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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 22.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Trudchens Heirath.

Von 0W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Trudchen Baumhagen war rasch über den stillen Kirchplatz geschritten, hatte in der gegenüber liegenden Mauer eine Pforte geöffnet und stand nun auf väterlichem Boden. Ziemlich eilig ging sie durch die mit hohem Buchs eingefaßten Wege des im altfranzösischen Stile angelegten Gartens und über einen stillen geräumigen Hof in das Haus. Auf dem großen gewölbten Flur traf sie ihren Schwager neben einem hohen Velociped stehend; er war sehr elegant und nach neuester Mode gekleidet, auf der blauen Kravatte funkelte ein köstlicher Brillant, ebenso an der feinen Hand. Er war blond, hatte rosige Gesichtsfarbe und einen kleinen Schnurrbart über der Oberlippe, und mochte etwa dreißig Jahre zählen. Ein Diener war beschäftigt, den glänzenden Stahl des Vehikels mit einem Lederlappen abzureiben.

„Nun,“ fragte das junge Mädchen freundlich, „willst Du ausreiten, Arthur?“

„Ausreißen, meinst Du, Trudchen? Ja, ja, was soll man anfangen!“ gab er verdrießlich zur Antwort. „Jenny hat ja heute ausnahmsweise wieder einmal einen Damenthee arrangirt – was soll ich da? Ich fahre mit Karl Röben nach Bodenstedt – sehe Jeder, wo er bleibe.“

„Ich will eben einmal hinauf zu Euch,“ nickte das Mädchen, „ich bin böse auf Jenny und will sie schelten.“

„Na, wenn Du nur nicht den Kürzeren ziehst, theuerste Schwägerin,“ rief Arthur Fredrich lachend.

Sie schüttelte ernsthaft den Kopf und stieg die breite Treppe empor, deren dunkles geschnitztes Geländer gut harmonirte mit dem purpurrothen Smyrnateppich, welcher die Stufen verdeckte, durch blitzende Messingstäbe festgehalten. Riesige Lorbeerbäume in Kübeln standen zu beiden Seiten der hohen Entréethür, die in den ersten Stock führte; links davon setzte sich die Treppe zur oberen Etage fort. Trudchen Baumhagen drückte auf den Knopf der elektrischen Klingel, und gleich darauf öffnete ein Dienstmädchen in blendend weißer Schürze, und eine helle Stimme rief:

„Ja wohl, ja wohl, ich bin zu Hause – Du kommst wie gerufen, Trudchen!“

In dem großen Vorflur, der zu einer sogenannten altdeutschen Diele umgewandelt war, stand an einem prächtigen Kredenztische eine junge Frau, beschäftigt, allerhand Silbersachen aus dem geöffneten Schranke zu nehmen. Sie trug ein winziges Spitzenhäubchen auf dem mattblonden Haare und ein Hauskleid aus hellblauem feinen Wollstoffe, verschwenderisch mit Spitzen garnirt. Sehr hübsch war sie, diese junge Frau, selbst jetzt, wo sie eine schmollende Miene annahm; ähnlich aber sahen sich die Schwestern durchaus nicht.

„Du bist ja noch gar nicht in Toilette, Jenny?“ fragte das junge Mädchen. „Da hätte ich freilich lange warten können in der Kirche; es war recht peinlich, daß Du nicht kamst.“

Die kleine Frau hielt inne und setzte den Krystallkorb, den


Teichröschen.0 Nach dem Oelgemälde von C. Karger.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_353.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2020)