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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Hilde!“ – wie befreiend drang der Ruf, eine Beschwörung und zugleich ein Jauchzen entfesselter Zärtlichkeit, durch die Schwüle der letzten Minuten. Georg war auf das Mädchen zugestürzt und riß sie an sich, nicht achtend der Geberde der Abwehr, mit der sie ihm die Hand entgegengestreckt hatte. „Hier ist Dein Platz!“ rief er, sie dicht an seinem Herzen haltend, und seltsam bebte etwas in seiner Stimme wie ein wilder Triumph, nicht über ihr zitterndes Fortstreben, nein, über den Widerstand, den sein eigener Stolz bisher dieser Liebe geleistet hätte, Triumph über sich selber. Dann aber ging es wie ein unendliches, zärtliches Mitleid über das männliche Antlitz, als er ihr armes Herz an dem seinen noch immer beben und überlaut klopfen fühlte, ein Nachzittern der Pein, die sie eben um seinetwillen gelitten hatte, und er flüsterte ihr kosend beruhigende Worte zu, unbekümmert um die Gegenwart Derjenigen, die ihn freilich bisher mit keinem Laute unterbrochen hatte.

Rosine hatte wortlos dagestanden, weil ihr Ueberraschung und Wuth buchstäblich die Kehle zuschnürten. Endlich fand sie mit einem dumpfen Laut, einem heisern Lachen ähnlich, die Stimme wieder und nun trat sie ein paar Schritte auf die Beiden zu, weiß bis in die Lippen, mit sprühenden Augen und zuckenden Händen, und eine vor Leidenschaft unkenntliche Stimme zischte mehr als sie sprach: „Was soll die Komödie, Georg, hier in meines Vaters Haus? Wie weit denkt Ihr’s zu treiben … wer und was ist die Dirne?“

Wie zur Antwort für sie preßte Georg die Geliebte fester an sich, diesmal aber machte sie sich los, sodaß sie ihm in die Augen sehen konnte, und leise drang an sein Ohr ihre schmerzliche Frage: „Sie hat Recht; Georg – was bin ich Euch?“

Sekunden lang ruhte des Jünglings leuchtender Blick in dem ihren, ehe er hochaufgerichtet und mit klingender Stimme sprach:

„Die Jungfer dort will wissen, wer Ihr seid, Hilde … vom heutigen Tage an meine Braut, der all meine Liebe und Treue gehört, und bald mein Weib, so wahr mir Gott helfe! Aber nun fort aus diesem Hause … fort aus jener bösen Nähe!“ … Er faßte ihre Hand, legte auch noch den Arm wie zum Schutze um sie, die ganz stille blieb, und so schritten die beiden hohen Gestalten nach der Thür.

Aber nicht so, mit einem ganz anderen Nachklang noch sollte die Scene enden. Sie hatten das Zimmer noch nicht verlassen, als Rosine hinter ihnen in ein gellendes, halb wahnsinniges Gelächter ausbrach. Es war kaum noch ein Lachen, eher ein wildes Schreien, mit dem sie sich plötzlich, raubthierähnlich, auf den Tisch losstürzte.

Und nun folgte ein Reißen, ein Krachen, welches fast an die Mahlzeit eines solchen wilden Geschöpfes erinnerte. Doch waren nur Rosinens Hände geschäftig, die runden, kindischen Hände, denen die Wuth jetzt eine unnatürliche Kraft verlieh. Das riß und krachte, da flogen Stück um Stück jener Stickereien, das Werk zahlloser mühsamer Wochen, in Fetzen umher, und was größeren Widerstand leistete – und das feste Leinen und die dichte Stickerei setzten oft eine unerhörte Anstrengung voraus – das wurde um so wüthender zerfetzt, um so gründlicher vernichtet. Und dann packte sie mit beiden Händen in den Haufen von Lappen und hängenden Fäden, den wenige Augenblicke geschaffen hatten, hob die Arme hoch empor und schickte unter gellendem Hohngelächter und Rufen: „Da – da habt Ihr den Plunder – etwas zur Mitgift für die Betteldirne!“ einen Regen von Fetzen hinter den Beiden her, die der Abscheu über ihr rasendes Gebahren noch auf einen Augenblick an die Stätte gebannt hatte und hinter denen nun die Thür ins Schloß fiel. –

(Fortsetzung folgt.)




Die Bismarck-Feier in Berlin.

Stimmungsbild von Hermann Heiberg.

Vielleicht steht unter den großen gewaltigen Bewegungen, die im Laufe der Zeiten ein Volk aufstehen ließen, um einem einzigen Menschen eine nationale Huldigung darzubringen, die Bismarck-Feier am 31. März in Berlin unvergleichlich da. Der Norddeutsche ist zwar überhaupt frei von starken Ausdrücken seiner Gcfühlserregung, aber wer diesen Abend einzeichnen kann in seine Erinnerungen, wer nicht nur mit blödem Auge die Dinge nahm, wie sie ihm erschienen, wer sie aufhorchte, wie der norddeutsche Volksmund spricht, wer dem nordischen Germanen ins Auge schaute und in seinen Mienen zu lesen verstand, dem gelangte es an diesem Tage zum Bewußtsein, daß etwas Besonderes, Tiefes, Etwas, was nichts gemein hat mit dem Rausche einer bloßen von spontaner Begeisterung getragenen Laune, die Brust der Volksmassen bewegte. Aus dem so verschieden abgetönten Empfindungsleben der Massen drangen wohl auch Laute hervor, wie sie unzertrennlich sind von einem solchen Schaugepränge. Wo der Farbensinn sich regte, wo die wechselnden Bilder ein Künstlerauge traf, wo gar der norddeutsche Humor durchbrach, schlugen wohl die Stimmen zusammen und hoben sich in der Erregung die Arme und Hände, aber im Großen und Ganzen stand die Menge mit einem Anhauche von Ehrfurcht und sah, was und wie sich’s zusammen, und wie eine Idee so viele Tausende gleichmäßig verbunden hatte: „Ausdruck zu geben dem Danke, der des Deutschen Inneres erfüllte an dem heutigen Tage.“

Imposant ist ein fremdes Wort. Aber kein Ausdruck ist zutreffender. Imposant war dieser Zug mit seiner Würde und seinem feierlichen Gepränge. Keiner, der die Fackel in seiner Hand hielt, und den nicht das Gefühl bewegte: „ein kleiner winziger Tribut für unseren großen Kanzler“, keiner, der einen Schläger in der Hand hielt, oder das Banner hochtrug, keiner, dem ein Emblem in der Faust steckte, und keiner, in welch immer der Idee angepaßten Kleidung er einherschritt, der Hellebardier und der auf altdeutsch-gezäumtem Rosse in die Trompete stoßende Herold, keincr von allen diesen ernst einherschreitenden Männern aus den Gewerkcn, aus den Gilden, aus den Vereinen, der nicht ein Gefühl des Stolzes in sich trug, ihm, dem großen eisernen Manne, dem größten Sohne des Volkes den Tribut zu zollen, der ihm gebührt.

Das war die innerste Physiognomie dieser grandiosen Huldigung. Nicht unmittelbar neben dem Kanzlerpalais, aber in genügender Nähe, und in einer solchen Entfernung von dem Endpunkte der Wilhelmstraße, um den Zug in seiner Ausdehnung zu verfolgen, hatte ich meinen Platz.

„Jetzt kommt der Zug!“ Dies Wort brauste etwa um acht Uhr durch die Kopf an Kopf gereihten, geradlinig neben dem Trottoir aufgestauten Volksmassen. „Der Zug ist da!“ wiederholte sich’s summend und schwirrend. Und nun entwickelten sich unter des Himmels glitzerndem Dache, unter dem aufqualmenden Rauche der Fackeln und über den unzähligen dunklen beweglichen Punkten, Tausende gleich glühenden Irrwischen in der Luft tanzender Lichter.

Die Tête des Zuges machte Halt vor dem Palais des Gefeierten; nun schwenkten allmählich auch die Reihen, nun kam’s endlich, gleich einem hinabgesunkenen Sternenhimmel näher und näher und ging an unserem Auge in nächster Anschauung auf.

Und in diesem Augenblick lösten sich von den Dächern der Häuser breite feurige und dampfende Lichter, die in rosenfarbenem Kolorit emporstiegen und in märchenhaften Schimmer Alles, was unter ihnen lag, einhüllten. Und kaum waren diese Flammengarben verloschen, als Smaragdgrün aufleuchtete und wunderbare, seltsame Reflexe hinabfielen auf das bunte Treiben drunten, auf die silbernen Rüstungen und Waffen, auf die phantastischen Gewänder und zitternden weißen Helmbüsche.

Und dazwischen spielten die Musikkorps ihre feierlichen, erhebenden Märsche, senkten sich die Degen, Rapiere und Fackeln. Vorüber Tausende an Tausenden, vorüber an dem Gewirre von Menschenköpfen, die herabschauten, vorüber an den Lichtern, Blumen und Fahnen, die herabflatterten aus den Häusern mit ihren dichtbesetzten Fenstern, Vorsprüngen, Dächern und Thüren. Hier wehte ein weißes Tüchlein und darunter neigte sich ein Kopf, dort blitzte ein Frauenkopf und ein Hurrah drang empor. Und Hurrah! und Hurrah! und nun fielen hundert Stimmen ein, bis neue Klänge aus den Trompeten diese Töne verwischten. Und immer neue Bilder! Eines prächtiger fast als das andere! Wagen, aufgeschirrte Pferde, Herolde, Krieger, Fackelträger, ganze Vereine mit ihren Fahnen, Embleme und Triumphwagen, und abermals Ruhe und abermals dampfende glühende Fackeln und abermals die langgezogenen oder raschen Fanfaren der berittenen Musiker.

Ausführlich ist an anderen Orten von den Einzelheiten des großen Festfackelzuges berichtet worden: hier sei nur gestattet am Schluß noch einige Eindrücke wiederzugeben. Einige Male glaubte man sich in ein Märchenland versetzt! So erschien wie ein von Gustav Doré, dem großen französischen Illustrator, hervorgezaubertes Bild: der Triumphwagen der Kunst-Akademiker, ebenso phantastisch, so grotesk, so mannigfaltig, so kühn in der Zusammenstellung und in der Lichtvertheilung! Welch eine Mannigfaltigkeit an plastischem Schmuck, an Farben, Gewändern, Figuren und Masken! Die Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches, die Politik in den fremden Erdtheilen zu symbolisiren, war die Aufgabe gewesen und sie war in einem entzückenden lebenden Bilde gelöst.

Als endlich die Nachzügler mit herabgebrannten Fackeln oder mit leeren Händen erschienen, als Lichterglanz und buntes Treiben dahin, Menschentritte und Musik verrauscht und verschollen, lösten sich die dichten, bisher fast unbeweglichen Menschenreihen und plötzlich war die noch ebenso streng gesäuberte Straße von Tausenden übersät, die dem Zuge nacheilten oder sich zerstreuten.

Als ich meinen Beobachtungs-Posten verließ und auf die Straße hinabstieg, lief noch eilend ein junger Mensch, fast ein Knabe, athemlos mit zwei hochaufgerichteten Fackeln in den Händen dem Zuge nach. Er hatte sie aufgesammelt und wollte, vorher nicht geduldet – jetzt noch seine Empfindungen an den Tag legen durch diesen Akt: für den großen Kanzler des Deutschen Reiches Fürst Otto von Bismarck.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_268.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2020)