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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Eine Verschwörung.

Von 0Johannes Scherr.
(Fortsetzung.)


3.0 Wer sich verschwor und wasmaßen.

Auf der Schwelle zum Jahre 1804 standen der Bewohnerschaft von Seine-Babel gewaltige Sensationen und Emotionen bevor. Zwei große Spektakel schickten sich an, in Scene zu gehen: eine Tragödie, die Cadoudal-Pichegru’sche Verschwörung, und eine Komödie, die Verkaiserung Bonaparte’s. Gleichzeitig sollte in den Tuilerien ein Thron und auf dem Grève-Platz ein Schaffot aufgebaut, auch im Schloßgraben von Vincennes ein Grab gegraben werden. „Blut ist ein ganz besondrer Saft.“ Das Blut eines Bourbon, meinte der Erste Konsul, würde den Purpur seines Kaisermantels nur leuchtender machen.

Der Gegensatz von Bourbonismus und Bonapartismus war schon von Haus aus ein unversöhnlicher. Zwei Zwischenfälle hatten aber denselben noch grimmiger gemacht. Der Graf von Provence, welchen die französischen Royalisten als ihren König Ludwig den Achtzehnten anerkannten und welcher dazumal mit seinem älteren Neffen, dem Duc d’Angoulème, in Warschau „residirte“, hatte an den Ersten Konsul einen Schreibebrief gerichtet, worin er denselben aufforderte, das Werk der Wiederaufrichtung Frankreichs mit der Zurückführung der legitimen Herrscherfamilie der Bourbons zu krönen, war aber mit dieser naiven Zumuthung vonseiten Bonaparte’s barsch und harsch abgewiesen worden. Später sodann hatte der Erste Konsul seinerseits die Naivität begangen, dem Könige in partibus, Ludwig dem Achtzehnten, zuzumuthen, selbiger möchte für sich und seine Familie allen Ansprüchen auf den französischen Thron förmlich und feierlich entsagen um den Preis einer jährlichen Rente von 2 Millionen, war aber von dem Exulanten in Warschau mit diesem Antrag heimgeschickt worden in einer Tonart, welche ihm den Standpunkt klarmachen sollte. Nämlich den Standpunkt, allwovon eine „allerchristlichste Majestät“ auf einen „Parvenu“ von Usurpator herabzusehen geruhte.

Der Bonapartismus und der Bourbonismus waren also quitt. Aber mit einander fertig waren sie darum noch lange nicht.

Der Wiederausbruch des Krieges zwischen England und Frankreich gab das Signal zu einer großen Rührigkeit im Lager der Emigranten, welche auf britischem Boden ein Asyl gefunden hatten und, wie schon erwähnt, auf Kosten der englischen Staatskasse lebten. An ihrer Spitze stand thatsächlich Georges Cadoudal, welcher nach der endgiltigen Beruhigung der Vendée das Anerbieten des Ersten Konsuls, ihm in der Armee eine lohnende Laufbahn zu eröffnen, charakterfest, als ein in der Wolle gefärbter Royalist und Katholik, ausgeschlagen und sich in die Bretagne zurückgezogen hatte, von wo er dann nach England gegangen. Dem Namen nach waren die Führer der emigrirten Franzosen, so viele deren noch in England sich befanden, der Graf von Artois und sein jüngerer Sohn, der Herzog von Berry. Der alte Prinz von Condé und sein Sohn, der Herzog von Bourbon, hielten sich von dem Treiben der Flüchtlinge abseits in der Erwartung, etwa wieder gegen die französische Republik zu Felde ziehen zu können, wie sie sammt ihrem Enkel und Sohne, dem Duc d’Enghien, der aber nicht bei ihnen auf britischem, sondern auf deutschem Boden lebte, vordem schon gethan. In der Umgebung von Artois und Berry hatten den größten Stand der Marquis de Rivière-Riffardeau und die Brüder Armand und Jules de Polignac aus jener für Frankreich und die Bourbons so fatalen Familie.

Innerhalb dieses Kreises trieben ihr lärmendes Spiel alle die Illusionen, von welchen bekanntlich Verbannte allzeit und überall sich umgaukeln zu lassen pflegen. Demnach sahen die Prinzen und ihr Anhang Menschen und Dinge drüben in Frankreich so, wie sie dieselben zu sehen wünschten. Sie wähnten, die Popularität Bonaparte’s sei schon verschwunden oder doch wenigstens stark im Verschwinden begriffen. Insbesondere darum, weil Frankreich die Kriegslust des Ersten Konsuls fürchtete. Item, er hätte nicht nur den Rest der Republikaner gegen sich, sondern auch eine starke Partei im Heere, welche um seinen Nebenbuhler in militärischer Autorität und im Feldherrnruhm, um den Sieger von Hohenlinden, um den notorisch unzufriedenen General Moreau sich sammelte. Item, die Royalisten, durch die ihnen vom Ersten Konsul gewährte Heimkehr aus der Verbannung und durch die theilweise Wiedererlangung ihrer Güter neu gekräftigt, würden natürlich bereit sein, eine Erhebung zu Gunsten der königlichen Sache – zu welcher Erhebung der Hebel am erfolgreichsten abermals in der Vendée anzusetzen wäre – mit Gut und Blut zu unterstützen. Endlich, die französische Klerisei würde selbstverständlich für das legitime Königthum Himmel und Hölle in Bewegung setzen, sowie das Lilienbanner in Frankreich entfaltet wäre.

Das alles war nur ein willkürlicher Mischmasch von halb wahren Vorstellungen und ganz falschen Einbildungen.

Die sehr wenig zahlreichen Republikaner, welche es dazumal noch in Frankreich gab, haßten allerdings in Bonaparte den Despoten, aber auch das kaum Denkbare angenommen, sie hätten dem Bourbonismus Beistand leisten wollen, so würden sie es in ihrer Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit gar nicht vermocht haben. Item, die Unzufriedenheit im Heere beschränkte sich auf eine kleine Anzahl von Officieren, welche sich vom Ersten Konsul nicht genug befördert glaubten und auf den General Moreau blickten als auf einen Gönner, von dem sie unter Umständen mehr erwarten dürften. Moreau selbst war sicherlich sehr verstimmt darüber, daß sich sein Kollege Bonaparte so hoch über ihn erhoben hatte, und diese Verstimmung war durch die geschäftige Zunge seiner Frau und die noch geschäftigere seiner Schwiegermutter, welche Damen der Madame Bonaparte die Residenz in den Tuilerien nicht zu verzeihen vermochten, zur leidenschaftlichen Verbitterung gesteigert worden. Der General, von seiner militärischen Befähigung abgesehen, ein recht mittelmäßiger Kopf und schwacher Charakter, war nach Art von Mittelmäßigkeiten dem Gefühle des Neides sehr zugänglich und hatte sich durch dieses Gefühl, sowie durch die besagten geschäftigen Zungen in die Vorstellung hineinschmeicheln lassen, der erste Platz in Frankreich gebührte ihm so gut wie dem „Usurpator von Korsen“, mindestens so gut oder eigentlich viel mehr. Aber deßhalb wähnen, er würde sich zu einem Werkzeug bourbonischer Restauration hergeben, das konnten nur Illusionäre von Emigranten. Item, die neuerlich nach Frankreich heimgekehrten Royalisten waren nichts weniger als bereit, ihre neugewonnene Stellung um der Bourbons willen schon wieder auf’s Spiel zu setzen. Im Gegentheil, sie waren es gar wohl zufrieden, vom Bonaparte gnädig angesehen zu werden, und drängten sich an den Hof des Ersten Konsuls, um diesen militärischen Hof monarchische Formen zu lehren und dem „Usurpator“ eine überreiche Anzahl von beflissenen und in der Etikette bewanderten Hofschranzen zu liefern. Die Bauern der Vendée ihrerseits hatten die Schwerenoth, welche ihre jahrelangen Kämpfe gegen die „Blauen“ über ihr Heimatland gebracht, noch in zu schmerzlich-frischer Erinnerung, als daß sie Neigung verspüren konnten, diese Kämpfe wieder anzuheben. Endlich, die französische Geistlichkeit erinnerte sich allzu lebhaft, wie ihr mitgespielt worden, wann zur jakobinischen Zeit die „Göttin der Vernunft“ in Notre-Dame gethront hatte, als daß sie jetzt schon hätte vergessen mögen, welche Summe von Dank sie dem Ersten Konsul schuldete als dem Wiedereröffner der Kirchen, dem Wiederaufrichter der Altäre, dem Urheber des Konkordats, welches der Klerisei neben dem himmlischen Manna auch das irdische Brot zurückgab.

Weit besser begründet als die so eben in ihrer Nichtigkeit aufgezeigten Voraussetzungen der Emigranten wär die, daß die englische Regierung jedes Vorgehen gegen Bonaparte bereitwilligst unterstützen würde. Das ist denn auch wirklich geschehen, obzwar, aus den früherhin betonten Ursachen, ein urkundlicher Beweis für die Betheiligung des englischen Ministeriums an der gegen den Ersten Konsul gesponnenen Verschwörung nicht beigebracht worden und wohl niemals beigebracht werden kann. Selbst im geheimsten Schranke des britischen Geheimarchivs wird sich schwerlich jemals ein bezügliches Dokument finden lassen. Dagegen ist der Indicienbeweis für die Mitschuld der englischen Machthaber vollständig erbracht. Wer bezahlte die Kosten des Komplotts? England. Wer schaffte mittels eines Fahrzeugs seiner Kriegsmarine die verschiedenen Schübe der Verschwörer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_342.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2023)