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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Unter der Ehrenpforte.
Von Sophie Junghans.
(Fortsetzung.)


Du hättest mich früher rufen sollen, mein Kind,“ sagte der Weber mit ernster Stimme, deren Sanftmuth nichts Erkünsteltes, Erzwungenes hatte, sondern aus der Tiefe eines geläuterten Herzens kam. „Geh jetzt in Deine Kammer.“

Hilde ging still hinaus. Georg stand vor dem alten Manne mit fliegenden Pulsen und den Augen eines Fieberkranken. Wollte der Alte jetzt etwa predigen, ihn herunterkanzeln? Georg hatte so viel Geduld ihn anzuhören, wie der schwerverletzte Mann etwa, dessen Körper nur eine schmerzliche Wunde wäre, gegen eine rauhe Berührung empfinden würde.

Aber als Meister Lukas jetzt sprach, war seine Stimme noch immer ruhig ... traurig eher, als etwas Anderes. Und sogar noch einen gewissen gehaltenen Respekt vor dem auf der Stufenleiter irdischen Ranges von Gott höher Geordneten konnte man heraus hören.

„Euch, Herr,“ sagte er, „kann ich fürder diese Schwelle nicht mehr frei geben. Um Eures braven Vaters willen sage ich nicht mehr als nur dies: Geht, hebt Euch fort aus dem Hause des ärmeren Mannes, der Euch mit einfältigem Herzen aufgenommen hat, und dem Ihr als Gastgeschenk Kummer und Gram gebracht habt. Den Frieden meines Hauses habt Ihr versehrt. Geht, zum letzten Male hat diese Thür Euch eingelassen!“

Einem schonungslosen Angreifer gegenüber wäre Georg’s bitterer Schmerz wahrscheinlich in Grimm umgeschlagen. Aber für diese Weise des alten Mannes hatte er keine Waffen. Ein jedes Wort desselben traf, und traf schwer. Als Meister Lukas, die eingefallene Brust dehnend und gerader aufgerichtet als er pflegte, jetzt die Hand nach der Thür ausstreckte, da ging Georg völlig stumm, wie Hilde eben gegangen war. Er war schon minutenlang im Freien und stand in seiner dumpfen Gleichgültigkeit ungewiß, wohin er sich wenden sollte ... da erst wurde von drinnen langsam der Riegel vorgeschoben.

„Hilde! Hier ist Dein Platz!“ (S. 268.)

Und langsam wendete sich Georg, anstatt nach rechts, der Stadt zu, zur Linken, die Landstraße entlang und dann in die offene abendliche öde Gegend hinaus. Er wußte kaum, wo er ging. Das also wäre das Ende gewesen! Mit leichtem, frevlem Muthe begonnen, hatte das Abenteuer sich seiner völlig bemächtigt, ihn auf die Stelle hingedrängt, auf der er heute gestanden hatte, beschämt, ja erniedrigt vor jenem Manne. Und von der Stätte, an der er die Befriedigung einer flüchtigen Laune gesucht, da brachte er einen gebrochenen Muth und ein zerrissenes Herz mit. – –

„Warte nur, Rosinchen“ sagte Frau Külwetter zu ihrer Tochter, als sich das Mädchen in diesen Tagen schmollend über Georg’s finsteres Wesen beklagt hatte, „warte nur noch ein drei, vier Wochen, länger kann es ja bis zu dem fürstlichen Einzuge nicht mehr dauern. Und dann, wann in der Stadt wieder alles im Geleise ist und die Leute wieder richtig bei Sinnen – denn mehr als einer kommt Einem jetzt wie aus dem Häuschen vor, der Georg ist’s nicht allein – dann ruhe ich auch nicht länger, dann müssen wir mit Bürgermeisters ins Reine kommen. Es ist mir schon wegen der Kapaune, die sind bis dahin über und über fett und dürfen nicht älter werden – ein paar Schock Eier habe ich jetzt gerade billig kaufen können für die Kuchen, ich mag sie nicht erst einlegen ... und unser schönes Weizenmehl! wenn uns das auch nicht gerade wohlfeil kommt – Dein Vater hat den Sack voll von dem verschuldeten Bruchmüller an Zahlungsstatt angenommen für ein paar Ellen seines blaues Tuch – so haben wir doch nie ein feineres, weißeres Mehl im Hause gehabt – es ist wie geschaffen für die Hochzeitskuchen. Also ich sorge Dir dafür, daß wir bald Verspruch halten! Man merkt es ja an seinem Gesichterschneiden: den Georg ärgert das lange Hinziehen auch.“

Rosine verrieth weder durch Miene noch durch Worte, daß sie Anlaß hatte, was den Grund von Georg’s übeler Stimmung betraf, anderer Ansicht als ihre Mutter zu sein. Sie würgte den Eltern gegenüber ihren bittern Aerger schweigend hinunter, denn Rosine war, wie wir wissen, keine offene, freier Ergießung

bedürftige Natur. Nur bei dem Dienstmädchen Gertrud ließ sie sich gehen, und Trudchen, um sich für diesen Beweis von Vertraulichkeit erkenntlich zu zeigen, trug ihr allerhand zu und hatte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_265.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2019)