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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Sie klingelte und ließ Eiswasser bringen. Als Johanne das thauig beschlagene Glas vor ihr niedersetzte, wandte sie den Kopf zur Seite. „Johanne, weißt Du zufällig, wie lange die – junge Dame noch auf Niendorf bleibt?“

„Ich glaube, den Sommer über, Frau Linden,“ war die Antwort. „Es ist ja auch gut, was sollte werden da drüben?“

Trudchen biß sich auf die Lippen, sie schämte sich. Was hatte sie danach zu fragen?

„Wünschen Sie noch etwas, gnädige Frau?“

„Ich danke!“ Und sie blieb einsam in ihrem Zimmer wie alle Tage bisher. Sie hörte das Ticken des Wurmes in dem alten Holzwerke und dann und wann den Tritt der Dienerin auf dem Korridor. Mit brennenden Augen starrte sie in den sich mehr und mehr verdüsternden Himmel; ihre Hände hatten das schmale Polster der Stuhllehne umklammert, als müsse sie wenigstens äußerlich einen Halt haben.

Allmählich begann es finster zu werden, der hereinbrechende Abend, die schwarzen Wetterwolken im Verein schufen eine völlige Dämmerung, nur zuweilen leuchtete es grell auf hinter dem Geäst der Bäume. Nebenan schloß Johanne die Fenster der Schlafstube.

„Soll ich Licht bringen?“ fragte sie und schaute durch die halbgeöffnete Thür.

„Ich danke!“

„Aber gnädige Frau sollten sich doch vom Fenster fort setzen, es sieht sich so schauerlich an.“

Trudchen rührte sich nicht, und das verweinte Frauengesicht verschwand.

Da fuhr ein Windstoß durch die Bäume, wild schlugen die Zweige in einander, als erwehrten sie sich der rohen Gewalt; bis zur Erde bogen sich die schwanken Aeste und schnellten wieder empor, und in rasendem Wirbel schleuderte der Sturm Sand, abgerissene Blätter und kleine Steine an die zitternden Fensterscheiben. Und nun ein greller zuckender Blitz, ein Donner, der das Hans erbeben machte, und zu gleicher Zeit strömender, wolkenbruchartiger Regen, untermischt mit dem eigenartigen Prasseln großer Hagelkörner.

Johanne kam angstvoll, ihren Kleinen auf dem Arme, in das Zimmer der jungen Frau. „Heiliger Gott!“ schrie sie und sank vor dem nächsten Stuhl in die Kniee. Ein neuer Blitz erfüllte den Raum einen Augenblick mit leuchtend röthlichem Licht, und wie tausend Geschütze krachte der Donner nach.

„Das hat eingeschlagen, gnädige Frau, das hat eingeschlagen!“ rief sie jammernd.

Trudchen war vom Fenster zurückgetreten; sie stand mitten im Gemach. Beim Scheine der Blitze konnte die Dienerin ihr blasses unbewegliches Gesicht deutlich erkennen. Sie stützte die Hände auf die Tischplatte und schaute nach dem Fenster, als ginge das Alles sie nichts an. Und immer furchtbarer tobte das Wetter, die Welt schien in einem Flammenmeer zu stehen. Stunden schien es zu währen. Aber allmählich wurden die Blitze seltener, schwächer die Donnerschläge, zuletzt tröpfelte nur noch ein leiser Regen auf die Bäume, und im fernen dumpfen Murren erstarb das Wetter.

Trudchen öffnete das Fenster und bog sich hinaus, wunderbar duftende Luft zog ihr entgegen. weich und herb, erquickend und belebend. Und siehe, da droben hatten sich die Wolken getheilt und ein funkelndes Sternchen blickte hernieder. Dann schrak sie zurück. Von der Landstraße scholl eiliges Fahren. Peitschenknall, Menschenruf – was bedeutete das? Es war sonst todeseinsam hier um diese Zeit.

„Feuer!“ Hatte sie recht gehört? Sie konnte die Straße nicht sehen, aber sie bog sich weit hinaus und horchte auf den verhallenden Lärm. Ein rasches stürmisches Herzklopfen meldete sich. Die Gärtnerfrau kam eben eilig auf klappernden Holzpantoffeln über den spiegelnden Kiesplatz zurück, ihre schrille Stimme drang bis hinauf zu Trudchen: „David, mach’ daß Du hinüber kommst, in Niendorf brennt’s seit einer halben Stunde – die Spritze ist schon hin, mach’ fort!“

Kling, kling, kling, läutete jetzt die Glocke des Kirchleins; in Trudchens Ohr klang es markerschütternd nach. – Kling, kling, kling! Was stand sie noch und hatte die Hände fest an das Fensterkreuz geklammert, als seien sie mit ihm verwachsen? Sie hörte Thüren klappen, und Stimmen und Rufen, sie hörte, wie der Gärtner eilig aus seinem Häuschen polterte – und sie stand noch immer wie im Bann.

Wieder die hastig mahnenden Töne der stürmenden Glocke! Und wie aus schwerem Traume riß sie sich auf, und nun war sie ganz lebendig. Wie gejagt floh sie aus dem Zimmer, riß im Korridore ein Tuch von der Wand und eilte an Johanne vorüber, die mit der Gärtnerfrau und den Kindern vor der Gitterpforte stand, hinaus auf die halbüberschwemmte Landstraße.

„Gnädige Frau! Um des Himmelswillen!“ schrie Johanne hinter ihr drein. Aber sie achtete auf keinen Ruf; wie flüsterndes Gebet lag es auf ihren Lippen, nur weiter – weiter! Dunkel breitete der Weg sich vor ihr aus und einsam; die Männer, die zu Hilfe geeilt, waren längst an Ort und Stelle.

Sie flog förmlich, sie kannte keine Angst in dem finsteren Walde, sie sah nichts weiter als ein liebes altes brennendes Haus, als ein Paar einst so heiß geliebte Männeraugen. Da kam es hinter ihr in tappenden Sprüngen. Ach so – der Hund. „Komm,“ flüsterte sie und eilte weiter, ihr auf den Fersen das kluge Thier.

(Schluß folgt.)

In der Schleifmühle.

Von M. Haushofer.


Zwischen Lech und Isar schieben die Alpen eine waldreiche Hügellandschaft nordwärts gegen die bayerische Hochebene. Durch tiefdunkle Thalschluchten zieht hier der Ammerfluß in vielgewundenem Laufe der Ebene zu, am Fuße des Peißenbergs vorüber, der sich in einsamer Höhe über die Hügel erhebt und weithinschauend die stammverwandte Alpenkette grüßt.

Die mächtigen Waldungen, welche die Ufer des Ammerflusses beschatten, und die meilenlangen Moore, die sich im Norden und Osten an sie schließen, sind ein gefürchtetes Gebiet. Nicht als ob Wölfe oder Raubgesindel hier hausten. Nein – diese Wälder sind todtenstill, bis auf die hallende Holzaxt, die ab und zu in der Ferne erklingt, und auf den sehnsuchtweckenden Schlag der Walddrossel.

Aber die seelenlose Natur ist’s, die hier Unheimliches treibt. Denn das Ammerthal ist die Heimath der schwersten Gewitter, welche die südbayerische Hochebene kennt. Ueber diesen dunklen Waldungen und wasserreichen Mooren pflegen sie aufzusteigen, die riesigen Dunstgestalten des Aethers; hier sättigen sie sich mit ihrer dumpf grollenden Elementarkraft, um sich nach stundenlangem Brüten in Bewegung zu setzen und dann langsam hinauszuwälzen über die bewohnten Gelände und endlich mit zerstörender Wucht sich zu entladen.

Durch dieses Waldgefild wandern wir an einem schwülen Tage des Vorsommers der nächsten Eisenbahnstation zu, während über den blauschwarzen Ausläufern der Alpen sich eines jener berüchtigten Wetter des Ammerthales zusammenzieht. Bleigrau liegt es im Westen, geisterhaft steigt im Gewitterdunst, noch vom Schneegewande des Winters umkleidet, wie eine Zauberburg der höchste Berg des deutschen Reichs, die Zugspitze, empor.

Den Weg haben wir längst verloren, nur die Richtung nicht. Sie führt uns nach Osten, wo noch klarer Aether über beleuchteten Hügeln lacht. So sehr wir aber den Schritt beflügeln: machtlos ist alle Eile gegenüber der dräuenden Hast, mit welcher das Gewölk sich zusammen ballt, hinter uns dreinjagt und grollend sich über uns wölben will. Immer eilender wird unsere Wanderung, bald den Rand eines Hochmoores entlang, dann wieder durch hochstämmigen Fichtenwald aufwärts. Endlich scheint’s uns, als stünden wir auf dem letzten Waldrücken, von dem aus das Gelände sich abwärts senkt nach dem breiten Thale, durch welches der Schienenweg läuft. Aber schon orgelt der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_504.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2024)