Seite:Die Gartenlaube (1885) 564.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Weg aber mit diesen verhängnißvollen Recepten allen! Mag immerhin mancher andere harmlose Aberglaube des Volkes entschuldigt werden durch eine gewisse Poesie, die er in unser nüchternes, allzu verständiges Leben bringt: aber wo er in das Gebiet der Küche und unserer Ernährung noch immer sich hineindrängt, da muß er rücksichtslos vernichtet werden, als ein Feind des Leibes und Lebens.

Woran soll aber die vorsorgliche Hausfrau erkennen, ob Pilze giftig sind? Nun, da alle Recepte hinfällig geworden sind, freut sie sich wohl, wenn ein gelehrter Naturfreund sie einmal auf die Farbe der frischen Pilze aufmerksam macht und ihr den Rath giebt: „Koche keine grellfarbigen, also keine rothen, blauen, violetten Pilze, denn diese sind giftig!“ Thöricht aber auch das! Diese Meinung stimmt wohl zu dem rothen Fliegenschwamm und den meisten giftigen Täublingen, aber man könnte sich dabei doch an manchen auch schlichtfarbigen Giftpilzen den Tod essen.

Ebenso unzuverlässig sind die oft angepriesenen Merkmale des Wohlgeruchs und Wohlgeschmacks. Giebt es aber kein Mittel, durch welches der Giftstoff im rohen oder gekochten Zustande offenbar wird? Wir müssen entschieden antworten: Nein! Wer dennoch auf ein solches vertrauen wollte, würde stets der größten Gefahr ausgesetzt sein und könnte seinen Küchenaberglauben mit schwerem Leide büßen.

Wollen wir darum die Pilze gänzlich als Speise verwerfen? Auch darauf wiederum wird jeder Verständige mit Nein! antworten. Man möge sich nur bemühen, die eßbaren Sorten selbst kennen zu lernen, und das dürfte eine angenehme Aufgabe der vielen Hausfrauen sein, in deren Haushalte die Pilze ein beliebtes und häufiges Gericht bilden. Wald und Feld locken ja überall ins Freie, und ein Spaziergang ins Grüne wird unterhaltender, wenn Frauenhand eine Blume, einen Feld- und Waldstrauß am Wege gepflückt. Im Spätsommer und Herbst scheiden die letzten Blumen aus Wald und Aue dahin, aber nun tritt die bunte Schaar der Pilze auf. Warum nun nicht diese anstatt der Blumen pflücken und sie bewundern, da in der That kein einziger Pilz so giftig ist, daß man ihn gar nicht anfassen dürfte; warum sie nicht auch einmal mit heimnehmen, um mit Hilfe eines kundigen Freundes oder unter Anleitung eines praktischen Buches auch die besonderen Merkmale der verschiedenen Sorten kennen zu lernen? Warum sollte man sie nicht kennen und unterscheiden lernen wollen mit derselben Klarheit, wie man die Rosen, die Lilien, Veilchen und die Vergißmeinnicht von einander unterscheiden lernte? Bei einiger Aufmerksamkeit auf ihre Eigenthümlichkeiten sind die mannigfachen Pilzsorten in der That fast ebenso verschieden und leicht wieder zu erkennen wie eine jede Blume des Gartens, die schon das Kindesauge sicher unterscheidet. Jeder eßbare Pilz hat wirklich so viel Charakter in seiner äußern Tracht, daß er nur einmal genau erkannt zu werden braucht, um stets sicher wieder erkannt zu werden. Verfasser dieser Zeilen hat vor wenigen Jahren selber ein kleines Büchlein: „Praktisches Pilzbuch für Jedermann, in Fragen und Antworten“ zu Nutz und Frommen lernbegieriger Frauen verfaßt und nicht nur manchen Dank dafür geerntet, sondern auch oftmals vernommen: es sei eine gar reizende Beschäftigung auf Spaziergängen, die Pilze, gleich wie die Blumen, zu beachten und kennen zu lernen und dann mit mancher edlen Sorte ohne Angst und Bangigkeit das im Herbst blumenleere Körbchen zu füllen. Welche Freude, wenn die Sammlerin einen neuen Pilz findet, den sie vordem nicht beachtete, und der sich als eßbar und vielleicht als ganz besonders delikat erweist!

Im Laufe der Zeit wird die Zahl der bekannten Arten ganz erheblich wachsen, denn 15 bis 20 Sorten dürften in jeder Gegend sich auffinden lassen, welche eßbar sind und zugleich durch ihre Menge das Sammeln auch lohnen. Jedes Jahr vermehren so die Waldspaziergänge das Wissen. Die Hausfrau fragt dann nicht mehr nach jenen geheimen Mitteln, welche vordem in Geltung wären; das praktische Wissen machte sie auch frei von dem Küchenaberglauben.


Blätter und Blüthen.

Der Mensch als Schwan. Herr J. Friedrich in Breslau, der Erfinder des nebenstehend abgebildeten Land- und Wasservelocipeds, hat sicherlich Recht, wenn er meint, der Anblick eines Menschen, welcher im Schweiße seines Angesichts die Kurbel eines Velocipeds tritt, sei gerade nicht sehr anmuthig, und es möchte daher ein ästhetisches Bedürfniß sein, dem Zuschauer die Arbeit möglichst zu verbergen, den „Radfahrer“ etwas poetisch aufzustutzen.

Land- und Wasservelociped.

Eine poetischere Gestalt als der Schwan giebt es aber kaum, und so verlieh der Erfinder seinem Gefährt die Gestalt dieser Zierde unserer Gewässer, sowie auch nebenbei die Fähigkeit, sich zu Wasser und zu Lande zu bewegen.

Wie aus der Abbildung ersichtlich, sitzt der Schwan-Velocipedist zwischen den etwas ausgebreiteten Flügeln seines Vogels, den er mit Hilfe der Schnüre lenkt, welche an einem nachgeahmten Baumzweig im Schnabel des Schwanes befestigt sind. Mit den Füßen aber tritt er in gewohnter Weise ein Rad und versetzt damit zwei Schaufelräder in Drehung, welche die Fortbewegung des Gefährts bewirken. So lange der Schwan im Wasser schwimmt, ruht das Ganze auf drei starken scheibenförmigen Gummibällen, die eine Tragkraft von 150 Kilogramm besitzen.

Wie fängt es aber der Schwanfahrer an, wenn er der Abwechselung halber das nasse Element verlassen und sich einmal auf festem Boden ergehen will? Nun, eine eigene Vorrichtung ermöglicht es, die Schaufelräder auszuschalten und das Trittrad mit den drei Gummibällen zu verbinden, welche alsdann die Rolle der Räder bei den gewöhnlichen Tricycles übernehmen.

Das Friedrich’sche Schwan-Velociped erscheint gegen die sonstigen Wasservelocipede der breiten Basis wegen etwas stabiler und dürfte nicht so leicht kentern, wie seine Vorgänger. Aber der Preis? Ein solcher Blechschwan mit den vielen Rädern und den starken Gummibällen dürfte leider nicht ganz billig sein. G. van Muyden.     


Ciociara. (Mit Illustration S. 557.) Wie die nationalen Charaktereigenthümlichkeiten im großen Weltverkehr sich mehr und mehr abschleifen und verwischen, so verschwinden auch die charakteristischen Nationaltrachten und machen der nivellirenden Herrschaft der Mode Platz, bei den beweglichen, für äußere Eindrücke empfänglichen Italienern noch mehr, als unter den zäheren germanischen Rassen. Vergebens sucht heute das Auge des Fremden die große Heerstraße der Touristen entlang nach jenem malerischen Schnitte, nach jenen brennenden Farben, die früher so gut zu dem blauen Himmel und dem satten Kolorit der Landschaft stimmten. Die reizenden oberitalienischen Kostüme fristen nur noch in weltabgeschiedenen Dörfern ein kärgliches Dasein und werden höchstens bei Karnevalsfesten in den Städten sichtbar. Nur die südlichen Provinzen wie Neapel und Calabrien, die von der modernen Kultur noch nicht so gründlich beleckt sind, haben sich das Vorrecht einer künstlerisch-schönen Tracht bewahrt.

Am besten jedoch hat sich die alte Tradition bei den „Ciociaren“ (Bauern aus der Umgegend von Rom) erhalten, denn ihre Mädchen tragen noch alle den malerisch geschürzten Rock, die buntgewirkte Schürze, das farbige Mieder, das anmuthige, glatt auf den Kopf gelegte Tuch und die breit geschnäbelten Schuhe, welche die kleine Italienerin unserer Abbildung schmücken – die Männer dagegen jene zottigen Beinkleider von Ziegenfell, die ihnen ein faunenartiges Aussehen geben, den großen, spitzigen schwarzen Filzhut auf dem struppigen Haar, die kurze, offene Jacke über der rauhen Brust. So kommen sie aus der Campagna, von den Bergen herunter nach der Ewigen Stadt – liebliche und abenteuerliche Gestalten – und lungern Tage lang auf der „Spanischen Treppe“, dem Sammelplatz der Künstlermodelle, wo sie den Vorübergehenden Sträußchen der großen starkduftenden Campagnaveilchen aufdrängen, bis sich Gelegenheit zu besserem Erwerb bietet. Auch unsere Kleine ist eine solche „Ciociara“, die in ihrem Sonntagsstaat von den Eltern in die Stadt geschickt ist, um mit ihrem braunen Rasseköpfchen ein paar Lire zu verdienen – und so hat sie der Künstler vor uns hingestellt, wie sie leibt und lebt, die Hände im Schoß gefaltet, die großen, träumerisch leeren Augen, die so viel sagen und so wenig meinen, gedankenlos ins Blaue gerichtet, ein Bild des Dolce far niente, fast möchte ich sagen ein Sinnbild des träumenden Sonnenlandes, das nicht säen und ernten mag, sondern ruhig im Besitz seiner Schönheit aus der Bewunderung des Fremden die Mittel seines mühelosen Daseins schöpft. I. Kurz.     


Auflösung des Zahlen-Kryptogramms „Der Berg“ in Nr. 33: Man bezeichnet das Alphabet von A–Z mit den Zahlen 1-25. Zieht man nun von der Gesammtanzahl der in einer horizontalen Würfelreihe befindlichen Quadrate die rechtsseitige mit Minus bezeichnete Ziffer ab, so giebt die resultirende Restziffer den betreffenden Buchstaben des Alphabets an. Die linksseitigen römischen Zahlen dagegen zeigen die Ordnung an, in welcher die Querkolonnen abzulesen sind. Man erhält dann das Wort: „Kahlenberg“. S. Atanas.     


Inhalt: [ Verzeichnis zu diesem Heft, hier noch nicht dargestellt. ]



Verantwortlicher Herausgeber Adolf Kröner in Stuttgart. Redacteur Dr. Fr. Hofmann, Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger, Druck von A. Wiede, sämmtlich in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_564.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2024)