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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

nicht Australien ihr Geburtsland nennen, nicht loszulösen. Wenn aber dieser Stamm einmal dahingegangen ist, ohne daß ein Zufluß frischen Blutes eine Verstärkung gebracht hätte, wenn die bisher reindeutschen Schulen durch die Konkurrenz billigerer englischer Staatsschulen erdrückt sind, dann wird auch hier sich eine Wandlung vollziehen trotz der deutschen Klubs, der Gesang- und Turnvereine, in welchen schon jetzt englische Elemente eine Rolle zu spielen beginnen. Der Deutsche wird in dem englischen Australier untergehen.

Für viele Deutsche hat das nichts Schmerzliches. Wenn sich der deutsche Geist mit dem fremden Geist so vermählt, daß das Produkt der innigen Verbindung eine Vereinigung der guten Eigenschaften beider wird, so nennen sie das eine geistige Auferstehung. Es ist das ein gefälligerer Name für eine angebliche Bestimmung unserer Nation, welche ein rauherer Mund mit dem Ausdruck „Völkerdünger“ gebrandmarkt hat. Möge sie unseren deutschen Brüdern jenseit des Meeres erspart bleiben! E. Jung. 


Blätter und Blüthen.

Ulysses Grant †. Seit dem 23. Juli weht halbmast das Sternenbanner in Washington; die große Republik trauert um ihren großen Sohn. Die Bürger, welche an seinem frischen Grabe standen, mochten mit getheilten Gefühlen über die Verdienste des Heimgegangenen und seine wunderbare Laufbahn nachgedacht haben, in Einem mußten sie jedoch Alle übereinstimmen: in Ulysses Grant schwand einer der größten Krieger, den Amerika jemals gesehen.

Er zählte in der That zu jenen geborenen Feldherren, die, ohne irgend welche genügende militärische Schule durchgemacht zu haben, Volksheere zum Kampf und Sieg führen. Schon im mexikanischen Kriege lenkte Grant, obwohl in untergeordneter Stellung, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sein militärisches Talent. Trotzdem trat er, sobald der Friede geschlossen wurde, nach amerikanischer Sitte ins Privatleben zurück, bis ihn der beginnende Lärm des großen amerikanischen Bürgerkrieges von dem Gerbergeschäfte seines Vaters an die Spitze eines Freiwilligen-Regiments rief. Am 17. Juni 1861 rückte er ins Feld und bewies schon nach zwei Monaten durch die Einnahme von Paducah, daß er zu den besten Feldherren der Nordstaaten gehöre.

Die Schlachten bei Yuka und Korinth und die Einnahme von Vicksburg befestigten sein Ansehn, und vertrauensvoll ernannte ihn Präsident Lincoln zum Oberbefehlshaber aller Armeen und gab ihm den Titel Generallieutenant, den nach Washington kein anderer Amerikaner getragen hatte. Und Grant wußte das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen, im blutigen 11 Monate dauernden Ringen warf er den General Lee und seine Truppen nach Richmond zurück, eroberte die befestigten Linien und zwang seinen Gegner zu der berühmten Kapitulation von Appomatox-Courthouse in Virginien.

Durch diese Heldenthaten hat sich Grant unsterblichen Ruhm erworben. Wenn er auch später als Präsident der Union in der Politik weniger glücklich war, wenn dann sogar der Held zum Spekulanten wurde, so hat er seine Schuld am sorgenvollen Lebensabend schwer genug büßen müssen. Amerika ehrt jetzt nur seine Tugenden und vergißt seine Fehler, und es handelt recht so, denn es gehört der Lorbeerkranz auf den Grabhügel des Mannes, der für die Freiheit von Millionen stritt und siegte. – i.     


Frauen auf akademischem Lehrstuhle der Mathematik. Vor einiger Zeit ging die Nachricht durch die Tagesblätter: Frau Dr. Sophie Kowalewski, Privatdocentin der Mathematik an der Universität Stockholm, sei seit Kurzem „die erste Frau auf akademischem Lehrstuhle“ – und daß nach den Behauptungen der Phrenologen „den Frauen in der Regel das Organ für dieses positive, trockene und schwierige Fach fast gänzlich abgehe“. – Das ist ein Irrthum, der von dem Stockholmer Blatte „Dagens Nyhuter“ ausging. Ohne dem Ruhme der gelehrten Dame im Geringsten nahe treten zu wollen, sei hier nur an eine mäßige, immerhin aber genügende Zahl von Frauen erinnert, die auf akademischem Lehrstuhle saßen, und solche, die ein ganz ausgezeichnetes Organ für das trockene Fach der Mathematik hatten und somit den oben bezeichneten Irrthum berichtigen.

Nach dem Wiederaufblühen der Wissenschaften in Italien finden wir Maria Agnesi, die sich in der Mathematik und Philosophie in hohem Grade ausgezeichnet hat. In ihrem fünfzehnten Jahre verstand sie Französisch, Spanisch, Deutsch, Griechisch, Hebräisch; in ihrem zwanzigsten Jahre vertheidigte sie an zweihundert philosophische Thesen zu allgemeiner Verwunderung und schrieb bald darauf ein mathematisches Werk, welches so viel Aufsehen erregte, daß Papst Benedikt XIV. ihr den Lehrstuhl der Mathematik an der Universität zu Bologna zuwies, wo sie geraume Zeit mit großem Beifall lehrte.

Fast noch berühmter ist ihre Landsmännin und Zeitgenossin Laura Bassi. Sie erhielt 1732 zu Bologna in aller Form die Würde eines Doktors der Philosophie, ward von demselben Papst Benedikt XIV. zum Professor der Physik ernannt und hielt Vorlesungen, die zahlreich besucht wurden. Ihre wissenschaftlichen Studien wurden dadurch nicht beeinträchtigt, daß sie als Gattin des Arztes Verrati einem großen Hauswesen vorstand; sie war die glückliche Mutter von zwölf Söhnen, deren Erziehung sie keinem Miethlinge anvertrauen mochte. – In Padua lehrte Helene Piscopia Philosophie und verfaßte mehrere mathematische und astronomische Werke. – Ebendaselbst las Novella d’Andrea über Kirchenrecht mit großem Beifalle. Nur ein Umstand mochte die Zuhörer weniger befriedigen. Da nämlich die Frau Professorin ebenso schön wie gelehrt war, so war ihr Lehrstuhl mit einem Vorhange versehen, damit die Zuhörer durch den Anblick ihrer Schönheit nicht zerstreut werden möchten.

Von Französinnen nennen wir zunächst die Marquise du Châtelet, Voltaire’s Freundin, die mit dem deutschen Philosophen Wolff in lebhaftem Briefwechsel stand. Sie machte zuerst Newton’s System in Frankreich bekannt, und ihre Abhandlung „Ueber die Natur des Feuers“ erhielt von der Akademie der Wissenschaften den Preis. Mademoiselle Sophie Germain korrespondirte Jahre lang unter dem Namen Leblanc mit dem größten deutschen Astronomen Gauß über mathematische Gegenstände, ohne daß diesem die geringste Ahnung beikam, daß sein gelehrter vermeintlicher Freund eine Dame sei. Mademoiselle Germain erhielt auch am 8. Januar 1816 den Preis, den die französische Akademie 1809 für die beste mathematische Theorie der Chladni’schen Flächenschwingungen ausgesetzt hatte, nachdem die Aufgabe zweimal wegen ungenügender Lösung von anderen Gelehrten erneuert worden war. Der Name der schönen Blume, die im Anfange unseres Jahrhunderts aus Japan und China bei uns eingeführt wurde, erinnert an die Astronomin Hortense Lepaut, deren wissenschaftliche Verdienste französische Artigkeit dadurch ehrte, daß sie ihren Vornamen auf jene Blume übertrug. Sie war die treue Gehilfin der berühmten Astronomen Clairaut und Lalande bei den schwierigsten Rechnungen derselben.

Auch deutschen Frauen ist das Studium der Astronomie nicht fremd geblieben. Wie Frau Hevelke in Danzig ihren Gatten, so unterstützte Frau Eimmart in Nürnberg ihren Vater bei seinen astronomischen Arbeiten. Am berühmtesten ist indeß die Hannoveranerin Karoline Herschel. Sie war 31 Jahre alt, als sie 1781 ihrem Bruder Wilhelm, dem großen Astronomen, nach England folgte, um seine Mitarbeiterin zu werden, was sie 40 Jahre lang gewesen ist. Ihre Schriften sind Zeugnisse, mit welchem Eifer und Erfolg sie gearbeitet. Sie erwarb sich eine so genaue Kenntniß des Sternenhimmels, daß sie Flammstädt’s Atlas des gestirnten Himmels und den Sternkatalog nach eigenen Beobachtungen wesentlich vervollständigte. Sie entdeckte selbständig neue Kometen, unter ihnen auch den, welcher nach seinem Berechner der Enke’sche Komet heißt. Nach dem Tode des Bruders kehrte sie 1822 nach Hannover zurück. Hier war es, wo Alexander von Humboldt im Jahre 1846, als er selbst schon im 77. Altersjahre stand, die 96jährige Dame besuchte, die noch bei voller Lebenslust, nur darüber klagte, daß man aufgehört habe, sie astronomische Berechnungen machen zu lassen, da sie ohne Arbeit ungern ihre Pension beziehe. Erst zwei Jahre später, im Januar 1848, verschied sie im 98. Lebensjahre.

In neuerer Zeit, im Jahre 1847, haben zwei Frauen, Frau Rümcker in Hamburg und Mrs. Mary Mitchel in Nordamerika, gleichzeitig den 182. Kometen des Olbers’schen Verzeichnisses entdeckt. Aus unseren Tagen sei noch Signora Katharina Scarpellini erwähnt. Sie war Mitglied zahlreicher gelehrter Gesellschaften und Vorsteherin des Observatoriums der Sternwarte auf dem Kapitol in Rom. J. Loewenberg.     


Im Bodethal. (Mit Illustration S. 521.) Bädeker, der bewährte Führer, hat Recht, wenn er behauptet, daß das Bodethal der Glanzpunkt des Harzes sei und an wilder Großartigkeit nur im Hochgebirge seines Gleichen finde. Ueberall himmelanstrebende Felsenwände, grau und kalt, scheinbar ohne Ausgang. Nur das Schäumen, Kochen und Brausen der Bode unterbricht die schauervolle Einsamkeit. Aus den eisigen, bräunlichgrünen Fluthen des herrlichen Waldstroms steigen starre Klippen wie Obelisken zum Himmel empor, groteske Bildungen, die jeden Augenblick herabzustürzen drohen, die gewaltigen Trümmerhaufen zu mehren, die weithin das buschige Thal bedecken. Mächtige Rollsteine und scharfkantige Granitblöcke liegen umher, als hätten sie Berggeistern zum Spielballe gedient. Am grausigsten ist die Scenerie, wo der nach drei Seiten steil abfallende, wild zerklüftete Granitpfeiler der „Roßtrappe“ 200 Meter über der Bode emporragt, eine Riesenbastei, die von der ihr schräg gegenüber liegenden Klippenwand des „Hexentanzplatzes“ noch um 70 Meter übertroffen wird. Wenige Schritte weiter in der Felsschlucht liegt der „Bodekessel“, ein wildes, rings von 200 Meter hohen Granitmauern umschlossenes Felsenbecken, welches die brausenden Gebirgswasser, den Fuß der Klippen benagend und höhlend, ausgewaschen haben. Eine schmale Brücke, die „Teufelsbrücke“ genannt, führt in beträchtlicher Höhe über den gährenden Schlund. Bis zum Jahre 1865 war das Bodethal nur bis zu diesem Punkte gangbar. Mit ungeheuren Kosten und saurer Arbeit aber ward hier den Felsen ein Weg abgewonnen, welcher an der schäumenden Bode bald sanft ansteigend, bald bergab durch den Wald bis Treseburg führt. Eine solche Abwechselung von großartigem Ernst und lieblicher Idylle, wie sie auf diesem Wege geböten, weist der Harz nicht zum zweiten Male auf. R. C.     


Inhalt: Trudchens Heirath. Von W. Heimburg (Schluß). S. 517. – Antipoden. Illustration. S. 517. – Kulturhistorische Modebilder. 3. Die Geschichte vom Schlapphut und vom Cylinder. Von Karl Braun-Wiesbaden. S. 520. – Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit. S. 523. Mit Abbildungen S. 524. – Unruhige Gäste. Ein Roman aus der Gesellschaft. Von Wilhelm Raabe (Fortsetzung). S. 525. – Briefe aus einem Weltbade. Von Paul von Schönthan. II. S. 528. Mit Illustrationen S. 528 und 529. – Die Deutschen in Australien. Von E. Jung. S. 530. – Blätter und Blüthen: Ulysses Grant †. S. 532. – Frauen auf akademischem Lehrstuhle der Mathematik. Von J. Loewenberg. S. 532. – Im Bodethal. S. 532. Mit Illustration S. 521. –


Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
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