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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Dr. Leopold Damrosch.

Noch selten haben sich bei einem Todesfalle so viele Umstände vereinigt, denselben zu einem wahrhaft tragischen, für die weitesten Kreise erschütternden zu machen, wie bei dem am 15. Februar erfolgten plötzlichen Dahingehen des deutsch-amerikanischen Mannes, dessen Name über diesen Zeilen steht. Und nicht allein innerhalb des amerikanischen Kunstlebens, dem er seit Jahren als ein Führer und eine Leuchte angehörte, nicht nur innerhalb des gesammten Deutschthums der neuen Welt, welches gerade jetzt mit besonderem Stolze auf ihn als einen der Seinigen blicken durfte – weit über Amerika hinaus, im alten Vaterlande und in der ganzen Musikwelt Europas wird die Kunde von seinem Tode nicht allein mit Trauer und Theilnahme, sondern mit jenem gesteigerten Wehgefühle vernommen werden, welches man unwillkürlich angesichts Eines empfindet, der mitten im vollsten Schaffen, mitten im vollsten Erfolge, so recht auf seinem Schilde dahin gestreckt wurde. Das Werk aber, aus dessen Mitte, oder richtiger gesagt, von dessen vollster Gelingenshöhe herunter er fortgerissen wurde, war, wie der Mann selbst, deutsch – ein so deutsches, daß man sich in der Geschichte des germanischen Wirkens und Gedankens auf amerikanischem Boden, sowohl was vornehme Artung wie vollendeten Erfolg betrifft, vergebens nach einem Seitenstücke dazu umsieht. Es war die große deutsche Oper in New-York, welche Dr. Damrosch im vorigen Herbste in dem größten und prachtvollsten Opernbaue der neuen Welt, in dem vor zwei Jahren von einem New-Yorker Millionärkonsortium der Öffentlichkeit übergebenen „Metropolitan-Opera-House“, begründet und die er gleich im Laufe der ersten Wochen zu einem solchen Triumphe für die deutsche Kunst zu gestalten gewußt hatte, daß das Unternehmen selbst von den Widerwilligen alsbald als ein im amerikanischen Musikleben eine Epoche bezeichnendes anerkannt werden mußte.

Aber wie viel aufreibende Arbeit, wie viel rastlose Kämpfe, wie viel große Leistungen und, leider auch, wie mannigfache Enttäuschungen waren diesem letzten, großen, durch nichts mehr anzutastenden Erfolge des genialen Mannes in den vierzehn Jahren vorangegangen, die er Amerika angehörte! Und wer will sagen, wie überarbeitet, wie überangestrengt, wie erschöpft bereits der ganz in seinem idealen Streben Aufgehende und sich Auszehrende war, als er an das Gewinnen seiner letzten großen Lebens- und Kunstschlacht heranging, um schon nach wenigen Monaten das volleroberte Kampffeld mit dem eigenen zusammenbrechenden Leibe zu decken?

Es war im Jahre 1872, daß Dr. Leopold Damrosch nach Amerika kam. Er folgte dem Rufe des New-Yorker Männergesangvereins „Arion“, und der Name, den er mit sich über den Ocean brachte, war schon damals ein in der Musikwelt Deutschlands längst wohl gegründeter und wohlbekannter. Nicht nur als Geigenvirtuos, sondern auch als Komponist und namentlich als Gründer und Leiter zweier der hervorragendsten Mnsikinstitutioncn Breslaus (1858 bis 1870) hatte er sich bereits seit Jahren einen Platz unter den tonangebenden Musikern des alten Vaterlandes erobert.

Sein in Posen ansäßiger Vater – auch er selbst erblickte in dieser Stadt am 22. Oktober 1832 das Licht der Welt –– wollte durchaus einen „Studirten“ aus dem auffallend und vielseitig begabten Sohne machen, und machte auch richtig einen solchen aus ihm, der nicht nur sein heimisches Gymnasium, sondern auch die Berliner Universität so glatt absolvirte, daß er schon im Jahre 1854 als Arzt promoviren konnte. Damit hatte er aber auch den Wünschen des Vaters und der Familie gegenüber das ihm Möglichste gethan. Der Künstler in ihm rief mit Gewalt, daß man jetzt endlich auch ihn gewähren lasse, und der junge Doktor, der neben seinem Secirtisch und seinen medicinischen Kollegien noch immer Zeit genug gefunden hatte, unter vorzüglichen Berliner Meistern ein Violinspieler ersten Ranges zu werden, trat plötzlich als solcher im Jahre 1856 in Magdeburg mit einem Erfolge in die Öffentlichkeit, welcher alsbald für seine ganze Zukunft entscheidend wurde. Gleich dieses erste Debüt lehrte, daß der Musikant den Studirten zum Leben nicht nöthig habe, sondern sich fortan allein und ausschließlich durch die Welt schlagen, ja wohl gar die Welt erobern könne.

Schon frühzeitig hat sich der zum Sologeiger und von diesem zum Kapellmeister fortgeschrittene Mediciner zum Vorkämpfer und Propagator jener Musikrichtung gemacht, die sich in Berlioz, Liszt und Wagner verkörperte. Auch in Amerika ist Dr. Damrosch dieser Richtung treu geblieben, ohne sich jedoch in irgend welche rigorose Ausschließlichkeit zu verrennen. Es bedurfte für ihn in diesem mit kluger Mäßigung Hand in Hand gehenden Eifer nur weniger Jahre, um bald neben Theodor Thomas, der bereits vor ihm das Feld inne gehabt hatte, zum musikalischen Sämann und Volkserzieher zu werden, dessen Wirken eine ungleich eingehendere Charakterisirung und Würdigung erheischt, als ihm hier in wenigen Zeilen zu Theil werden konnte. Wie schon in Breslau rief er auch hier die musikalischen Organisationen, deren er dabei als Mittel und Handhaben bedurfte, selber ins Leben. Zur Leitung des Männergesangvereins „Arion“ trat schon 1873 die Gründung der „New-Yorker Chor-Gesellschaft“, an die sich 1878 wiederum die der „New-Yorker Symphonie-Gesellschaft“ schloß. Mit diesen drei großen Musikfaktoren aber war Dr. Leopold Damrosch in den letzten Jahren seiner New-Yorker Dirigententhätigkeit thatsächlich in der Lage, seinem großen Werk der amerikanischen Musikpflege und Musikerziehung in einem Umfang und einem Stil zu dienen, wie sie selbst einem höchstgesteckten Künstlerstreben nur selten erreichbar werden. Und wenn es dabei auch nicht ohne stete Kämpfe abging, wenn die materiellen Erfolge gar oft weit hinter dem Idealerwerb zurückstanden, so fehlte es dieser großangelegten und vielseitigen Dirigententhätigkeit doch auch schon in diesen vergangenen Jahren, neben ihren nie geleugneten künstlerischen Erfolgen, keineswegs an solchen Höhepunkten, welche auch die Signatur des praktischen Gelingens in jedem Sinne tragen.

Ein solcher war vor allen Dingen das große New-Yorker Mai-Musikfest des Jahres 1881. In dem Lichte, in welchem wir jetzt das abgeschlossene Leben des landsmännischen Meisters erblicken, will uns dasselbe wie ein Prolog, wie ein rauschendes, ruhmvolles Vorspiel zu dem großen Triumph erscheinen, in dessen Mitte soeben der Dirigentenstab seiner Hand für immer entsank.

Vor dem in eine große Trauerhalle verwandelten Riesenraum des Metropolitan-Opera-House, von seinem eigenen Schlachtfelde aus aber haben sie soeben den auf seinem Schilde und seinen Lorbeern gefallenen deutschen Kunststreiter auf fremder Erde bestattet. Nur ein Bruchtheil der Tausende, welche den mächtigen Theaterbau am oberen Broadway umdrängten und umflutheten, vermochte Zutritt zu finden. Auf der vorderen Bühne war der Katafalk errichtet. Ein ganzer Frühling von Kränzen und duftigen Blumengebilden umgab und deckte den Sarg. Im Publikum sah man Alles, was New-York in der Kunst-, der Schriftsteller- und Journalistenwelt, der Politik und der Gesellschaft an Persönlichkeiten besitzt, – darunter in den ersten Reihen die von Schmerz um den Tod des Führers niedergebeugten Gestalten von „Brunhilde“-Materna, „Fides“–Brandt, „Elsa“–Kraus, „Lohengrin“–Schott, „Wolfram“–Robinson, und wie sie Alle heißen, die Getreuen, die er in diesen letzten drei Monaten sanft ins singende und siegende Gefecht geführt. Henry Ward Beecher, der Redegewaltige der Plymouth-Kanzel, und Felix Adler, der Philanthrop, riefen dem Geschiedenen begeisterte Würdigungs- und erschütternde Abschiedsworte nach. Und dazwischen sangen die vornehmsten Chorvereine tiefrührende Scheideweisen. Sein eignes Orchester aber ließ über der hingestreckten Form des todten Meisters noch einmal die Klänge der großen Siegfried-Todtenklage erschallen, – und man wird wohl sagen dürfen, daß dieses stolze Klangopfer ein verdientes war, und daß ihm noch nie eine ergriffnere, von der Gewalt des Augenblicks durchschüttertere Zuhörerschaft gelauscht hat, als die, welche am Nachmittag dieses 18. Februar den Manen des deutschen Musikers und deutschen Kunstkämpen auf amerikanischer Erde, den Manen Leopold Damrosch’s die letzten Ehren erwies.

New-York. Udo Brachvogel. 


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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_218.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2024)