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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Jetzt ist das „Geschäft“ ganz in den Händen irgend eines Juden, welcher nahe der Grenze einen Krug besitzt, Verträge mit den Kaufleuten abschließt, die Schmuggler besoldet und für Alles aufkommt. Seine Verbindungen auf russischer Seite reichen oft bis zu unnahbaren Höhen.

Ein gewöhnliches Mittel, um die Grenzwächter zu täuschen, ist, daß man eines der längs der Grenze aufgestellten Alarmsignale anzündet. Während die Russen demselben folgen, ziehen die Schmuggler an einer andern Stelle über die entblößte Grenze. Wird die Schmugglerbande betroffen – oft angezeigt von diesseitigen Konkurrenten – so entsteht eine förmliche Schlacht, in welcher die Russen nicht selten unterliegen.

Auch mit einer besonders raffinirten Schlauheit wird operirt. Handelt es sich z. B. darum, einen Ballen feiner Lederhandschuhe über die Grenze zu schaffen, so verpackt man die für die linke und rechte Hand bestimmten in besondere Ballen und bringt sie an verschiedenen Stellen über die Grenze. Wird ein Ballen beschlagen, so kauft ein Eingeweihter die so gut wie werthlose Waare auf und vereinigt später beiderlei Handschuhe zu richtigen Paaren.

Wahrhaftig, was will der „vielgewandte“ Odysseus gegen die Schlauheit dieser Schmuggler sagen, deren Klugheit und Pfiffigkeit alles Aehnliche in den Schatten stellt!

In neuerer Zeit hat sich der Spieß gleichsam umgedreht. Deutschland hat seine Grenze gegen die Einfuhr von Rindvieh und anderen Thieren gesperrt, um das Einschleppen der Rinderpest zu verhüten. Statt Manufakturwaaren nach Rußland hinein schmuggelt man jetzt Vieh aus Rußland hinaus.

Man kann in Memel in kein Geschäft treten, keinen Schritt in seine Umgebung thun, ohne von der russischen Zollgrenze zu hören oder doch an sie zu denken; darum gehört sie auch in ein Bild von Memel hinein. Im Westen hingegen liegt Alles frei und offen da, wogt ernst die See, ziehen die hochbordigen Schiffe aus und ein und füllen ihren Hohlraum mit unzähligen Stäben, Balken, „Wagschoß“ und andern zugerichteten Hölzern, deren Bestimmungsort meist England, oft direkt Australien oder Südamerika ist.

Wie eine große weiße Schlange dehnt sich drüben das schmale Dünenband der Nehrung hin, dessen Strand auch auf unserem Bilde rechts angedeutet ist; eine höchst eigenthümliche Welt des Sandes, in welcher die Dünen bis sechzig Meter Höhe aufragen, immer nach Osten weiter wandern und sich zuletzt in das Haff stürzen („ersäufen“ nennen es die Fischer); wo das Leben todt und der Tod lebendig ist, am Ufer des Haffs aber der goldene Bernstein liegt und von großen Dampfbaggern herauf geholt wird. Nachts leuchtet auch diesen Arbeiten elektrisches Glühlicht.

Wir können auch vom Leuchtturm weiter nach Norden durch die Plantage wandern, wo beim sogenannten Försterhäuschen die Memeler reizende Villen erbaut haben und der flache, sandige Seestrand zum Baden einladet, im Norden aber die „Holländer Mütze“, eine dunkle Waldhöhe, eine weithin sichtbare Schiffermarke bildet.

Eine noch reichere geistige Bewegung findet der Wanderer in dem schattigen Tauerlauken an der Danje, wo einst die preußische Königsfamilie, in den äußersten Winkel der Monarchie zurückgedrängt, Uebermenschliches erduldete und wo die lichte Gestalt der Königin Louise vor unsere Blicke tritt. Wir kehren in Gedanken „mit den Majestäten“ auf der träumerischen, von Weißerlen beschatteten Danje nach Memel zurück und erinnern uns der weitern interessanten Mittheilungen der Gräfin Voß aus jener Zeit, welche bei den jeux d’esprit den esprit vermißte, sich über die jüngern Hofdamen ärgerte und den Lärm der lauten Kinder nicht zu dämpfen vermochte, da die Königin, trotz ihres Leidens, die Kinder immer in ihrer Nähe haben wollte. Diese jungen Prinzen benahmen sich aber auch ganz wie andere Kinder, tanzten, musicirten, fuhren Schlitten und brieten Kartoffeln in der Asche.

Und vielleicht weiß Mancher es nicht, daß eines dieser Kinder der deutsche Kaiser ist.


Seelenideale der Naturvölker.

Ein Rundblick von P. K. Rosegger.

Wie poetisch gegenüber mancher Heuchelei der Halbkultur ist der dem Herzblute entsprungene Gottes- und Seelenglaube bei den Naturvölkern! Ein eben im Erscheinen begriffenes, höchst interessantes Werk: „Kritische Geschichte der Ideale“ von Dr. Adalbert Svoboda (Leipzig, Th. Grieben), lenkt unseren Blick in das religiöse Seelenleben der Natur- und Urvölker; wir begegnen in demselben freilich den wunderlichsten Dingen, die aber für uns bisweilen nicht allein höchst ergötzlich, sondern auch lehrreich und zur Kenntniß der menschlichen Natur wichtig sind.

Naturvölker fassen die Erscheinungen des Lebens in naiver Weise auf, sie unterscheiden die Welt in eine körperliche und in eine geistige. Warum aber auch in eine geistige? Zur Genugthuung, daß die körperliche Welt so hart und trostlos ist, schaffen sie sich die geistige, die ideale nach ihrem Sinne, nach ihren Neigungen und Bedürfnissen.

Diese ideale Welt ist zwar nicht möglich, aber sie ist da, sie wird vorgestellt, darum ist sie; sie wirkt in der Einbildung, als ob sie wäre, sie hat also für ihre Schöpfer und Träger einen realen Werth.

Dem Naturmenschen ist nichts widerlicher als der Tod, er will ewig leben, darum erschuf er sich eine unsterbliche Seele. Und die Natur – als ob sie ganz damit einverstanden wäre – kommt ihm auf halbem Wege entgegen, sie führt ihm heute im Traume Personen lebendig vor, die gestern begraben worden sind. Es giebt Leute, welche ihre Verstorbenen nur dann für wirklich todt halten, wenn sie ihnen im Traume nicht mehr erscheinen. Andere glauben, die im Schlafe erscheinenden Verstorbenen seien noch erlösungsbedürftig und wären erst dann in die ewige Seligkeit eingegangen, wenn sie sich bei ihren Bekannten nicht mehr „anmelden“. In den Alpenländern ist der Glaube an Geistererscheinungen noch viel verbreitet. Die Geister erscheinen nicht allein in menschlicher Gestalt, sondern melden sich in schwarzen Hunden und Katzen, in Vögeln, schwebenden Lichtern, im Aechzen, Wimmern und Gepolter etc. Die geängstigten Seher und Hörer suchen durch Gebete, Beschwörungsformeln und gute Vorsätze den Geist zu beruhigen, glauben aber, daß nach Anmeldung eines Todten in der Gegend bald Jemand sterben müsse.

Dr. Svoboda erzählt von niedrigen Rassen, welche den Glauben hegen, einer lebenden Person, von der man träumt, sei die Seele davon- und dem Träumenden zugeflattert. Turanische Zauberer pflegen sich bisweilen halb zu betäuben, um ihrer Seele einen Flug in das Land der Geister zu ermöglichen, wo sie dann überirdische Herrlichkeiten schauen und kostbare Mittheilungen empfangen. Doch hat dieser Gebrauch der Seele – wie so oft – mehr eine geschäftliche, als eine ideale Seite. Bei anderen Stämmen flieht während des Schlafes, einer Krankheit oder im Wahnsinn die Seele aus dem Körper. Da müssen Priester und Zauberer herbei, um die verlorenen Seelen zu suchen und heimzutreiben. Manche solcher verlaufenen Seelen finden aber den Rückweg nicht. Das erinnert mich an eine Anschauung in Steiermark. Wenn man dort einen Schmetterling flattern sieht, so heißt es: „Eine Schneiderseel’! Die muß man fangen und anblasen, sonst wird ein irgendwo schlafender Schneider nicht mehr wach.“

In einzelnen Gegenden Mitteleuropas sollen, wenn in einem Hause Jemand gestorben ist, sofort die Bäume und Sträucher der nächsten Umgebung geschüttelt werden, um die Seele, die sich etwa darauf gesetzt hätte, wieder zurückzuscheuchen. Vor einiger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_555.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2024)