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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


in der tiefen Stille und Dämmerung; denn kein Laut drang heraus. – Vielleicht war es aber gerade diese grabesruhige Abgeschiedenheit, die er schließlich suchte, wenn er im Weltgetriebe seinen bösen Dämon nicht abzuschütteln vermochte. Sie sänftigte wohl den inneren Sturm, das heiße, kranke Blut, das ihm so beängstigend den Kopf verdunkelte. ... Ja, er war krank. Es war nicht, wie die Großmama fälschlich behauptete, ausschließlich der Gram um ihre verstorbene Mutter, der ihn so furchtbar verändert – war er doch in den ersten Jahren nach ihrem Tode nicht so verbittert und schwarzgallig gewesen – nein, er war krank, Wahngebilde verfolgten und marterten ihn; das hatte sie schon am Abend ihrer Ankunft erkennen müssen. Er, der strengrechtliche, pünktliche Chef der hochgeachteten Firma Lamprecht, der stolze Mann, auf dessen Ehre auch nicht der leiseste Makel haftete, er bildete sich plötzlich ein, es könne eine Zeit kommen, wo man mit Fingern auf ihn zeige, wo er verfehmt sein werde in Kreisen, denen sein falscher Ehrgeiz unablässig zustrebte. Das Herz krampfte sich ihr zusammen vor Weh, indem sie sich vergegenwärtigte, wie er vor ihr, seinem Kiude, in jenem Augenblicke fast flehend gestanden und an ihre Mithilfe, ihre kindliche Treue appellirt hatte. So weit hatte ihn die tückische Krankheit bereits gebracht!

(Fortsetzung folgt.)

Robert Hamerling.

Einem von den Zeitungen im vergangenen Sommer veröffentlichten Aufrufe, Robert Hamerling in seinem Geburtsorte ein Denkmal zu setzen, ist alsbald eine Erklärung des Dichters nachgefolgt, es sei lediglich Sache der Nachwelt, zu entscheiden, ob ihm solche Ehre gebühre. Inzwischen werden sich’s die Zeitgenossen nicht nehmen lassen, dem Dichter, wie seither, ihre Huldigung darzubringen und seine Schaffenslust durch das Bewußtsein zu erhöhen, daß er seine Gaben nicht an ein Geschlecht von Verständnißlosen und Undankbaren verschwende. Und wenn Robert Hamerling das häufige Los deutscher Dichter theilt, äußerer Glücksgüter zu entbehren, so haben ihm doch freundlichere Sterne geleuchtet, als seinem Landsmanne Grillparzer, den an seinem Lebensabende Laube für die Oesterreicher und die Deutschen im Reiche erst neu entdecken mußte. Schon um den jungen Dichter sammelte sich in der Heimath eine große Gemeinde von Verehrern; treue Anhänger umgaben ihn auf seinem Krankenlager zu Graz, und gar Vielen ist es eine Herzenspflicht, wenigstens einmal im Jahre nach der Hauptstadt Steiermark zu seinem Besuche zu pilgern.

Robert Hamerling ist am 22. März 1830 zu Kirchberg am Walde in Niederösterreich geboren. Das Häuschen seines Vaters stand bei einem fürstlichen Thiergarten, aus dessen Tanendunkel ein griechischer Tempel hervor schimmerte; der Thiergarten gehörte zu dem schönen Schlosse, in welchem die Familie des entthronten Karl X. von Frankreich ein Asyl gefunden. Zum geheimnißvollen Schauer des deutschen Waldes, der die Kindesseele erfüllen mußte, gesellte sich die Ahnung des hellenischen Schönheitsideals und der erste Eindruck eines gewaltigen Völkerschicksals: drei Elemente, denen wir im späteren Dichten des Jünglings und Mannes immer wieder begegnen sollen.

Schon als siebenjähriger Knabe fand er Trost für die Armuth des Vaterhauses in dichterischem Träumen; sein frühreifes Talent öffnete ihm zuerst die Pforten des nahen Schlosses, dessen junge Bewohnerinnen ihn im Französischen unterrichteten, und verschaffte ihm im neunten Lebensjahre die Aufnahme als Chorknabe im Cisterzienserstifte Zwetl, wo er sich von der Mühsal des Lateinlernens beim Dichten erholte. Ein Gedicht des zwölfjährigen Knaben „Das arme Kind“ rührte die französische Prinzessin Louise, spätere Herzogin von Parma, so, daß sie seine Mutter als eine Glückliche pries und dem jungen Studenten ihre Unterstützung zuwandte.

Mit jugendlichem Selbstvertrauen machte sich Hamerling, nachdem er vom Stifte, mit seinen Eltern, nach Wien übersiedelt war, an die größten Vorwürfe. Noch vor seinem sechzehnten Jahre hatte er ein zweiaktiges Drama „Columbus“, ein fünfaktiges „Die Märtyrer“ und eine Canzone „Eutychia“, sowie eine Menge Sonette und Lieder verfaßt, die später in den Band „Sinnen und Minnen“ aufgenommen wurden. Ein ernster Sinn für die Menschengeschichte, eine an den Schwaben Hölderlin erinnernde Sehnsucht nach Hellas und germanisches Naturgefühl waren schon in dem Jüngling zu einer dichterischen Eigenart zusammengeflossen, die sich in der Folge nur immer bestimmter ausprägen sollte.

Das Bewegungsjahr 1848 rief Robert Hamerling aus seinem stillen Stübchen auf die Straße und in Volksversammlungen, wo er voll glühender Begeisterung die frohe Botschaft von einem durch die Freiheit verjüngten Oesterreich vernahm. Es war ihm heiliger Ernst mit dem Waffentragen in der Akademischen Legion und er legte Säbel und Gewehr erst nieder, als in den Oktobertagen die Kroaten Windischgrätz’s schon die Herren Wiens geworden waren und die Häuser der Hauptstadt nach Legionären durchspürten. Der Dichter mag heute vielleicht den Freiheitstraum seiner Jugend belächeln, aber dem Ideal eines einigen deutschen Vaterlandes, an welches er damals glauben lernte, opfert er auch heute noch in unerschütterter Treue. Mitten in seinen sprachlichen, philosophischen und medicinischen Studien, die er im Frieden einer dumpfen politischen Reaktion wieder aufnahm, trug er sich mit dem Plane eines nationalen Dramas „Hermann“. Dem Sehnen nach hellenischer Gefühls- und Gedankenwelt that er Genüge in einem damals von ihm verfaßten Märchen „Atlantis“, und in einem Musenalmanach vom Jahre 1852 trat er zum ersten Mal als Lyriker mit drei Liedern vor die Oeffentlichkeit.

Ein nur zu kurzer Sonnenschein des Glückes leuchtete ihm, als er ein Stipendium und die Erlaubniß erhielt, zuerst im Theresianum und akademischen Gymnasium zu Wien, dann zu Graz Unterrichtsstunden zu geben, neben denen er sorgenfrei seiner Muse leben konnte. Allein die Pflicht, für seine betagten Eltern zu sorgen, zwang ihn wieder, von dem freien Dichterleben Abschied zu nehmen; er mußte die Lehramtsprüfung ablegen, um 1855 eine Professur am Gymnasium zu Triest antreten zu können, eine Thätigkeit, die sein Gemüth doppelt belastete, da jetzt zuerst die Krankheitserscheinungen sich einstellten, die ihn fortan nie ganz verließen.

Dennoch schwang er sich damals zu dem „Sangesgruß von der Adria“ auf, einer lyrischen Dichtung, die ihm reiches Lob von den berufensten Kritikern eintrug und die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Lehrer lenkte, der da an der Grenze deutschen Wesens so neue und kühne Weisen erschallen ließ. Von Triest ging er mehr als einmal nach Venedig hinüber, welches damals noch im Besitze Oesterreichs war, und schuf dort jenes lyrische Epos „Venus im Exil“, in welchem er mit aller sinnlichen Gluth, aber mit einer noch etwas unsicheren Gestaltungskraft die Göttin der Schönheit preist. Seine erste Sammlung lyrischer Gedichte „Sinnen und Minnen“, in denen noch, wie er selber sagt, eine allzu subjektive Richtung der Lyrik vorherrscht, gab er 1859 heraus. Der Donner von Solferino und der Verlust der Lombardei konnte ihn, wie es scheint, in seinem dichterischen Träumen nicht beirren. Und doch war Hamerling ein Mann von ausgesprochenem historischen Gefühl! Diesem letzteren und seiner deutschen Vaterlandsliebe lieh er freilich drei Jahre später einen nur um so begeisterteren Ausdruck in seiner Canzone „Germanenzug“, den man nicht unpassend den Fries zu einem großen epischen Wandgemälde genannt hat, der vorzugsweise durch die Darstellung der Idee in lebensvoller und frappirender Gruppirung Eindruck macht. Ueber sein etwa um dieselbe Zeit erschienenes herrliches „Schwanenlied der Romantik“ hat Robert Hamerling selbst einmal geschrieben: „Meine Dichtung singt nicht etwa in Hölderlin’s und Schiller’s Art ausschließlich dem untergegangenen Lebens– und Schönheitsideale der Griechen, sondern allen dahin geschwundenen Blüthenzeitaltern des Menschheitslebens eine Threnodie; zugleich wendet sie sich in die Zukunft mit prophetischen Nachtgesichten, die nichts sein wollen als eine ins poetische Gewand der Prophetie gekleidete Warnung an das Zeitalter, das schöpferische Leben des Herzens und der Phantasie hinter dem naturbezwingenden, aber auch entseelenden Leben des Verstandes nicht allzuviel zurücktreten zu lassen.“

Eine entscheidende Wendung im Leben und Dichten Robert Hamerling’s bezeichnet sein 1865 erschienener „Ahasverus in

Rom“. Nachdem er mit seinem „Germanenzuge“ einen ersten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_147.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)