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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

zu Schwäche entartet sind seine Bewohner, geschwunden Ueppigkeit und Pracht aus Palästen und Gärten. Aber die Reinheit des Blutes, die eigenthümliche Schönheit der Art hatten sie sich in der Freiheit erhalten. Nun sitzen, befehlen und organisiren Franzosen überall, scheu ziehen die Eingeborenen sich zurück, mit finsterem Ingrimm blicken die sonst so zuversichtlichen und stolzen Eingeborenen auf jeden Fremdling.

So finden wir eigentlich nur in dem Kaiserthum Marokko noch das Araberthum so unverfälscht, so frei sich gebend wie in seiner fernen Heimath im Osten. Schon darum erwecken Land und Leute besonderes Interesse, heute aber, wo der Herrscher von Marokko seine Soldaten nach Deutschland schickt, um sie in der Kriegskunst ausbilden zu lassen, und der Einfluß des Deutschen Reiches auch in jenem Theile Afrikas im Steigen begriffen ist, dürften Bilder aus jenem eigenartigen Lande um so willkommener erscheinen.

In den größeren Städten Marokkos treffen sich alle Abarten des arabischen Menschenschlages, der an imponirender, hoheitsvoller Erscheinung, an Adel der Gesichtsbildung den mongolisch-tatarischen Stamm der Türken weit übertrifft. Auf Eseln oder Pferden, seltener auf dem Kamel zieht der Kabyle, in weite Gewänder gehüllt, von den Bergen herein, aus dem Innern kommen braune Biskris oder ebenholzschwarze Neger; der Araber reiner Abstammung, der vornehmste unter allen, windet streifige oder golddurchwirkte Krepptücher turbanartig um den Fez oder schlingt Schnüre von braunem Kamelgarn unzählig oft um die blendend weißen Kopfhüllen. Sein Burnus ist von farbig gestreiftem Stoffe oder von feinem hellen Tuche mit farbiger Seide gestickt. Eine kurze, über und über mit Stickerei bedeckte Jacke, weite Pumphosen von zartfarbigem Tuche und die geflickte Gürteltasche, in der kostbare Waffen, Dolche und Messer, kunstvoll eingelegt und ciselirt, stecken, vervollständigen den Anzug. Unscheinbarer, in dunkle Gewandung, hüllen sich die Juden des Landes, während die Braunen und Schwarzen mit äußerst Wenigem an Kleidung vorlieb nehmen, einem Schurz, einem kunstvoll um Hüften und Lenden gewundenen Streifen Zeug, einem Hemde.

Der architektonische Hintergrund, auf dem diese Völkertypen sich bewegen, ist in ganz Nordafrika ein fast gleicher. Man irrt, wenn man in diesen Städten irgend welche gleichmäßige Schönheit der Bauwerke sucht. Schmale, winklige Gassen, kleine schmucklose Häuser, todte, fensterlose Mauern ermüden durch ihre Einförmigkeit das Auge. Gelegentlich aber blicken wir dann in einen von Arkaden umzogenen Gartenhof in das malerische Innere eines Hauses, dessen Wände ganz mit „Azulejos“, jenen in lebhaften Farben bemalten und glasirten Thonplatten, bedeckt sind; ein zierliches Gitter von Schmiede-Eisen, ein schlanker Thorbogen, phantastische Formenverschlingungen von Stuck fallen uns ins Auge, durch reizvolle Einzelheiten wird die Einförmigkeit angenehm unterbrochen.

Vorliebe. für das Zierliche, Kleine, malerisch Wirkende, Phantastische charakterisirt die maurische Architektur, deren Schöpfer niemals einen imposanten Gesammteindruck zu erstreben scheinen. Nur im Innern der Häuser entfaltet die Architektur eine gleiche, vielleicht sogar noch größere dekorative Pracht. Aber dieses Innere des vornehmen Privathauses bleibt unseren Blicken entzogen, höchstens einmal bei Audienzen lernen wir einige Prunksäle der Fürsten kennen, aber diese werden leider entstellt durch moderne europäische Einrichtungen, die als Geschenke oder Erwerbungen hierher gekommen sind.

So findet der Fremde denn das Interessanteste auf den Gassen und Plätzen. In den Bazaren, vor den Moscheen, auf den Märkten kann man stundenlang umherschlendern, immer sieht man neue, malerische Straßenbilder. Die Frauen fehlen gänzlich in ihnen, höchstens begegnet man mitunter jüdischen Weibern, grell geputzt, mit weiten Seidenhosen, kurzer Jacke, die neugierig die Edelsteine und Geschmeide der Bazare mustern. Desto bunter mischen sich die Gruppen der verschiedenen Männergestalten, die aus der weiten Landschaft hier zusammenströmen. An den Vorhöfen der Moscheen knieen sie, den Kopf zur Erde geneigt, inbrünstig betend; dort verrichten sie an den unzähligen Brunnenröhrchen, die den Sockel des Gotteshauses umgeben, eifrig ihre Waschungen. In den Bazaren sehen wir sie nicht nur vor den verlockend aufgestapelten Waaren: in den engen Stuben der öffentlichen Schreiber und Rechtskundigen erholen sie sich Raths, kauern auf Polstern, in irgend ein Buch, eine Schriftrolle vertieft; dem Schreiber diktiren sie Verträge, Urkunden, Briefe. Ein Blick in diese Räume zeigt uns eine Menge interessanter Charakterköpfe in malerischer Gruppirung. Lebbafter geht es in den zahllosen Kaffeehäusern zu. Mit untergeschlagenen Beinen sitzen die Araber umher, plaudern, spielen Schach, horchen dem Erzähler zu, der sie unterhält. Aehnlich ist’s in den mit allerlei Becken und Firlefanz geputzten Barbierstuben.

Die meisten der einheimischen und fremden Männer sind aber auf den freien Plätzen zu finden. Da hocken die Verkäufer von Sesamkringeln, Broten und Näschereien längs der Häuser und Mauern, da kommen Wasserträger, den Henkelkrug auf dem Kopfe, zum öffentlichen Brunnen, da stieben die Leute aus einander, wenn eine Karavane vorüberzieht, das Leitkamel mit der lautlärmenden Glocke vorauf, die anderen Höckerthiere bedächtig hinterhertrottend. Ueberall bilden sich Gruppen von prächtigen Arabergestalten in malerischer Gewandung, um zu feilschen, zu prüfen, zu handeln. Das geschieht mit so gravitätischer Wichtigkeit, als ob es ein Vermögen gelte. Hier handelt es sich um einen gestickten Sattel, dort mustert das scharfe Auge Dolche und kostbare Damascenerklingen, drüben wieder untersucht man die lange kunstvoll gearbeitete Flinte, die der würdige Araber, eine prachtvolle Patriarchengestalt, den braunen Landbewohnern anbietet. Auch alterthümliche kunstgewerbliche Erzeugnisse kommen dort zum Verkauf, und um diese sammeln sich die europäischen Landsleute besonders, um einen Teppich, eine stilvolle Stickerei, um Waffen und Gürtelsachen zu erstehen.

Die Vormittagsstunden vergehen schnell auf solchen Schlenderwegen durch Gassen, Bazare und Märkte. Hier ist noch ein Stück reale orientalische Welt rein erhalten geblieben, hier glauben wir uns in die Scenerie eines Märchens versetzt, umgeben von schönen Völkertypen, echt und treu, die wir auf Bildern als phantastisch übertrieben und theatralisch ansehen. Weiter und weiter zieht diese bunte malerische Araberwelt sich jedoch zurück von den Küsten des Mittelmeeres; in Algier und Tunis finden wir sie längst nicht mehr in reiner originaler Rassenschönheit, dort mischen schon fränkische, maltesische und andere Elemente sich den Semitenstämmen bei. Nur in Marokko noch und auch dort nur in kleineren, entlegeneren Städten ist das arabische Straßeleben unverfälscht, ungemischt geblieben bis heute. Fritz Wernick.     




Blätter und Blüthen.


Kaisers Geburtstag in Berlin. Ueber den Königsplatz dröhnen die Kanonen, von den Kirchen läuten die Glocken, mit Blumen und bunten Fahnen schmücken sich die Häuser, die Geschäfte sind geschlossen, das Militär hat keinen Dienst, im festlichen Gepränge liegen die Straßen, überall wogt’s in gehobener Stimmung auf und ab, und die Militärmusik spielt und im Gold der Sonne – fliegen die weißen silbernen Schneeflocken.

So war’s diesmal an des deutschen Kaisers Geburtstage! Aber trotz wirbelnden Schnees kam das Licht von oben in Strömen herab, und trotz des Unwetters, das sich auf Hüte und Mäntel festsetzte und in Naturthränen zerfloß, drängten sich Hunderttausende in Berlin unter den Linden am Sonntag, den 22. März!

Kaisers Geburtstag! Er ist ein nationales Fest geworden im ganzen deutschen Reiche! –

Einst schaute die Welt angstvollen Blickes in die verschlossenen Mienen eines Napoleon, der die Welt zu beherrschen schien, und heute richten sich die Blicke auf die grandiose Gestalt des Mannes, in dessen Brust die höchsten Mannestugenden wohnen, in dessen Hand die Kraft ruht, um ein Volk zu regieren und nach Blut, Kampf und Weltenwirrwarr nicht nur dem eigenen Volke, nein, den Nationen in Europa den Frieden zu geben!

Kaisers Geburtstag! Je älter der greise Held, je silberner sein Scheitel, um so erhabener leuchtet seine Gestalt auf in der Zeit mit ihrer nie rastenden Bewegung, ihrem heißen Athem und ihren nie schwindenden Gegensätzen. –

Kaisers Geburtstag! In der Nationalgalerie hängt ein Bild von Adolf Menzel. Wir sehen auf demselben die Linden mit ihrem Treiben, mit ihrem Schmucke, mit ihren erregten, begeisterten Menschen im Jahre 1870, als König Wilhelm Berlin verließ, um zur Armee zu stoßen. Ein kleines, aber musterhaftes Bild! und ein ähnliches Bild stieg vor den Augen auf an diesem Ehrentage unseres Kaisers! Bereits um acht Uhr früh begann das bunte Treiben Unter den Linden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_254.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2024)