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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Unterhandlung tritt ein menschenfreundlicher Briefträger heran und räth der Polin, der allmählich ein Verständniß über die Hilflosigkeit ihrer Lage aufgeht, das nahe Mägdehaus aufzusuchen, dann wäre sie gut aufgehoben. Und so geschieht es.

Und da steht sie nun, verlegen den Fußboden betrachtend, so bestäubt, daß ihre Gesichtsfarbe nicht zu erkennen ist. Der matte Blick scheint Hunger und Erschöpfung anzudeuten. Der erwähnte Herr Reischel, dessen Interesse bei der Arbeit gewachsen ist, sodaß er bis heute nicht nur die Oberleitung des Ganzen, sondern auch die Stellenvermittelung übernommeu hat, betrachtet sie aufmerksam und erkennt sofort die Situation.

„Bringen Sie das Mädcheu in den Waschraum, und wenn sie gesäubert ist, geben Sie ihr Kaffee und Brot!“ beordert er die Hausmutter.

Das Wort Kaffee scheint der Polin ein bekannter und lieber Trunk zu sein. Ein Freudenschimmer fliegt über ihr Gesicht und schnell thut sie, was ihr geheißen. Nachdem sie, nun gestärkt und mit sauberem Antlitz wieder erscheint, wird sie nach ihren Legitimationspapieren gefragt. Sie hat keine. Wo ist sie ortsangehörig? Sie kann gar nicht begreifen was damit gemeint ist.

„Nun, das werden wir schließlich auch noch herausbringen,“ meint der Vorsteher. Ist er doch schon gewohnt, für die Mädchen mit den Ortsbehörden zu verhandeln und nach endlosem Hin und Her seinen Zweck zu erreichen.

Unsere Polin findet bereits am andern Tage einen passenden Dienst, bezahlt ihre Schulden von dem Miethsthaler, und da sie ein kräftiges, fleißiges Mädchen ist, so findet sie ihr Brot, wie tausend Andere.

Ein zweiter Fall. Eine große, stattliche Münchnerin kommt Ende Juni vorigen Jahres nach Berlin, gleichfalls fremd, gleichfalls eine Stelle suchend. Als sie auf dem Bahnhofe umherschaut, wo sie wohl ihr Gepäck findet, gedenkt sie ihres Portemonnaies, das sie unvorsichtiger Weise in der Regenmanteltasche gehabt hat. Sie will es in die Hand nehmen, – es ist fort! – Ohne einen Pfennig steht sie nun da. Glücklicher Weise hat sie noch ihren Gepäckschein. Sie bekommt ihr Packet ausgeliefert und tritt nun äußerst bedrückt auf die Straße hinaus, als es gerade zu regnen beginnt. Zagend geht sie einige Schritte, als ein anständig gekleideter Herr mit einem Schirm an sie herantritt. Er fragt, ob sie hier fremd sei, ob er sie beschirmen dürfe und ihr sonst helfen könne?

Dem armen Mädchen erscheint es sehr tröstlich, daß sich Jemand ihrer annimmt; sie klagt ihr Leid, der Herr bedauert sie und verspricht, für ein Unterkommen zu sorgen, wenn sie ihm folgen wolle. Arglos geht sie mit. Nach wenigen Minuten tritt ein Mann rasch auf den Begleiter des Mädchens zu und ruft ihm barsch und drohend entgegen:

„Wie kommen Sie zu dem Mädchen? Wollen Sie mal gleich Ihrer Wege gehen und das Mädchen allein lassen!“

Eiligst entfernt sich der Beschützer; zitternd und aufs Höchste geängstigt steht unsere Münchnerin nun da, als der Neuankömmling erklärend sagt:

„Ich bin Kriminalbeamter, und jener Mensch ist einer unserer gefährlichsten Bauernfänger. Wie kommen Sie zu ihm?“

Weinend wird nun auch ihm das Leid geklagt, und der brave Polizist meint:

„Seien Sie froh, daß ich gerade des Wegs kam, sonst wären Sie verloren gewesen.“

Was nun beginnen in der großen, so gefährlichen Stadt?

„Gehen Sie ins Mägdehaus; man wird sich dort schon Ihrer annehmen,“ räth der Wächter der öffentlichen Ordnung freundlich. Und so geschah es denn auch. Das Mädchen merkte bald, daß sie dort von wohlmeinenden ehrlichen Leuten umgeben war, und söhnte sich schnell mit dem argen Berlin aus, als sie in kurzer Zeit einen Dienst erhielt.

Diese beiden Beispiele unter vielen ähnlichen mögen erläutern, wodurch das Mägdehaus sich von anderen gewöhnlichen Herbergen unterscheidet. Seine rothen Warnungstafeln auf vielen nord- und mitteldeutschen Bahnhöfen und in den Waggons vierter Klasse führen immer neue Gäste herbei. Möchte sich auch in gleichem Maße die Gunst und thätige Theilnahme der Edeldenkenden und Wohlhabenden einem Verein zuwenden, der so patriotische und ideale Zwecke verfolgt, wie der „Verein zur Hebung der öffentlichen Sicherheit“, dessen Vorsitzender, Dr. Otto von Leixner in Berlin, zur Empfangnahme von Spenden wie zu jeder Auskunftsertheilung bereit ist.


Unter der Ehrenpforte.

Von Sophie Junghans.
(Fortsetzung.)


Jungfer Rosine Külwetter wirthschaftete selbander mit einer Magd des Hauses in der großen Vorrathskammer hinter der Küche herum. Die Borde an den Wänden wurden geleert und dann abgestäubt und abgewaschen, denn in den letzten Tagen war Obst eingekocht worden und nun sollten hier die vielen frisch gefüllten Töpfe und Gläser – mit Vorrath bis auf den nächsten Herbst hin – ihren Einzug halten. Jedermann lobte es, daß Frau Külwetter die einzige Tochter allenthalben im Hause zugreifen ließ; schon als halbwüchsiges Mädchen war Rosine wenigstens eine scharfe Aufseherin des Gesindes gewesen, und ihre Mutter sagte wohl im Vertrauen: „Die Rosine paßt auf wie der Satan – die sieht es eher wie ich, wenn einmal zu viel draufgeht. Ich kann ruhig fort gehen, sobald ich die im Hause lasse ... Ihr solltet nur hören, Gevatterin, wie sie rapportirt, wenn ich nach Hause komme. Ja, ja – was ein Häkchen werden will – schon wie sie so hoch war“ – mit einer Handbewegung etwa drei Fuß über dem Boden – „hat sie angefangen.“

Den Mägden war die Wachsamkeit – um nicht zu sagen die Aufpasserei – Rosinens natürlich nicht eben so angenehm wie ihrer Mutter; sie wußten derselben aber nach und nach in ihrer Weise zu begegnen. „Der Jungfer, der muß man nur immer tüchtig um den Bart gehen und ihr sagen, was sie gerne hört,“ meinte eine von ihnen, eine verschmitzte Dorfdirne aus der Umgegend der Stadt. „Ich werde ganz gut mit ihr fertig, ich kenne sie. Bei der Arbeit thut sie, als wolle sie Bäume umreißen, aber sie macht sich doch nicht gerne die Finger naß.“

Natürlich brachten jene wirthschaftlichen Grundsätze ihrer Mutter Rosinen in sehr nahe Berührung mit dem Gesinde. Sie war zwischen den Mägden aufgewachsen und hatte an diesem Umgang von jeher Gefallen gefunden.

Auch heute ließen es sich jene Beiden, Rosine und das schon erwähnte Landmädchen, die Gertrud mit dem dicken rothen Gesicht und den kleinen Augen, recht wohl mit einander sein. Rosine that sich augenscheinlich bei der Arbeit nicht weh; sie hantirte in der Nähe des kleinen Fensters, welches, obwohl mit einem Drahtgitter versehen, doch einen Ausblick auf den Marktplatz gewährte, und da gab es fortwährend etwas zu beobachten.

„Laßt nur, Rosinchen, das mache ich schon allein,“ sagte die Magd jetzt zuthunlich, als Rosine mit einem kleinen Seufzer sich den Schemel zurecht rückte, um das oberste Sims mit ihrem Wischtuch erreichen zu können. Sie stieg hinauf und benutzte die Gelegenheit, hin und wieder einen Blick auf die Straße zu werfen, bis Rosine ihr das „Gaffen“ ziemlich mürrisch verwies. Aber Gertrud wußte sich zu helfen. „Mir war als säh ich – ja wahrhaftig, er ist’s, Rosinchen ... der Herr Georg – eben geht er über den Markt ...“

„Kommt er hierher?“ fragte Rosine, der schon die Rothe ins Gesicht gestiegen war.

„Er hat noch Einen bei sich ... den jungen Veit ... Da bleiben sie stehen und wollen Abschied von einander nehmen ... nein ... sie wenden um ... sie gehen zusammen die obere Gasse hinunter. Das garstige Mannsvolk ... Den Weg in den Rathskeller wissen sie immer zu finden – denn ich wette, von dort kommen sie eben! Er hätte sich wohl einmal wieder hier zeigen können!“

Rosine hatte mit einem Anschein von Gleichgültigkeit gegen einen Tisch gelehnt gestanden, die runden Arme übereinander

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_234.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2024)