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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Liebe zu binden. Du hast für alle diese Versicherungen stets nur ein geheimnißvolles Lächeln und Achselzucken gehabt –“

„Weil ich sah, wie Dich Heloise mit ihren Blicken verfolgte und –“

Er erröthete wie ein Mädchen. „Und ist das nicht einseitig gewesen? Kannst Du dasselbe von mir behaupten? Fräulein von Taubeneck ist sich ihrer Schönheit bewußt und kokettirt mit Allen. Solche Blicke sind wohlfeil – mir machen sie nicht den geringsten Eindruck. Du aber solltest doch wissen, daß das ein leichter amüsanter Tauschhandel ist, den die Meisten für erlaubt und durchaus nicht für verpflichtend halten. Fräulein von Taubeneck wird trotz alledem eine brave Frau werden – dafür bürgt schon ihre große Gemüthsruhe.“

Die Thür fiel wieder zu, und die alte Dame verschwand mit blassem, verstörtem Gesicht abermals in ihrem Schlafzimmer. Aber eine Stunde später eilte das Stubenmädchen zur Schneiderin und in die Putzhandlung, und der Hausknecht rumorte auf dem Boden und schleppte verschiedene Koffer und Köfferchen die Treppe hinab – die Frau Amtsräthin wollte nach Berlin zu ihrer Schwester reisen.

Und als gegen Mittag der Amtsrath seinen Einzug hielt und am Arme seines Sohnes die Treppe im Lamprechtshause hinaufstieg, da kam just seine Frau im Pelzmantel und Schleierhut von oben herab, um in der Stadt Abschiedsbesuche zu machen. Sie sprach überall von ihrem längstgehegten, sehnsüchtigen Wunsche, doch auch wieder einmal eine gute Oper und Koncerte zu hören, der sie nunmehr unwiderstehlich nach Berlin locke. Das Ereigniß im Prinzenhofe wurde nur nebenbei berührt und lächelnd als etwas längst Gewußtes behandelt, über das sich selbstverständlich jedes loyale Herz innig freuen müsse; der Allerintimsten aber flüsterte sie ins Ohr, daß sie den anfänglichen Widerstand des Fürsten von X. sehr wohl begreife – es sei nicht Jedermanns Sache, die Tochter einer ehemaligen Ballerina in seine Familie aufzunehmen. –

Mit ihrer Abreise wurde es für einige Tage still und friedlich im alten Kaufmannshause; aber dann kam noch ein Sturm, der allen Bewohnern das Herz erbeben machte. Reinhold mußte endlich die Umwandlung der Familienverhältnisse erfahren. Der alte Amtsrath und Herbert waren möglichst vorsichtig zu Werke gegangen; allein die Enthüllungen hatten trotz alledem die Wirkung einer zerspringenden Bombe gehabt. Reinhold gerieth in eine furchtbare Aufregung. Er schrie und tobte und erging sich in den heftigsten Anklagen gegen seinen verstorbenen Vater. Sein leidenschaftlicher Protest half ihm freilich nichts, er mußte sich schließlich fügen. Aber von da an zog er sich noch mehr als früher zurück von der Familie – er aß sogar allein auf seinem Zimmer, aus Furcht, daß er dem kleinen Bruder einmal in der Wohnstube begegnen könne; denn mit „dem Burschen“ wolle er nie und nimmer etwas zu schaffen haben, und wenn er hundert Jahre alt werden solle, wiederholte er immer wieder.

Für diesen Ausspruch hatte der alte Hausarzt immer nur ein melancholisches Lächeln – er wußte am besten, wie es um die Altersaussichten seines Patienten stand. Er forderte deßhalb möglichste Nachgiebigkeit und Schonung von Seiten der Verwandten für den Kranken, und das geschah bereitwilligst. Der kleine Max kreuzte seinen Weg nie. Die Thür nach dem Packhause war nicht zugemauert worden; auf diesem Wege wurde der lebhafte Verkehr zwischen dem Vorder- und Hinterhause vermittelt … Der Amtsrath hatte den prächtigen Knaben an sein Herz genommen, als sei er auch ein Kind seiner verstorbenen Tochter, und Herbert war sein Vormund geworden.

In Stadt und Land machte, wie vorausgesehen, das geoffenbarte Geheimniß des Lamprechtshauses großes Aufsehen; es blieb lange Tagesgespräch, und in den Klubs, den Damenkränzchen und auf den Bierbänken wurde für und wider debattirt – die Lamprechts wurden in der That „auf das Allerschönste zerzaust“. Dieser Widerstreit blieb jedoch ohne jedwede Einwirkung auf das jetzige friedvolle Zusammenleben in Großpapas Zimmer, dem rothen Salon. Man kam da täglich zusammen, ein enger Kreis von Menschen, die innige Liebe und Zuneigung verband. Und auf dieses Bild der Eintracht zwischen Alt und Jung sah „die Frau mit den Karfunkelsteinen“ lächelnd und augenstrahlend herab.

„Die Schönheit der Frau da oben ist so dämonisch und packend, daß man sich vor ihr fürchten könnte,“ sagte Frau Lenz eines Abends erblassend zu Tante Sophie, die neben ihr auf dem Sofa saß und Margaretens Namensziffer in eine Ausstattungsserviette stickte. Eine Lampe stand auf der Kommode unter dem Bilde, und aus dem Lichtstrom tauchte das junge Weib so lebenathmend empor, als werde es im nächsten Augenblick die Lippen öffnen, um auch ein Wort in die Unterhaltung zu werfen.

„Dieser verderbliche Zauber muß sich meiner armen Blanka förmlich an die Fersen geheftet haben, als sie von hier wieder in die Welt hinausgegangen ist,“ setzte die alte Frau mit gepreßter Stimme hinzu. „Sie hat sich am liebsten mit den Steinen geschmückt, die dort in den dunklen Haaren stecken, und in ihren letzten Fieberträumen hat sie mit der schönen Dore gerungen, die – ‚sie mitnehmen wolle‘.“

Der Landrath stand auf und rückte die Lampe fort, sodaß die Gestalt wieder ins Halbdunkel zurücktrat.

„Ich habe die Rubinsterne heute in den Händen gehabt und sie weggeschlossen … In Dein Haar werden sie nie kommen!“ sagte er zu Margarete.

Sie lächelte. „Denkst Du wie Bärbe?“

„Das nicht – aber an ‚den Neid der Götter‘ muß ich denken. Und so mag das unheimliche rothe Gefunkel für künftig in Frieden ruhen!“

Bärbe aber sagte fast zu derselben Stunde drunten in der Küche zu den Anderen: „Der Weg, den unser Junge jetzt alle Tage durch den Gang machen muß, will mir aber nicht gefallen. Die mit den Karfunkelsteinen hat ihr Kindchen mit in die Erde nehmen müssen, und da ist nun so ein schöner, strammer Stammhalter dageblieben, und das macht boshaftig.“

„Jetzt müssen Sie sich aber die Zunge abbeißen, Bärbe!“ sagte der Hausknecht. „Sie haben ja von dem Unwesen in Ihrem ganzen Leben nicht wieder sprechen wollen.“

„Ach was, ‚einmal ist keinmal‘! Am besten wär’s, der Gang würde vermauert; denn wer kann’s wissen, ob nicht jetzt gar auch noch der schöne Flachskopf neben der Schwarzhaarigen umgehen thut?“ …

Der Glaube an dunkle Mächte wird nicht sterben, so lange das schwache Menschenherz liebt, hofft und fürchtet!


Eine Verschwörung.

Von Johannes Scherr.


1.0 Von einer Rabenmutter und einem Säbelheiland.

Rabenmutter Revolution hatte, wie Vergniaud es trauervoll vorhergesagt, viele ihrer besten und auch manche ihrer schlechtesten Söhne verschlungen. Allerschlechteste, wie die Barère, Fouché und Talleyrand, hatte sie verschont, weil ja im öffentlichen Leben, wie im privatlichen, grundsatzlose Streber und abgefeimte Schufte das meiste Glück haben. Die Rabenmutter hatte sich aber in ihrer wahnwitzig-terroristischen Verschlingungsgier den Magen so mit Blut überladen, daß sie schließlich zerbarst – am 9. Thermidor (27. Juli) von 1794.

Der robespierre’schen Diktatur des Schreckens folgte die thermidorische Anarchie und dieser das direktoriale Regiment der Lüderlichkeit. Dann schmiegte sich Voltaire’s „Tiger-Affe“, durch die eigenen wüthenden Leidenschaften müdegehetzt, als eine richtige Schmeichelkatze dem korsischen Abenteurer zu Füßen, welcher es verstand, einem vom „Tollrausch“ der „Freiheit“ kläglich ernüchterten Volke die Tyrannei des Säbels als einzige Rettung aus gränzenlosem Elend aufzuschwindeln.

Von einer gerechten Würdigung der französischen Staatsumwälzung konnte zunächst keine Rede sein. Namentlich in Frankreich nicht. Die ungeheuren Geschehnisse standen den Menschen noch so nahe, daß sie ihrem ganzen Umfange, ihrer ganzen Bedeutung und Wirkung nach gar nicht zu überblicken und zu schätzen waren, sondern vielmehr mit ihrer Wucht die Unbefangenheit des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_326.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)