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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Die Zahl der Tänze mit der Braut ist auf drei für jeden der Tanzberechtigten festgesetzt. Obwohl allerdings nur Ehemänner, oder in deren Vertretung und besonderem Auftrage deren Söhne, das Vorrecht der Ehrentänze genießen, gehört doch eine körperliche Ausdauer der Braut zur Erfüllung dieser ihrer Pflicht, die geradezu in Erstaunen setzen muß. Man bedenke nur, daß mitunter bis zu 200 Personen auf die Ehre ihrer drei Tänze warten. Meines Wissens ist trotzdem noch nie eine solche Braut auch nur unwohl geworden. Wahrlich, im Hansjochenwinkel bedarf’s keines Vereines für Körperpflege.

Spät in die Nacht dauern diese Tänze, und wenn der zweite Hochzeitsmorgen anbricht, so wird derjenige von den jungen Leuten, der sich verschläft, mit Musik auf einer Achse vom Ackerwagen ins Hochzeitshaus gefahren und muß dort seinen Kaffee aus einem schwarzen Topfe trinken.

Rückkehr von der Trauung.

Am letzten Mittag wurde früher allgemein, jetzt nur noch vereinzelt, „Brauthahn getragen“ oder „gesessen“. Während desselben sitzen sämmtliche Familienvorstände unter den Gästen beim leckersten Köstenschmause. Hinter ihnen stehen ihre Frauen. Oben auf der Tafel sieht man eine tiefe Zinnschüssel, verdeckt mit einem flachen Teller aus derselben Masse. Rechts vom „Brauthahn“, so nennt man nämlich jene verdeckte Schüssel, sitzen der Bräutigam und dessen Trauleiter, links die Braut und deren Trauleiter. Der Bräutigam nimmt alsdann einen Teller, legt darauf zwei Aepfel und reicht ihn der Braut, die Butterkuchen und Weißbrotstückchen dazu legt. So wird der Teller dem nächsten Tischgenossen zugeschoben, der seine „Gabe“ in Baar darauf „wirft“. Damit wandert der Teller zurück, und die Gabe wird in die verdeckte Schüssel gethan. Darnach wird der Teller dem folgenden Gaste zugeschickt, von diesem wandert er mit neuer Gabe wieder zurück, und alsdann immer und immer wieder von Hand zu Hand in derselben Weise hin und her, bis er vor dem zu unterst sitzenden Gaste gestanden hat. Die Gaben betragen bei den nächsten Verwandten nicht unter zehn Thalern, bei den entferntesten und bei den Dorfleuten mindestens so viel, daß für jeden Hochzeitstag ein halber Thaler gerechnet ist. Während des Brauthahntragens stehen die Musikanten an der Thür und spielen; über diese Thür aber schreibt man: „Heute für Geld, morgen für umsonst!“ – Noch zu Anfang unseres Jahrhunderts saß der Pastor an der verdeckten Schüssel und empfing für den Bräutigam die Hochzeitsgabe; damals auch mußte der Vater der Braut (oder wenn diese einen eigenen Hof besaß, des Bräutigams Vater) zu gleicher Zeit und an gleichem Ort „einen blanken Tisch machen“, das heißt die Mitgift aufzählen. Letzteres geschieht heute nur noch unter Beisein der nächsten Angehörigen. Dabei fragt denn der Mitgift auszahlende Vater des jungen Ehepaares, ob er das vorgezeigte Geld aufzählen solle. „Vorsicht ist die Mutter der Weisheit“; und so antwortet denn der geldempfangende Vater recht diplomatisch. „Zähl auf, nicht um uns, sondern um die, die zusehen; sie möchten’s sonst nicht glauben, daß es – die ausbedungene Summe wird laut und deutlich genannt – sind!“

Wo der Hahn geschwunden ist, drücken die Gäste ihre Gaben dem Bräutigam beim Abschiede in die Hand, eine Neuerung, die den großen Kösten recht gefährlich geworden ist; denn da Niemand sieht, wie viel jeder männiglich schenkt, so knausert man nach Kräften, und in Folge dessen will nur noch selten Jemand eine große Hochzeit „ausrichten“. Mit der Abnahme der großen Hochzeiten verschwinden aber auch die schönsten Bräuche, zu deren Ausführung eine große Zahl von Theilnehmern unbedingt nöthig ist. Es wird auch im Hansjochenwinkel alles einfacher und glatter unter dem großen Hobel der modernen Kultur.


Litterarische Begegnungen.

Von Wilhelm Goldbaum.
1. Ludwig Hevesi.

Beneidenswerth vor vielen anderen sind mir immer diejenigen Schriftsteller erschienen, denen durch Geburt oder Schicksalswendung die volle Herrschaft über zwei lebendige Sprachen verliehen ist. Es kommt mir vor, als ob sie mit vier Augen durch die Welt gingen, während wir übrigen Menschenkinder uns mit einem einzigen Augenpaare begnügen müssen. Ach Gott, sterben müssen am Ende auch sie; aber sie leben ein doppeltes Leben, in zwei Vorstellungskreisen, die, koncentrisch und excentrisch zugleich, einander erweitern, obgleich sie vor einander zu fliehen scheinen. Und dieses doppelte Leben der Einzelnen ist es recht eigentlich, das den Zusammenhang der Menschheit bewirkt; denn zwei Volksseelen haben ihr ständiges Rendezvous in dem Geiste eines solchen doppelsprachigen Schriftstellers oder Dichters, sie werden einander vertraut wie Liebende, und je mehr es solcher poetischer und litterarischer Doppelmenschen giebt, desto gewisser werden die Volksseelen allesammt zu willigen Dienerinnen der großen allbeherrschenden Weltseele … Alexander von Humboldt, Adalbert von Chamisso, Heinrich Heine, Karl Hillebrand waren unwiderstehliche Vermittler dieser Art; sie verrichteten den heiligen Botendienst zwischen den Völkern, und das wird ihnen niemals

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_589.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2024)