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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

ungarischer Kunstschlosserei prüfend betrachtet, so muß sich in seinem phantasievollen Geiste doch wohl das Bild zweier Welten wundersam vermischen, das Bild des asiatischen Ungarn, aus dem er herausgewachsen, mit dem Bilde des europäischen Ungarn, in das er hineinwachsen mußte. „Ungarn war nicht, es wird sein,“ sagte Graf Szechenyi, den die Ungarn den „Vater der Nation“ nannten. Wer, wie und was wird es sein? das ist eine Frage.

Viel eigene Arbeit, vor Allem politische, haben die Magyaren geleistet, um sich emporzuraffen aus der nationalen Selbstgenügsamkeit von ehedem. Aber mehr noch haben dabei fremdes Muster und fremder Beistand für sie gethan. Wenn sie heute eifersüchtig darauf sind, daß nicht von Oesterreich, sondern von Oesterreich-Ungarn gesprochen werde, so müssen sie dabei eines Deutschen gedenken, der den Dualismus verwirklichte. Auch die Kettenbrücke zwischen Ofen und Pest, ein Wunderwerk der Technik, hat keinen Magyaren zum Urheber, sondern einen Engländer. Der Friede, der den Ungarn gestattete, sich während der letzten anderthalb Jahrzehnte politisch und ökonomisch emporzuschnellen, ist der Politik Deutschlands und dem deutsch-österreichische Bündnisse zu verdanken. Sagt man sich das in Pest, wie man es sollte, um nicht in den verhängnißvollen Fehler der Selbstüberhebung zu verfallen? Man hat Augenblicke der richtigen Erkenntniß, aber es fehlt noch viel dazu, daß man sich mit ihr durchdringe. Die Landesausstellung, so interessant sie in manchen Stücken sein mag, ist für Nichtmagyaren, für Deutsche zumal, fast ungenießbar, denn es lernt nicht Jeder im Handumdrehen Ungarisch, um sich von den Magyaren darthun zu lassen, was sie in Handel, Industrie, Gewerbe und Kunst zu leisten vermögen. Ungarisch aber sind die Aufschriften, ungarisch die Kataloge. Und was hätte man denn dem Glanze der Stephanskrone vergeben, wenn man der benachbarten deutschen Weltsprache, der Sprache des Volkes, dem man soviel verdankt, die Ehre angethan hätte, sie neben dem heimischen Idiom als Führerin fungiren zu lassen? …

Dem wißbegierigen deutschen Pilger, der mit offenen Augen und offenem Sinne durch die Ausstellung schreitet, mag es verziehen sein, daß derartige Gedanken ihm den Eindruck stören. Er bewundert das Mastvieh des magyarischen Agrikulturstaates, die Lederindustrie des uralten Reitervolkes, er hält dankbar in der Weinkosthalle Rast, wo schmucke Szeklerinnen ihm den feurigen Trunk kredenzen. Und wenn er die Ausstellung verläßt und die Gassen von Budapest durchwandert, wenn er am Donaukai in der bezaubernden landschaftlichen Perspektive schwelgt, so unterdrückt er nicht die Freude darüber, daß da ein schönes Stück Erde in raschem Siegesschritte der modernen Kultur gewonnen wurde. Aber während ihm die alten Geschichten durch den Sinn gehen von dem tapferen Hunyady, von Matthias Corvinus und Zriny, von Stephan Bathory und von Ludwig Kossuth, von Türkennoth und Kriegsjammer, vermag er sich schwer zusammenzureimen, warum das magyarische Königskind mit dem deutschen Königskinde so schwer zusammenkommt. Ist die Leitha wirklich „viel zu tief“? Am Ende sind es ja doch gute deutsche Namen, welche die beiden Bürgermeister von Budapest führen – Rath und Kammermeyer heißen sie – und das deutsche Geburtsattest der Donau kann selbst der verstockteste aller Magyaren nicht anfechten.

Im Ohre klingt mir der fremdartige Ton des Cymbal, halb Melancholie und halb verzweifelte Lustigkeit. Ich sitze in dem wunderschönen Kiosk am Donaukai, der Mond scheint hell auf die Silhouette des mächtigen Redoutehauses nieder, vom Strome klagt leise die Welle herauf, wie Abschied nehmend, bevor sie sich weit zum Pontus hinabwälzt, welcher den Alten als der „unwirthliche“ gegolten. Drüben ragt unheimlich der Blocksberg mit der Citadelle zum Himmel, und die Königsburg schließt das herrliche Nachtbild ab, das Keiner vergißt, der es einmal gesehen. Als Knabe, wenn ich verstohlen ein Gedicht von Lenau oder Karl Beck las, als Jüngling, wenn ich wallenden Blutes an der Sturmpoesie Petöfi’s mich erregte, habe ich mich – wie oft! – nach der Melancholie der Puszta gesehnt. Nun liegen zwei erlebnißreiche Tage hinter mir, ich habe die Herrlichkeiten der magyarischen Hauptstadt genossen, die schönen ungarischen Frauen bewundert mit ihren dunkelblitzenden Augen, den heißen Ungarwein in seiner Heimath gekostet, die schwermüthigen magyarischen Volksweisen gehört von der Blaha, welche als die ungarische Diva gepriesen wird. Aber stillbewegt sehne ich mich wieder zurück nach deutschem Wort und deutschem Lied. Großes mag der magyarische Nationalsinn leisten, jedoch er leistet es nur für sich. Uns Deutsche hat Moriz Jokai in einem Toaste „Piloten der Kultur“ genannt, und bei Gott, wir erkennen erst, daß wir es sind, wenn wir fremde Art und fremdes Wesen beobachten. Was wir für die Civilisation, für die Kultur, für die Freiheit erarbeiten, erarbeiten wir nicht blos für uns, sondern auch für Andere. Halb zaghaft und halb erbittert wendet sich der Ungar ab, wenn er den Namen Vilagos hört; Vilagos ist das magyarische Jena. Aber was er seit seinem nationalen Unglückstage gelernt, ist nicht Opferwilligkeit für Alle, welche an ihrer Freiheit und Wohlfahrt leiden, sondern nur Opferwilligkeit für sich. Vielleicht bedeuten die Feste, welche jetzt die Ungarn in ihrer blühenden Hauptstadt zu Ehren der Landesausstellung veranstalten, daß die Aera des nationalen Egoismus vorüber ist und diejenige der Kulturverbrüderung mit den anderen Nationen beginnt. Eine schöne Anekdote läßt die Ungarn auf ihrem Reichstage zu Preßburg die Sporen zusammenschlagen, die Schwerter emporheben und der jugendlichen Maria Theresia, welche ihre Hilfe begehrt, enthusiastisch zurufen: „Moriamur pro rege nostro!“ Es giebt aber heutzutage auch noch andere Dinge, für welche ein Volk lebt und stirbt. Die Arbeit im Dienste der Menschheit ist von diesen Dingen das höchste. „Ungarn ist nicht, es wird sein.“ Das Wort Stephan Szechenyi’s ist noch immer wahr. Und es wird so lange wahr bleiben, bis man in Budapest erkennt, daß der Egoismus in der Politik nur berechtigt ist, wenn er der Selbstlosigkeit der Humanität als Folie dient.

Westwärts durch die weitgedehnte Donau-Ebene braust der Orient-Expreßzug. Aus bunten Träumen weckt mich der Ruf des Kondukteurs. Wir sind in Wien. Deutsch die Sprache, deutsch der Geist, und in dem Leben ringsumher der Pulsschlag der Welt. Wird Budapest jemals eine Weltstadt werden?


Reitochsen in Südwest-Afrika.

Von Max Buchner.

Noch innerhalb des Bereiches der portugiesischen Kolonie Angola erhebt sich das westafrikanische Küstenland mit zwei Staffeln zu einem 1000 Meter hohen Plateau empor, welches ostwärts fast bis zum Indischen Ocean sich erstreckt. Zahllose Wasseradern durchlaufen diesen mächtigen Körper. Grüne Savannen, zusammengesetzt aus langhalmigen Gräsern, Gebüsch und knorrigem Baumwuchs, bedecken seine Oberfläche, in den Thälern gedeihen üppige, von Lebenskraft strotzende Wälder.

So beschaffen, ist das Hochland Südafrikas für die Zucht von Rindvieh geeignet wie kaum ein anderes Gebiet unserer Erde, und ein gutes Stück der kulturellen Zukunft seiner Bewohner wird an diesen beinahe gänzlich kostenlosen Erwerbszweig geknüpft sein, wie ja schon jetzt der ganze Reichthum der südlichsten Negerstämme in ihren zahlreichen Rinderheerden besteht.

Aber während man noch im Bereich von Angola, soweit die Europäer oder doch wenigstens ihre Einflüsse herrschen, kein Dorf ohne feiste Heerde antrifft, entbehrt das ganze ungeheuere Gebiet des freien Inneren östlich des Koango, welches Millionen von Rindern ernähren könnte, derselben fast völlig. An dieser Thatsache ist weiter nichts schuld, als die großartige Indolenz der schwarzen Souveräne, welche die Schwierigkeiten der Weiterverbreitung des Rindes nicht zu überwinden vermag, verbunden mit ihrer Verschwendungssucht, die sie bei festlichen Gelegenheiten aller Rücksicht auf die Zukunft vergessen und oft ihren ganzen langsam angesammelten Viehbesitz zu einer einzigen Mahlzeit abschlachten und aufzehren läßt.

Wenn nun auch heutzutage in jenen fernen Landstrichen das Rind noch nicht jenen Nutzen abwirft, der bei fortschreitender Kultivation aus ihm zu gewiunen sein wird, so ist ihm dort doch schon seit mehr als zweihundert Jahren eine Rolle zugefallen, die man ihm in Europa nicht auferlegt, nämlich die eines Reitthieres. Wahrscheinlich haben schon die ersten portugiesischen

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