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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

die übrigen Herrschaften vollkommen farbenblind, mit dem Lächeln halb der Rathlosigkeit, halb des Stumpfsinns um sie herum! Ja, hat auch mit fortgemußt, und diesmal ist an ihr die Reihe gewesen, in rathloser Betäubung am Arme des guten Onkels Toby, oder Antonio oder wie sie ihn sonst zu beliebnamen pflegte, beim Einsteigen in den Wagen zu lächeln. Und Sie, Phöbe, läßt sie ganz besonders grüßen – schade, daß ich Ihnen ihr Gesicht nicht dazu mit herauf bringen konnte. Was Sie so ganz speciell mit ihr gehabt haben während ihrer Visite hier oben, wird Ihre Sache bleiben, Fräulein Hahnemeyer. Aber sie hat jedenfalls sich genaue Auskunft holen wollen, wo Professor Bielow im Busch herumgekrochen ist, ehe er sich dem geselligen Flug drüben bei uns wieder anschloß. Also die Dame hat Ihnen recht herzlich mißfallen, Pastore?“

„Sie kam laut, lärmend, geschwätzig – ich kenne sie jedoch nicht weiter und habe sie meiner Schwester gelassen. Phöbe aber will auch wohl die Welt nur in der Farbe sehen, die ihr der Schöpfer von Anbeginn gegeben hat. Wir haben nachher wenig mehr von ihr geredet unter uns. Willst Du dem Doktor sagen, was das Fräulein bei uns, oder sogar im Besonderen bei Dir gesucht hat, Kind?“

„Sie kam, unsern Kirchhof sich von mir zeigen zu lassen – das Grab der armen Anna Fuchs,“ sagte Phöbe Hahnemeyer kaum vernehmbar; und sehr anzuerkennen war’s, daß Landphysikus Doktor Hanff nicht einen langen verständnißvollen Pfiff lautbar werden ließ, sondern ihn nur nach inwendig that; ebenso wie er das Wort: „Meines Patienten Kapitalanlage in liegenden Gründen!“ bei sich behielt.

„Unsern Kirchhof? Das Grab der verstorbenen Frau Fuchs?“ fragte Prudens.

„Die Aussicht von dort ist überraschend, was Sie vielleicht noch nicht einmal bemerkt haben, Pastor,“ sagte Doktor Hanff. „Ich habe es schon häufig für eine angenehme Pflicht gegen Ihre Gemeinde gehalten, meine Leutchen da unten hierauf aufmerksam zu machen.“

„Ich weiß gerade nicht, ob ich Ihnen dafür zu Dank verpflichtet bin,“ murrte Pastor Hahnemeyer. „Uebrigens machte mir jene Dame nicht den Eindruck, als ob sie nur der schönen Aussicht wegen zu uns gekommen sei. Phöbe, Du warst den Abend verstört und unruhig; es fällt mir jetzt nachträglich recht auf. Weßhalb läßt sie Dich im Besondern grüßen? Was hat sie mit Dir gehabt? was hat sie von uns gewollt?“

Bleich, zitternd hatte sich die Schwester aus Halah von der Bank erhoben. Sie ging zu ihrem Bruder und faßte ihn in die Arme, als wolle sie Schutz bei ihm suchen.

„Ich weiß es nicht – ich weiß es – sie wollte das Grab der Fee sehen und den Platz, den Dein Freund für mich und – für sich gekauft hat, um den armen Volkmar Fuchs zu zwingen, sich nicht länger im Zorn gegen uns zu wehren. O, laß uns aber hiervon erst später reden! Er liegt nun krank wie die Anna, und – sie sind Alle, Alle von ihm gegangen und haben ihn allein in seiner Noth gelassen, allein in der Fremde! Auch die, welche kam, um mich zu suchen, um mir Vorwürfe zu machen, ist von ihm gegangen, und ich weiß nicht, wie Gott mir helfen wird!“ …

Wenn je Einer mit sich unzufrieden und rathlos in einem wackern Herzen, auf einem Doktorgaul den Weg zu Thal geritten war, so war’s an jenem Tage Landphysikus Doktor Hanff. Und wenn je Einer rathlos in seiner Seele auf dem zersprungenen Gipsfußboden der Studirstube so vieler Pfarrer des Bergdorfes hin und her geschritten war, so war das der gegenwärtige Pastor und unruhige Gast des Hauses, Prudens Hahnemeyer. Aber Spörenwagen hat am Abend des Tages längere Zeit einen lieben Besuch in seiner Werkstatt bei sich gehabt, und nachdem er denselben in der Dämmerung bis ans Dorf zurück begleitet hatte, hat er noch lange mit untergeschlagenen Armen an seiner Hobelbank gelehnt und zuletzt kopfschüttelnd gemeint:

„Sie hat sich von mir wegen ihrer Verpflichtungen auf der Erde und gegen die Welt Raths holen wollen! Sie!“ …

(Fortsetzung folgt.)

Vor der Eroberung des Goldlandes Peru.

(Mit Illustration S. 561.)

Karl V., in dessen Reich die Sonne niemals unterging, stand eben auf der Höhe seines Ruhmes. Die Schlacht bei Pavia war geschlagen, Frankreich zu Boden geworfen und der ritterliche Franz I. Karl’s Gefangener. Auch Italien mußte sich vor den siegreichen Waffen des spanischen Herrschers beugen, auf dessen Haupt sich Kronen unermeßlicher Reiche vereinigten. Er stand eben im Begriff, sich zum deutschen Kaiser krönen zu lassen, als Ferdinand Cortez ihm das Scepter des alten Aztekenreiches zu Füßen legte und in Sevilla ein Mann landete, der die in der Neuen Welt bereits eroberte Beute zu verzehnfachen und in den Ruhmeskranz Spaniens frische Lorbeerzweige zu winden gedachte.

Dieser Mann war allerdings ein Abenteurer schlimmster Sorte, dessen Vergangenheit mehr dunkle Flecke als lichte Strahlen aufwies. In Sevilla wußte man noch ganz genau, daß Franz Pizarro in seiner Jugend Schweinehirt gewesen – und dazu ein schlechter, der seinem Herrn davonlief. Dann war er gemeiner Söldner in dem nach Italien abgesandten Heere und ward nach Jahren nach Sevilla verschlagen, von wo er, der unersättlichen Lust nach Abenteuern folgend, sich nach der Neuen Welt einschiffte. Was er dort gethan und geleistet, das war noch in unklares Dunkel gehüllt; gewiß aber soll er geraubt und geplündert haben für Drei. Dieser Mann setzte jetzt den Fuß auf den spanischen Boden, um in grenzenloser Vermessenheit den König selbst von Angesicht zu Angesicht zu schauen! Brachte er etwa große Schätze mit, welche der Krone Spaniens stets willkommen waren? Er sah danach nicht aus, aber seine Schulden aus alter Zeit hatte er in Sevilla nicht bezahlt, und so machte man mit dem Angekommenen kurzen Proceß und warf ihn ins Gefängniß.

Doch da kamen Boten des Königs, die ihn frei ließen und nach Toledo, wo der Hof gerade versammelt war, beorderten. Die amtlichen Nachrichten über Pizarro lauteten doch günstiger als sein Ruf, den der Volksmund verbreitete. Oft, bei wichtigen Anlässen war sein Name in den Berichten der Statthalter von Darien, der aufblühenden spanischen Kolonie an der Landenge von Panama, erwähnt worden. Er war Einer jener berühmten Spanier, die von der Spitze eines Hügels zum ersten Mal die unendlichen Wogen des Stillen Oceans mit ihren erstaunten Blicken maßen und mit ihrem Heldenführer Balboa das erste Te deum im Angesicht des neuentdeckten Weltmeeres sangen. In den Kriegs- und Raubzügen gegen die Küstenindianer hatte er sich oft hervorgethan, ein tüchtiger und unermüdlicher Fußgänger, wußte er tagelang die Spur des Feindes im Urwald zu verfolgen und ruhte nicht eher, bis er sein Ziel erreichte. Auch war er mitgewesen auf jenen Schiffen, die jenseit der Neuen Welt die unbekannten Fluthen mit ihrem Kiel theilten, um, gegen den Süden steuernd, das Goldland zu entdecken. Sechs Sonnen von Darien entfernt, so erzählten die Indianer, liege das Land, in dem das Gold wachse und in dem die Mächtigen in großen Palästen wohnen, nur von goldenen und silbernen Schüsseln essen und riesenhafte aus reinem Golde geschmiedete Götterbilder anbeten! Seit der Entdeckung und Eroberung von Mexiko schenkte man solchen Berichten den vollsten Glauben und wartete ungeduldig auf die erste Kunde von der Entdeckung dieses „Goldlandes“ – und die Kunde kam, und Pizarro war der glückliche Pfadfinder: er hatte, wenn auch vorerst aus der Ferne, das gelobte Land der spanischen Abenteurer geschaut. In Anbetracht solcher Verdienste vergaß ihm der Kaiser seine Vergangenheit und gewährte ihm die Gnade einer Audienz.

Welch ein Gegensatz tritt uns in diesen beiden Männern entgegen! Kaiser Karl V., ein hervorragender Staatsmann, der sich mit weitgehenden Plänen befaßt und das Errungene auszubauen und zu erhalten trachtet; Franz Pizarro, ein gleichfalls weithinaus schauender Geist, der jedoch nur Raubzüge plant und Zerstörung brütet. Kaiser Karl, der, von tiefer Religiosität erfüllt, in schönen Künsten und Wissenschaften Erholung sucht und im späten Alter die Geschichte seines großen Lebens niederschreibt; – Pizarro, ein blinder Fanatiker, der nicht einmal seinen Namenszug schreiben gelernt und unter wichtige Aktenstücke elende Krakelfüße setzt!

Und doch wußte Pizarro in den Prunkgemächern des Schlosses zu Toledo, ein geschickter Anwalt seiner Sache, Karl V. so zu rühren, daß der Kaiser Thränen vergoß und auf die Pläne des Emporkömmlings bereitwillig einging. In jener Audienz legte der ehrgeizige Abenteurer den Grundstein, auf dem er sein späteres Wirken aufbaute und jene Geschichte der Eroberung und Vernichtung Perus einleitete, die mit Recht eine teuflische Tragödie im Paradiese genannt wurde.

In der spanischen Kolonie Darien, so etwa lautete der Bericht Pizarro’s, faßte er mit zwei anderen Männern den Plan, das Goldland Peru zu entdecken und für seinen König zu erobern. Almagro, ein Mann ebenfalls dunkler Herkunft, aber kriegerischen und ehrgeizigen Geistes, und Pater Luque, ein in Geschäftssachen bewanderter und vermögender Geistlicher, waren seine Genossen. Alle Drei leisteten den Schwur auf ihr Bündniß und nahmen die dreifach getheilte Hostie, daß sie einander treu beistehen und Mühen und Gewinn redlich theilen wollten.

Um die Mitte November 1524 lichtete das Schiff Pizarro’s im Hafen von Panama die Anker und steuerte nach dem geheimnißvollen Süden. Der Stille Ocean strafte sich selbst Lügen; Stürme folgten auf Stürme, und nur mit unendlicher Mühe, unter fortwährender Lebensgefahr gelang es den Schiffern, das Kap de Piñas, den südlichsten damals bekannten Küstenpunkt, zu umschiffen. Neue Küstenstrecken tauchten auf, aber jeder Landungsversuch brachte Pizarro nur bittere Enttäuschung. Nirgends ein Zeichen der Kultur, überall dichte, sumpfige Wälder, in denen Fiebermiasmen brüteten und unzählige Mückenschwärme hausten! Endlich nach

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