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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Wir selbst haben es beobachtet, wie die kleine Forelle den etwa 25 Meter hohen, allerdings absatzförmigen Fall des Flusses Orbe in der Schweiz hinauf springt. Die Aale endlich, welche, wie bekannt, sich auch auf festem Boden schlangenartig fortbewegen, überwinden sogar den Rheinfall, indem sie an den feuchten Felsen zur Seite des Wassersturzes hinaufklettern!

Freilich gehen viele Thiere, zum großen Schaden der Fischerei, bei solchen Verzweiflungssprüngen zu Grunde, und dieser Umstand sollte für den Menschen eine Mahnung sein, den Wanderfischen durch die Zerlegung größerer Gefälle in kleinere die Erfüllung ihrer Pflichten zu erleichtern und damit den Fischreichthum zu vermehren.

Fig. 1 0 Cail’sche Fischtreppe:
Längenschnitt.

Der Mensch sollte sich dieser Aufgabe mit einem um so größeren Eifer unterziehen, als die Bedürfnisse der Industrie mit der Sorge für die Erhaltung der Fischerei jedes Jahr mehr in Widerspruch gerathen. Zu den berechtigten Forderungen der Technik gehört ohne Zweifel eine bessere Ausnutzung der in den meisten Ländern reichlich vorhandenen, wenig kostenden Wasserkräfte.

Diese Ausnutzung aber bedingt die Anlage von künstlichen Wehren in den Flußläufen, und diese Wehre bilden wiederum ebenso viele, in der Regel schwer übersteigliche Hindernisse für unsere guten Freunde, die Forelle, den Lachs, den Aal, welche ohnehin schon mit den natürlichen Stromschnellen genug zu kämpfen haben. Als eine Pflicht der Regierungen, wie der unmittelbar an der Fischerei Betheiligten, erscheint es unter diesen Umständen, unbekümmert um etwaige Klagen der Wehrbesitzer, die sich über die Wasserentziehung durch die Fischwege zu beschweren pflegen, in allen von Wanderfischen begangenen Flußläufen für ein freies Durchschwimmen dieser Fische, beziehungsweise für Veranstaltungen zu sorgen, welche die Ueberwindung von natürlichen und künstlichen Stromschnellen erleichtern.

Fig. 3 Hölzerner Fischpaß.

Solche Veranstaltungen, die leider in Deutschland noch selten anzutreffen, dafür aber in Norwegen, England und Nordamerika ziemlich verbreitet sind, heißen, je nach der Bauart, Fischtreppen oder Fischpässe.

An vielen Stellen hat die Natur selbst bei Wasserfällen oder Wehren für natürliche Fischtreppen gesorgt. Oft stürzt das Wasser auf den Felsen von Stufe zu Stufe herunter und bildet durch die Wucht seines Anpralls mitten in den einzelnen Absätzen mehr oder weniger tiefe Grundlöcher, die man Kolke nennt und die mit verhältnißmäßig ruhigem Wasser gefüllt sind. Der wandernde Fisch springt nun die kleineren Stufen hinauf, und wenn er müde geworden ist, so bieten ihm die Kolke Gelegenheit zum Ausruhen. Auf diese Wahrnehmung stützten sich nun die ersten Erbauer von Fischtreppen, deren Bau beifolgende Bildchen (Fig. 1 und 2) trefflich veranschaulichen. Diese Anlage, welche genau wie bei den für den Gebrauch des Menschen bestimmten Treppen, den Zweck verfolgt, eine Steigung ohne allzu große Mühe überwinden zu helfen, umgeht ein Flußwehr und besteht aus einer Reihe von Wasserbecken, deren der Strömung zugekehrte Wand eine Oeffnung besitzt, durch welche der Fisch schlüpfen kann. Da das Wasser in jedem einzelnen Becken ziemlich ruhig ist, so kann der Wanderer hier jedes Mal ausruhen und Kräfte zu der Fahrt durch die nächste Schlupflücke sammeln. Das Wasser ist um so ruhiger, als diese Lücken nicht einander gegenüber, sondern abwechselnd rechts und links liegen.

Fig. 2 0 Cail’sche Fischtreppe: Grundriß.

Einfacher sind die Fischpässe, bei denen keine treppenartige Absätze gebaut werden, sondern durch Herstellung einer langen Rinne die Kraft des herabstürzenden Wassers gemindert wird. Bei kleinen Wehren genügt es oft, nur einen Einschnitt in den Fachbaum des Wehrs zu machen und die Rinne mit rauhen Steinen auszulegen. Aber selbst bei größeren Wasserfällen ist die Anlage eines Fischpasses höchst einfach. Sie besteht aus einer sanft aufsteigenden Holzrinne, an deren Seitenwangen bald rechts, bald links Querbrettchen angenagelt werden, durch welche die Strömung gebrochen wird. man kann, um diese Wirkung zu erhöhen, auch in der Mitte der Rinne einige Brettchen befestigen, wie dies auf unserer Abbildung (Fig. 3) veranschaulicht wird. Der Fisch schwimmt nun in dem ruhiger gewordenen Wasser des Passes im Zickzack von der einen Oeffung zur anderen, bis er den Ausgang des kleinen Labyrinths oberhalb des Wasserfalls erreicht. Der größte Fischpaß dieser Art ist der Fischweg am Rukanfall in Norwegen. Der Fischpaß umgeht diesen Wassersturz, dessen Gefälle über 27 Meter beträgt, zum Theil in Zickzacklinie, das heißt in derselben Weise, wie die Alpenstraßen eine Höhe überwinden. Die Anlage ist zwar nur 285 Meter lang, der Fisch hat aber, wegen der Windungen in dem Paß selbst, einen beinahe drei Mal längeren Weg, nämlich 785 Meter, zurückzulegen. Dieser Aufgabe unterzieht er sich aber mit Meisterschaft, und es ist, Dank der Anlage, der obere Lauf des Sireflusses nunmehr mit Fischen reich bevölkert.

Fig. 4 0 Aalrinne in der Schwentine in Holstein.
O. W. Obere Wasserfläche — U. W. Untere Wasserfläche.

Die Aale sind, wie bemerkt, noch genügsamer. Sie brauchen nicht einmal einen Wasserweg, sondern nur einen etwas feuchten, möglichst rauhen Steg, auf dessen Unebenheiten sie bei ihren schlängelnden Bewegungen einen Stützpunkt haben. Solche Aalrinnen werden meist überdeckt, damit die Fische vor den Angriffen der Raubthiere besser geschützt sind. Beifolgende Abbildung veranschaulicht die Aalrinne für die Schwentine in Holstein. Dieselbe ist mit eingebauten Querschaltern versehen, deren Zwischenräume mit Kieselsteinen gepackt sind.

So dumm sind die Fische nicht, wie sie aussehen. Man hegte bei den ersten Fischweg-Anlagen die Befürchtung, die Wanderer würden die Einfahrt in die Rinnen nicht finden. Diese Befürchtung erwies sich indessen glücklicher Weise als eine irrige. Unsere Schwimmkünstler merkten überall gar bald, daß ein unbekannter Freund ihnen die Bergfahrt sinnig erleichtert; es wagen sich erst die kühneren, abenteuerlustigeren in die neue, ungewohnte Straße, und bald folgt der ganze Schwarm, es sei denn, daß der Baumeister überhaupt die Anlage verpfuscht hat, was leider noch häufig vorkommt.

Um gerade solchen Uebelständen künftighin abzuhelfen, hat der deutsche Fischerei-Verein die Herausgabe der im Eingang dieses Artikels erwähnten Schrift von H. Keller veranlaßt. Sie bietet zum ersten Mal eine klare und übersichtliche Darstellung der einzelnen Systeme der künstlichen Fischwege und verdient die allgemeinste Beachtung unsrer Fischfreunde.


Die Vierundzwanzig-Stunden-Uhr. Das zäheste Leben besitzt bekanntlich der Unsinn. So ist es gekommen, daß sämmtliche Kulturvölker den Tag in vierundzwanzig Stunden, den Zeitmesser dazu aber in zwölf Stunden eintheilen. Zu unserer Schande, müssen wir gestehen! Ueber das Widersinnige dieser Eintheilung ist uns erst sehr spät ein Licht aufgegangen, und zwar bei dem nicht gerade erbaulichen Studium eines Eisenbahn-Kursbuches. Trotz der als Nothbehelf eingeführten Unterstreichung der Abfahrtszeiten zwischen sechs Uhr Abends und sechs Uhr Morgens flimmerten bald die vielen Zahlen vor den Augen, und wir wußten schließlich nicht mehr, ob die Züge Abends oder in der Frühe am Bestimmungsorte eintrafen.

Weßhalb, so schoß es uns durch das Gehirn, gehen die Bahnverwaltungen nicht mit dem guten Beispiele einer Reform der Zeitgebung voran? Weßhalb werfen sie nicht den tausendjährigen Ballast der Tages- und Nachtzeiten entschlossen über Bord und bringen dadurch etwas mehr Licht in ihre Fahrpläne? Diese Fragen legten wir hierauf einem Eisenbahnbeamten vor. Dessen Antwort lautete aber nichts weniger als ermuthigend. Das Publikum sei sehr konservativ, die geringste Aenderung mache es kopfscheu, man dürfe nicht mit hundertjährigen Ueberlieferungen brechen; höchstens eigne sich die Vierundzwanzig-Stunden-Zählung für den inneren Dienst der Eisenbahnen und Telegraphen, die Leute würden sich nie daran gewöhnen etc.

Glücklicher Weise denken nicht alle Menschen wie unser am Fortschritt verzweifelnder Eisenbahnbeamter. Soeben wagt es nämlich ein deutscher Erfinder, Herr Wilhelm Osborne in Dresden, mit dem Schlendrian zu brechen, und wenn wir auch seine Ansicht nicht theilen, daß in fünfzig Jahren Niemand mehr eine Uhr mit Zwölfstunden-Eintheilung benutzen werde — die Macht der Gewohnheit ist größer, als er es sich vorstellte —, so halten wir es für unsere Pflicht, seine Bemühung um Verbesserung unserer Zeitgebung, so weit es durch die Presse geschehen kann, zu unterstützen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_524.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2024)