker hervorgetreten sein, wie aus der Vergleichung mit dem Portrait des großen Künstlers, das Emilie besaß, deutlich hervorging.

Dieses wunderbare Portrait, von welchem die Tochter sagte: „es lebt, es athmet“, wurde für mich zum Magnet. Auch ohne zu wissen, daß es einen der genialsten Menschendarsteller wiedergab, hätte man das Außerordentliche ahnen müssen, das diese Hülle einst umschlossen hat.

Welch ein Kopf! Der Maler hatte ihn lebensgroß wiedergegeben, aber von Hals und Schultern fast nichts sichtbar werden lassen. So hockte das merkwürdige Menschenhaupt im engen Rahmen und schaute wie aus einem Kerkerfensterlein von der Wand herab.

Emilie, die Tochter dieses Mannes und Wittwe des Schauspielers Höffert, stellte das in jeder Hinsicht gesänftigte Antlitz des Vaters dar, trotz der Gleichheit der Linien. Dieselbe große überhängende Nase, dieselbe schmale Gesichtsform, derselbe scharfe Schnitt, aber die Hautfarbe weiblich zarter, sodaß an den schon etwas eingesunkenen Schläfen feines blaues Geäder durchschimmerte. Die tiefdunkeln Augen blickten lebhaft und verlangend in die Welt, aber sie waren fern von jener verzaubernden Dämonie, die ein ebenso unermeßliches, als unheimliches Licht- und Schattenreich im Busen verräth. Neigung zum Zorn war vorhanden, aber sie wurde aufgesogen durch Gutmüthigkeit und lebensfrohe Schalkhaftigkeit, die mit dem Ernste der tragischen Mütter und der sorgenvollen Familienhäupter in keiner Verbindung stand. Ein Tropfen französischen Blutes pulsirte in den Adern der von den Refugiés abstammenden Berlinerin.

Die vom Schicksal vielgeprüfte Frau scherzte und lachte noch immer gern und konnte lachend erzählen, daß sie sich schon manches Mal „vis-à-vis de rien“ befunden habe.

„Daß mein Haar noch ungefärbt dunkel ist,“ pflegte sie zu sagen, „wundert mich, wenn ich bedenke, wie viel Ursache es gehabt hat, sorgenbleich zu werden.“

Sie trug es in sorgfältig gebrannten Wellenscheiteln um die Stirn gruppirt und gepufft, und als sie es einmal zum Spaß bis fast auf die Nasenwurzel herabkämmte und einen forcirt finstern Gesichtsausdruck annahm, rief ich unwillkürlich aus:

„Ludwig Devrient, aber im Bemühen, von der düstern Auffassung des Lebens und der Dinge zu einer versöhnenden überzugehen, denn in Ihrem Gesicht, liebe Kollegin, erscheint nun einmal, selbst wenn Sie wild blicken wollen, der gemilderte Vater.“

„Und der verwässerte Genius,“ setzte Frau Höffert mit der sie zuweilen überraschenden Selbstironie hinzu.

Als Schauspielerin zeigte sich die Tochter Devrient’s intelligent und routinirt. Ihre Leistungen sowohl, als ihr Benehmen im Privatleben verriethen wohlthuend die feine Erziehung. Leider mußte sie die Schwäche und Stumpfheit ihres Organs beklagen, denn Rollen, die Kraft der Stimme und Wucht des Ausdruckes erfordern, vermochte sie nicht zur Geltung zu bringen.

Als der dramatische Dichter Robert Griepenkerl Frau Höffert zum ersten Male auf der Theaterprobe erblickte, sagte er nicht ohne Staunen:

„Wer ist die dort, die Dunkeläugige, die so elastisch dahergeschritten kommt? Eine auffallende Physiognomie, ohne sympathisch zu wirken. Doch das Auffallende wirkt nie sympathisch. Aber eine Nase, der zu Liebe man versucht werden könnte, eine ganz absonderliche weibliche Charakterrolle zu schreiben. Dann würde es heißen: die Rolle ist ihr auf die Nase geschrieben, nicht auf den Leib.“

Als einen Hauptmißstand für die dramatische Künstlerin und für das Weib überhaupt sah Emilie Höffert wie so viele andere ihrer Schwestern das Altwerden an und stemmte sich gegen diese unbequeme Einrichtung der Natur, so viel sie vermochte. Trotz ihrer vierzig Jahre bewegte sie ihre mittelgroße, magere Figur im Leben und auf der Bühne mit einer gewissen heitern Grandezza, die sie auch ihrer Tochter, der jungen Schauspielerin Elise Höffert, als nachahmungswerth empfahl. Ueberall, wo die böse Natur anfing, es fehlen zu lassen, war sie eifrigst bestrebt durch Kunst nachzuhelfen. Puderhauch und zarte Schminkröthe,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_102.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2024)