Seite:Die Gartenlaube (1885) 202.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Eine deutsche Diamantschleiferei.

Von Emil Peschkau.


Worin liegt der seltsame Zauber, den vor allen anderen Edelsteinen gerade der Diamant für uns hat? Ist es nur seine große Seltenheit, die uns eine Art Ehrfurcht für ihn empfinden läßt, ist es nur der Gedanke an – das kleine Vermögen, das oft ein einziges Steinchen kostet? Oder übt er einen besonderen ästhetischen Reiz aus, einen Reiz, der wesentlich verschieden ist von jenem, den die Farbenpracht, der Glanz anderer Edelsteine für uns hat? Die meisten jener „Glücklichen“, die sich mit Diamanten schmücken, mögen wohl nur durch den Werth dieser Steine bezaubert sein und viele andere, die diamantenlos durchs Leben gehen, rümpfen die Nase über diesen funkelnden Stein, der keinen andern Zweck hat, als zu zeigen „wie reich man ist“. Und doch hat der Diamant einen Reiz, der so eigenthümlich ist, daß seine Ausnahmsstellung auch ästhetisch gerechtfertigt ist. Man wird es einem deutschen Schriftsteller ohne eidliche Versicherung glauben, daß Diamanten nicht zu seinem Hausgeräth gehören. Trotzdem habe ich nie die Nase über sie gerümpft, sie nie als bloßes Aushängeschild der Protzenhaftigkeit betrachtet; ich schwelgte im Gegentheil in ihrem Anblick auch dann, wenn sie nicht den schönsten Reiz – durch eine schöne Frau erhielten. Dieser seltsame Zauber aber liegt für mich und wohl für viele andere empfängliche Menschen in den optischen Besonderheiten des Diamanten. Entzückende Form, prächtige Farbe – das sind Eigenschaften eines Körpers, die wir mit dem Auge festhalten, mit Stift und Farbe aufs Papier bannen können. Das ewig wechselnde Lichtspiel des Diamanten, das verwirrende Gefunkel läßt keine Fixirung zu; es hat etwas Märchenartiges an sich, wie jede Erscheinung, die nur ein Produkt zufällig zusammenwirkender Kräfte ist, deren Wirkung sich jeden Augenblick ändert, wie z. B. das Farbenspiel, das die versinkende Sonne in die wechselnden Wolkenbildungen des Abendhimmels malt.

Dieser eigenthümliche Reiz des Diamanten muß nun in dem Steine erst geweckt werden. Die Diamanten, wie man sie in Südafrika, in Ostindien, in Brasilien u. a. O. findet, haben meist ein recht unscheinbares Aussehen, und es erfordert eine eigenthümliche Kunst, einem solch unförmlichen, schmutzigen Steinstück jene Gestalt zu geben, die seine optischen Eigenschaften – den Glanz und das starke Lichtbrechungsvermögen – am besten zur Geltung kommen läßt. Diese Kunst ist die Diamantenschleiferei, wie sie bis auf die neueste Zeit fast ausschließlich in Amsterdam ausgeübt wurde. Das Geheimniß, mit dem man sie umkleidete, erschwerte die Versuche, anderswo ähnliche Etablissements zu errichten, und solche Versuche wurden nur selten gemacht – war es doch für jedes neune Unternehmen von vornherein höchst unwahrscheinlich, daß es den bewährten Amsterdamer Schleifereien gegenüber das Vertrauen der Besitzer roher Steine zu gewinnen vermochte. Es gehört ja starkes Vertrauen dazu, einem Fremden so riesige Werthe zu überlassen und noch dazu Objekte, die sehr leicht gegen minder kostbare vertauscht werden können und deren schließlicher Werth wesentlich abhängt von der Kunstfertigkeit der Arbeiter, die sie zu schleifen haben.

Diamanten in natürlicher Größe aus der deutschen Diamantschleiferei der Gebrüder Houy in Hanau.

Trotzdem haben sich zwei Deutsche, die Brüder Ludwig und Friedrich Houy gefunden, die den Muth hatten, in ihrer Heimath eine Diamantschleiferei zu errichten. Das tollkühne Wagniß, das am Anfang die bittersten Mühen und schwere Sorgen brachte, gelang. Das in bescheidenster Weise begonnene Unternehmen machte dank der Zähigkeit und Geschicklichkeit der beiden Gründer rasche Fortschritte und nimmt heute eine ganz besondere Stellung in der deutschen Industrie ein. Eine deutsche Fabrik, die deutsche Arbeiter mit ausländischem Gelde ernährt! Das Rohmaterial kommt ja fast ausschließlich von London, wo der Markt für die Rohdiamanten ist, und die geschliffenen Steine gehen auch größtentheils wieder dahin zurück.

Die Geburtsstadt der Brüder Grimm, das durch seine bedeutende Bijouterie- und Tabaksindustrie bekannte Hanau ist es, wo die Gebrüder Houy ihre Fabrik errichteten. Dort war Friedrich Houy schon früher als Schleifer von Smaragden und Rubinen etablirt, während der ältere Bruder in Amsterdam Gelegenheit hatte, sich mit den Einrichtungen der dortigen Schleifereien vertraut zu machen. Im Jahre 1871 faßten sie die Idee, eine Diamantschleiferei zu errichten, und drei volle Jahre mühten sie sich mit Versuchen ab, bis sie endlich 1874 es wagen konnten, das erste derartige Unternehmen in Deutschland – und zwar mit Dampfbetrieb – zu eröffnen. Die Hauptschwierigkeit dabei lag in der Heranbildung der Arbeiter. Jedem Einzelnen mußte die nöthige Fertigkeit erst beigebracht werden, und da die Diamantschleiferei eine besondere Fähigkeit – ein ungemein scharfes Auge – erfordert, so war das mit gewaltigen Mühen und großen Kosten verbunden. Mit zwanzig Arbeitern konnte endlich der Betrieb begonnen werden – heute beschäftigt die Fabrik deren 160 bis 170, von denen Einzelne jährlich bis zu 2600 Mark verdienen. Und nun sehen wir zu, wie in der Hanauer Schleiferei das Zauberwerk vollbracht wird.

Die Krystallisationsform des Diamanten ist das Oktaeder und diesem entsprechend muß der Schliff vorgenommen werden. Nur höchst selten ist aber der rohe Diamant ein so schön ausgebildetes Oktaeder wie in Figur 1. In den meisten Fällen (z. B. in Figur 2) ist er eine ganz unförmliche Masse, die zur Bearbeitung vorliegt. Da wird nun oft lange hin und her gegrübelt, wie der Rohdiamant am gewinnbringendsten geschliffen werden muß, und ist man darüber im Reinen, so zeichnet man an dem Steine die Stelle an, wo die „Basis“ hinkommen soll. Die Brillantform hat nämlich die Gestalt zweier an der Grundfläche vereinigter abgestumpfter Pyramiden, und die Kopffläche der stärker abgestumpften nennt man die Basis des Brillanten. Ist diese angezeichnet, so kommt der Stein an die zweite Instanz, in die Hände der „Brutteurs“ oder „Reiber“. Diese geben ihm durch Reiben mit einem zweiten Diamanten im Rohen die Form, die er später erhalten soll; oder mit anderen Worten: sie deuten, von der Basis ausgehend, die Facetten an, die der Brillant erhalten muß. Diese Arbeit – wobei die Steine, um sie halten zu können, in Schellack gefaßt werden – erfordert natürlich ein scharfes Auge. Ein solches ist aber auch für das eigentliche Schleifen nöthig. Das besorgen die „Schleifer“ – die dritte Instanz. Sie erhalten die Steine von den Brutteurs und haben nun die angedeuteten Facetten auszuschleifen. Der Schleifer sitzt vor einer horizontalen Stahlscheibe, die sich mit außerordentlicher Schnelligkeit um ihre Achse dreht. Die Zahl der Umdrehungen ist 2800 bis 3000 in der Minute – sämmtliche Scheiben werden durch zwei Dampfmaschinen von 40 Pferdekräften in Bewegung gesetzt. Auf seine Scheibe trägt der Arbeiter das Schleifmaterial auf, eine Mischung von Olivenöl und Diamantenstaub, das heißt zermahlenen schlechten Diamanten. Jeder Stein, den der Schleifer in der Arbeit hat, wird mit Hilfe einer leicht schmelzbaren Legirung aus Blei und Zinn an einer Art Löffel, der sogenannten „Doppe“ befestigt und dann an die Scheibe angedrückt. Nach einer Weile sieht der Schleifer nach – schon blitzt es auf, aber die Facette hat noch nicht die richtige Ausdehnung. Wieder wird der Stein auf die Scheibe aufgesetzt und das wird so oft wiederholt, bis die Facette fertig geschliffen ist. Dann wird die Legirung ein wenig erwärmt, der Stein wird umgesetzt und die nächste Fläche wird geschliffen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_202.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2024)