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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Unruhige Gäste.

Ein Roman aus der Gesellschaft.
Von Wilhelm Raabe.
(Fortsetzung.)
16.

Es war ziemlich spät in den Abend hinein als Valerie wieder bei den – Ihrigen anlangte. Noch einmal hielt sie in der lauen, doch frischen und wohligen Luft der Höhen, in der tiefen Dunkelheit unter den Tannen des letzten Bergabhanges ihr Thier an auf dem Reitpfade, leise fröstelnd sich zusammenziehend vor dem schon bis hierher aufwärts hallenden Lärme des Thales. Auch die Lichter aus den hohen Fenstern der Säle, die Lichter von den Villen und Ortshäusern leuchteten bis hierher zu ihr auf. Bunte Lampen glänzten aus den Gartenanlagen und Baumgärten, und rothe, grüne und blaue phantastische Feuerwerkskünste erhellten hier und da auf kurze Augenblicke einen Fleck in der Finsterniß. Die große Fontaine trieb fort und fort ihre weiße Säule empor, hoch über die Baumwipfel vor dem Kurhause, und ihr Rauschen war ebenso deutlich zu vernehmen wie die Töne der musikalischen Abendunterhaltung, zu der man „Fräulein Tochter sicher zurück erwarten durfte“, wie Papa am Morgen aus „sicherster Quelle“ erfahren hatte.

Das müde Thier unter der Reiterin rührte sich kaum, auch Valerie saß jetzt regungslos im Sattel, den Ellbogen auf dem Knie, das Kinn mit der Hand stützend.

„Suche Dich zu besinnen!“ murmelte sie. „Wie sie das sagte da oben in ihrer Stille und Herzensruhe – in ihrer harten Sicherheit! Und ich soll zu ihm nicht weiter reden darüber, wie wir über ihn verhandelten?! Das ist nun ihre Meinung und Kenntniß von uns armem Volke! uns hastigen Schwätzern und nervösen Lärmmachern?! Wie sie jetzt im Frieden ihres Gottes sitzen und lächeln wird, nachdem sie sich mit Ruhe ausgeweint hat – wie sie in dem Herrn Mitleid haben wird mit der Welt Fratzen und Aufbegehren – mit der eifersüchtigen, neidischen, schelsüchtigen Thörin – mit dem Kinde, das nach der Tischecke schlug – mit mir! Besinnung, Besinnung! Wie ich sie hasse für den Ton, mit dem sie das Wort aussprach! Ja, was für ein Gesicht er wohl machen würde, wenn ich in einer halben Stunde Besinnung genug wieder gewonnen haben werde, ihm unter den Anderen die Sottise dieses Tages mit Lachen vor die Füße zu schieben? … Vorwärts, Beppo!“

Der Eselstoffel verstand das Wort trotz der Verwechselung seiner Persönlichkeit mit der eines Führers auf südlicheren Bergpfaden sofort.

„Dann weiter, Murjahn,“ brummte er, in seinem dicken Kopfe überlegend, daß er noch nie ein so kurioses Frauenzimmer, wie dieses, so einen Tag über, so über Stock und Stein, durch Wald und Bruch, durch Dick und Dünn habe vor Schaden bewahren müssen – zugleich das Trinkgeld nach der Kuriosität und seinem Verdienst, wie nach der Geduld seines Thieres abmessend und berechnend. „Verrückt sind sie meistens Alle,“ brummte der Eselstoffel, seinerseits die Albernheit dieses Tages in seiner verständigen Seele erwägend, „aber dies war doch die Tollste, die jemalen dem Murjahn und mir aufgesessen ist. Lacht sie oder weint sie, ist sie lustig oder wüthend und giftig, will sie einen Thaler herausholen oder euch mit der Gerte zwischen die Ohren oder um den Buckel hauen, das kriege Einer ’raus. Hört sie auf das hin, was Du ihr über Ortsangelegenheiten berichtest, oder thut sie ihre dummen Fragen nur, um Dich zum Besten zu haben, – der Teufel werde klug daraus. Ja, so sind sie, diese Vornehmen! Unklug sind sie Alle, und bringen die Einen es hier schon mit her, so werden die Andern es hier von unserer gesunden Luft und berühmtem Wasser, und wenn diesejenige es nicht schon lange in ihrer Heimath gewesen ist, so ist sie’s heute hier geworden. Mein Je, nur ihr Verkehr mit dem Fuchsbau im Schneebruch! Na, so soll sie mir aber nicht kommen wollen wie dem Räkel, dem sie nicht ’mal ’nen blutigen Groschen für seine Einladung zu seiner Köhlersuppe geboten hat. Mir soll sie schon ’ran für gute Führung und höfliche Unterhaltung. Mir soll sie schon den Geldbeutel ziehen, und nachher – adje, Fräulein, und schicken Sie mir bald eine Andere von Ihrer Sorte! So, und da sind wir ja wohl wieder ’mal zu Hause, Murjahn. Dir kann’s ja auch wohl egal sein, wer Dir morgen aufhuckt, wenn sie’s nur mit dem Gewicht nicht zu unmenschlich an sich haben.“

Sie hielten nun wieder auf dem Promenadenplatze an dem großen Springbrunnen, und der Knabe vom Berge mußte, seinem Grinsen im Schein der nächsten Laterne nach zu urtheilen, doch einigen Grund haben, mit seinem Honorar in der Hand einen Luftsprung zu thun. Er bezwang sich jedoch, wünschte mit stoischer Verdrossenheit eine wohlzuschlafende Nacht und meinte in seiner menschen- und weltverständigen Seele:

„Nur nicht diesem Volke zeigen, wenn man mit ihm ausnahmsweise zufrieden sein kann. Nichts wird leichter zäher und hartnäckiger und kommt einem armen Menschen infamigter mit der verfluchten Badetaxe vom Bahnhof an bis auf die weiteste schöne Aussicht, als wie die abgefeimte Bande!“ –

„Mein Gott, da ist sie ja!“

„Aber Kind, wo hast Du wieder einmal gesteckt?“

„Gnädigste, wie können Sie dieses verantworten? Totale Sonnenfinsterniß den ganzen Tag über. Allgemeines Trauern in Sack und Asche. Alles ein einziger Schrei nach Licht – unserem Licht, gnädigstes Fräulein!“

„Valerie, wo blieb unser Vertrag? Der Ritter ging umher mit Deinem Handschuh am Helm; aber die Dame hatte ihn diesmal durchaus nicht nöthig gehabt auf ihren Pfaden – wo bist Du gewesen, Cousine?“

„Wo die Welt mit Brettern vernagelt war, lieber Vetter. Selbst Du würdest mir wahrscheinlich dort nicht hindurch und weiter geholfen haben. Was ein harter Kopf vor solcher Wand auszurichten vermag, habe ich selber versucht, und ohne den geringsten Erfolg. Hast Dich aber mit der Rose da in Deinem Knopfloch wohl rasch getröstet, mein Tapferer. Alice wird den Busch wohl kennen, von welchem sie gerupft worden ist. Nun aber, Kinder, liebe Leute, bester Papa, ja, ich bin abwesend gewesen im Körper, und vielleicht auch ein wenig im Geiste, und nun bin ich wieder da, wieder unter Euch, und freue mich, Euch alle so vergnüglich wieder zu sehen, wieder zu finden. Natürlich nichts von Bedeutung vorgefallen während meiner – Abwesenheit, absence – demence?! Onkel Anton, Du bist ein Bibelkundiger; – was bedeutet: Und er macht sie irre auf einem Unwege, da kein Weg ist!? Das Wort soll im Buche Hiob stehen und ist mir heute dort oben in der Wildniß citirt worden; aber ich frage Dich wirklich besser danach, wenn wir Zwei einmal mit einander allein sein werden. Also, Ihr Anderen, nichts Neues unter uns Verständigen?“

„Neues? Vollkommene Oede, Wüste, Leere um uns her. Sämmtliche Fähigkeit, auf das Chaos, die Welt Achtung zu geben, erloschen mit der Verfinsterung der Sonne – unserer Sonne! O Fräulein Valerie, wie konnten Sie so sein? Einer aus unserem Kreise scheint unserem allgemeinen Schicksale ganz speciell gänzlich zum Opfer gefallen zu sein. Nun, Doktor, wie geht es Ihrem Patienten?“

Doktor Hanff, der soeben auf der Terrasse vor dem Kurhause in den Lichtschein, den Geigen- und Flötenklang der musikalischen Soirée und in die Unterhaltung eingetreten war, machte ein Gesicht, welches diesmal nicht völlig zu der Heiterkeit des Kreises paßte. Er zog auch die Schultern ein wenig in die Höhe, als er sagte:

„Ich darf leider den Herrschaften nicht verhehlen. daß mir der Zustand des verehrten Herrn einige Sorge macht. Nun, die erste Diagnose kann so aber nicht maßgebend sein für den Verlauf der Sache. Wir werden eben morgen weiter suchen müssen. Das Fieber ist freilich ziemlich hochgradig. Nun, wie gesagt, ich bitte Excellenz, den Zufall wenigstens nicht sofort von der bedenklichen Seite anzusehen.“

Das Auge Valeriens flog mit dunkler angsthafter Gluth im Kreise ihrer Freunde, Verwandten und Reisegefährten umher.

„Ist Jemand erkrankt?“ fragte sie leise, scheu, mit stockendem Athem.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_558.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)