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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Schutt und Geröll überdeckend und in eine Wüste verwandelnd, sie sind dem Meister auch früher nicht unbekannt geblieben und haben seinen Charakter gefestet. Ward er doch gleich nach seinen ersten glänzenden Triumphen durch einen Gelenkrheumatismus, der sich in den Fuß gesetzt, so gelähmt, daß er zwei Jahre lang nur auf dem Sopha liegend malen konnte.

Damals hatte Defregger, gerade wie jetzt, eine Madonna angefangen – die oben erwähnte – und durch das Auf- und Absteigen vom Gerüst das Uebelweh recht verschlimmert, sodaß er sie erst in Bozen, wohin er sich, vom milden Klima Heilung hoffend, hatte bringen lassen, noch liegend fertig malen mußte. Dennoch arbeitete er mit so festem Gottvertrauen, daß uns jetzt aus dem seelenvollen Antlitz der himmlischen Mutter ein Ausdruck von so überirdischer Milde beseligend und tröstend entgegenkommt, um gerade dies in der Zeit seiner schwersten Noth gemalte Bild als seine höchste Leistung betrachten zu lassen. Das Uebel aber wich kurz darauf, nachdem die Kunst der berühmtesten Aerzte es nicht zu beseitigen vermocht, den Rathschlägen eines Bauern seiner Bekanntschaft. Diese glückliche Heilung veranlaßte ihn damals, noch zwei Jahre in der Stadt am Eisack zu bleiben, und im Jubel der wiedererlangten Gesundheit eine ganze Reihe seiner herrlichsten Bilder zu malen. So jenes berühmte „letzte Aufgebot“, das, die ganze Schwere eines Volkskrieges mit furchtbarem Ernst versinnlichend, seinen Ruhm erst recht in alle Welt trug und jetzt eine Zierde des Wiener Belvedere geworden. Darin eben unterscheidet sich Defregger gründlich von allen übrigen Bauern- und Sittenbildmalern, daß der starke heroische Zug seines Stammes, jedes Aufflammen der höchsten Vaterlandsliebe und des entschlossensten Opfermuthes in ihm einen ebenso glühenden und verständnißvollen Darsteller gefunden haben, wie die heitere idyllische Seite dieses tiroler Bauernlebens. Und so wollen wir denn auch jetzt hoffen, daß der schwere Schicksalsschlag, der den Meister getroffen, ihn auch diesmal wieder nach Art aller echten Talente zu erneuter Vertiefung seines Schaffens anrege!

Auf der Höhe des Lebens und des Ruhmes wie der produktiven Kraft angelangt, wird Defregger uns hoffentlich noch viele ebenso schöne Kunstwerke schenken, wie er sie schon in fast unübersehbarer Masse geschaffen. Wer vermöchte es aber vorauszusehen, welche unerwartete Seiten seines reichen Talentes er noch entfalten wird? – Die schaffende Kraft des Malers bat sonst erfahrungsgemäß ungefähr dieselben Grenzen wie die des lyrischen oder dramatischen Dichters, beide erfinden nach den Fünfzigern nur in selteneren Fällen eigentlich Neues mehr, und selbst ein Shakespeare hat in seinen letzten Lebensjahren nur mehr die alten Aufgaben in veränderter Form, allerdings auch mit vertieftem Inhalte gelöst. Indeß hat uns der Meister bis jetzt noch immer mit neuen Wendungen seines Talents überrascht, wenn man ihn schon am Ende angelangt glaubte. Aber selbst wenn das nicht mehr geschähe, wo wäre außer Hans Makart in Deutschland ein Künstler zu finden, der in kaum zwanzig Jahren eine solche unübersehbare Fülle köstlicher Werke von ewiger Dauer seinem Volke geschenkt, als dieser Homer des deutschen Bauernstandes?

Defregger’s Geburtshaus zu Stronach bei Dölsach in Tirol.




Der Eschepeter.

Ob „der Eschepeter“, jener wackere „Schwager“, dem Ludwig Knaus dadurch die Unsterblichkeit sicherte, daß er ihn als Lenker der fürstlichen Karosse auf seinem Gemälde „Der Empfang des Fürsten im Dorfe“ darstellte, auch Viktor von Scheffel zu seinem Gedichte „Der letzte Postillion“ Modell gestanden, vermögen wir zwar nicht anzugeben, möchten es aber fast annehmen, denn so oft wir Scheffel’s Verse lesen, vermeinen wir den leibhaften Eschepeter, jenes Original aus einer vor kaum zwei Jahrzehnten dahingeschwundenen Epoche unserer deutschen Postgeschichte, an unserem geistigen Auge vorübergleiten zu sehen:

„Der Schimmel trabt, die Peitsche schwirrt,
Laut schmettert Posthornton,
Als Geist kommt durch die Luft kutschirt
Ein greiser Postillion.

Fahl glänzt am gelben Sperlingsfrack
Thurn-Taxis’ Wappenknopf.
Er raucht uralten Rauchtabak
Aus seinem Ulmerkopf.

Er raucht und spricht: O Erdenball,
Wie anders schau’st du drein,
Seit ich mit Sang und Peitschenknall
Reichspostdienst that am Rhein!“

Heller noch als seine Gala-Uniform leuchtete des Eschepeter’s rothe Nase. Er war eine der populärsten Persönlichkeiten der vormaligen Residenzstadt Wiesbaden und des ganzen nassauischen Ländchens, das kostbarste Inventarienstück der Post und des Gasthauses zum „Adler“ und Herr und Meister unter den Postillionen. Kind und Kegel in Nah und Fern kannte den Eschepeter, den spiritus familiaris des weiland nassauischen Postenlaufs, das fahrende Genie, dem Nichts gleich kam, sobald es, die Zügel in der Hand, auf dem Bocke thronte und Horn und Peitsche führte. Wollte der Posthalter, Herr Schlichter, einem Extrapostreisenden von hohem Stande eine besondere Ehre erweisen, so kommandirte er den Eschepeter zum Kutschiren. Der Eschepeter war es denn auch, der im Jahre 1864 Louis Napoleon’s Gemahlin, die Kaiserin Eugenie von Frankreich, nach Schwalbach fuhr und – wenn auch nach allen Regeln der Kunst – doch in solcher Karrière dahinjagte, daß von der Ehreneskorte ein Leibgendarm nach dem andern zurückblieb und nachseufzte: „Eschepeter, ich kann nicht mehr!“ Aber auch die Glanzperiode der Postillione ging vorüber.

Nassaus und Thurn-Taxis’ Postherrlichkeit sah er in Trümmer sinken und auf den Ruinen die schwarz-weiß-rothe Postflagge des Norddeutschen Bundes gar lustig flattern.

„Es hatt’ der Siebentagekrieg
Dem Bau den Hals gebrochen,
Und König Wilhelm hatt’ das Wort
Mit Vollmacht ausgesprochen:
‚Dem Fürst Thurn-Taxis thun Wir kund:
Jetzo hat der Norddeutsche Bund
Sein Postregal alleine!‘“ –

Immer mehr pfiff dem Postinstitut der Dampf

„Mit Wunderkraft dazwischen,
Die Eisenbahnen hin und her
Erhielten den Engros-Verkehr
Mit ihrer Windesschnelle.“

Den Zusammenbruch des fränkischen Kaiserthrones und das Erbleichen des Ruhmesschimmers jener Potentatin, deren Gefährt er vordem einmal so meisterhaft nach Schwalbach geleitet, erlebte der alte Rosselenker allerdings nicht mehr, und nicht

„.... den deutschen Riesenkampf
Mit diesen Herrn Franzosen,
Da ernteten viel Ruhm und Ehr
Feldposten, die famosen,
Die brachten Muttergroschen viel
Und allerlei ans rechte Ziel,
Auch Tabak zum Verrauchen.“

Schon vor Ausbruch jener welterschütternden Ereignisse, im Jahre 1868, hatte Eschepeter die Fahrt zur Jenseitsstation, von welcher Niemand zurückkehrt, angetreten, aber Eins hatte der alte würdige Repräsentant seiner Species bei jenen Wandlungen, die er noch miterlebte, bestimmt gefühlt, nämlich daß die Glanzperiode der Schnell- und Extraposten dahin sei, da noch

„Der schmucke, blanke Postillion
Rief mit des Posthorns Zauberton
Zusamm’n die Passagiere.“

Emil K...g. 


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_286.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2021)